# taz.de -- Männerforum-Vorstand über Geschlechterrollen: „Stereotype mache… | |
> Das Bundesforum Männer wird zehn Jahre alt und kämpft um | |
> Geschlechtergerechtigkeit. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Thomas | |
> Altgeld. | |
Bild: Ein Spaß unter Kinder oder irgendwann dann doch Ernst? | |
taz: Herr Altgeld, bitte antworten Sie mit Ja oder Nein. Sind Sie Feminist? | |
Thomas Altgeld: Ja. | |
Müssen wir den Gender Pay Gap abschaffen? | |
Ja. | |
Ist [1][Gleichstellungspolitik] auch für Männer gut? | |
Ja, auf jeden Fall! | |
Wessen Interessen vertreten Sie: die von Männern oder die von Frauen? | |
Wir müssen von diesem Antagonismus wegkommen. Wir vertreten die Interessen | |
von Männern. Aber wir vertreten sie nicht gegen frauenpolitische Interessen | |
und Erfolge. Wir schauen: Was sind Bedarfe und Bedürfnisse von Männern im | |
Rahmen einer männerorientierten Gleichstellungspolitik. | |
Männer würden deutlich weniger verdienen, gäbe es zum Beispiel den Gender | |
Pay Gap nicht. | |
Sie würden aber anderswo ganz viel gewinnen. In vielen Bereichen, die in | |
unserer Gesellschaft patriarchal organisiert sind – im Bildungssystem zum | |
Beispiel oder auf dem Arbeitsmarkt – wird die Bedeutung von Geschlecht kaum | |
reflektiert. Aber auch wenn Männer auf der Karriereleiter besser | |
abschneiden, heißt das nicht, dass das ihren Interessen dient. Da gibt es | |
tief sitzende Stereotype, die Männer und Frauen unglücklich machen, die | |
sogar Leben zerstören. Da geht es um viel mehr als nur Geld. Es geht um | |
Chancen auf Verwirklichung und letztlich Lebensglück. | |
Wie sieht eine zeitgemäße Vorstellung von Männlichkeit aus? | |
Männerorientierte Politik versucht, mit den archetypischen Männerbildern zu | |
brechen und neue Bilder von Männlichkeit zuzulassen. Männer müssen | |
vielfältig sein dürfen und nicht nur in die Vorstellung des 50 Stunden | |
durcharbeitenden Mannes gezwängt werden, der die Familie ernährt und | |
ansonsten alles wegsteckt, Gefühle zum Beispiel. | |
Warum schließen Sie sich nicht einfach dem Deutschen Frauenrat an, Ihrem | |
Pendant aufseiten der Frauen? | |
Der Frauenrat und wir haben große inhaltliche Schnittmengen, zum Beispiel, | |
wenn es um eine Neubewertung von Lohnarbeit und unbezahlter Care-Arbeit | |
geht oder um eine Aufwertung von Gesundheits- und Erziehungsberufen. Aber | |
wir wollen gar nicht so werden wie der Frauenrat. Frauen brauchen eine | |
andere Form von Kampfgeist. Sie haben auch einen anderen Nachholbedarf, was | |
ihre Interessen in unserem System angeht, zum Beispiel bei der Parität. Und | |
es gibt durchaus Bereiche, in denen die Männer auch eigene Interessen | |
haben, zum Beispiel in der Gesundheit. Männer leben hierzulande [2][4,8 | |
Jahre kürzer als Frauen]. Das hat Gründe. | |
Welche? | |
Männer gehen zum Beispiel bis zum 40. Lebensjahr deutlich weniger zum Arzt | |
als Frauen. Das liegt auch am Mythos des harten Mannes, der nicht im Bett | |
liegen kann und der verhindert, dass Männer fürsorglich mit sich und ihrem | |
Körper umgehen. Für Männergesundheit macht sich der Frauenrat ja eher nicht | |
stark. | |
Der Frauenrat hat sich geweigert, ein gemeinsames Interview mit Ihnen zu | |
führen. Ist Ihr Verhältnis so schlecht? | |
Wir bemühen uns um ein freundschaftliches Verhältnis und haben das auf | |
Arbeitsebene auch. Ich wäre jederzeit für ein gemeinsames Interview zu | |
haben. | |
Wäre nicht sogar eine Kooperation sinnvoll, wenn Sie in vielen Bereichen | |
ähnliche Positionen vertreten? | |
Wir sind in vielen Gremien gemeinsam vertreten und arbeiten in vielen | |
Sachfragen eng miteinander zusammen. | |
Einige Streitpunkte dürfte es geben. Sie fordern zum Beispiel eine | |
gemeinsame Verantwortung in Familien nach Trennungen. Das ist für Frauen, | |
die [3][von häuslicher Gewalt betroffen] sind, unvorstellbar. | |
Gerade was die Gewaltfrage angeht, sind unsere Interessen nicht so | |
verschieden. Wir haben da keine aussagekräftigen Zahlen für Deutschland – | |
aber auch Männer sind Opfer von Gewalt. Für diese Fälle gibt es nur bislang | |
keine repräsentative Studie. Die würde dringend gebraucht, um die | |
Gewaltbetroffenheit von Männern diskutieren zu können. | |
Mehr als 80 Prozent der von partnerschaftlicher Gewalt betroffenen Menschen | |
hierzulande sind Frauen. Jeden Tag versucht ein Mann, seine Frau | |
umzubringen. Jeden dritten Tag schafft er es. | |
Die Hilfestrukturen für Frauen, die Opfer von Gewalt sind, sind in | |
Deutschland relativ gut ausgebaut. Hilfestrukturen für gewaltbetroffene | |
Männer sind kaum existent. | |
Frauenhäuser sind chronisch unterfinanziert. Und es ist ein strukturelles | |
Problem, dass die allermeiste Gewalt gegen Frauen von Männern ausgeht. | |
Wir bräuchten mehr Täterarbeit, ja. Aber Sie haben gerade die Zahlen für | |
häusliche Gewalt genannt. Bei Gewalt im öffentlichen Bereich sind Männer | |
viel häufiger Opfer als Frauen. | |
Da geht es um Gewalt von Männern gegen Männer, nicht gegen Frauen. | |
Genau, da geht es viel um andere Arten von Männlichkeit: Männer mit | |
Behinderungen, schwule Männer, Männer mit Migrationshintergrund. Sehr viel | |
Gewalt trifft Männer und verändert ihre Leben. Gewalt gegen Frauen ist ein | |
wirklich wichtiges Thema. Aber das heißt nicht, dass wir nichts für Männer | |
tun müssen. Wir müssen doch im Interesse aller daran arbeiten, dass wir | |
Männern andere Handlungsmöglichkeiten geben als gewaltförmige. | |
Sie fordern, Männerpolitik im Koalitionsvertrag zu verankern. Das | |
Frauenministerium unterstützt Projekte Ihres Verbands finanziell, obwohl es | |
doch Frauenministerium heißt. Dieses Geld geht den Frauenprojekten flöten. | |
Liegt die Konkurrenz nicht auf der Hand? | |
Ich sehe da kein Konkurrenzverhältnis. Öffentliche Gelder, die im | |
Männerbereich investiert werden, sind marginal. Und wir versuchen, die | |
Forderungen für Männer nicht so zu formulieren, dass die Gelder aus einem | |
Topf genommen werden, der für Frauen gedacht ist. Wir sind keine | |
Männerrechtler, die jedes Gesetz auf die Frage durchchecken, ob zu viel | |
Geld für Frauen ausgegeben wird. | |
Sondern? | |
Wir dürfen uns da doch nicht auseinanderbringen lassen! Ja, es braucht eine | |
bessere Ausstattung für Frauenhäuser. Aber wir brauchen eben auch ein | |
System, das gewaltbetroffenen Männern Hilfe bietet. Und wenn man sich | |
überlegt, was gerade in Coronazeiten für Geld gedruckt wird für die | |
Lufthansa oder andere veraltete Industriezweige, frage ich mich schon, | |
warum wir ausgerechnet im Geschlechterbereich um jeden Euro neu kämpfen | |
müssen. | |
Die Männer des Bundesforums gelten als die „Guten“, als diejenigen, die | |
nichts mit Antifeminismus zu tun haben. Die sogenannten Maskulinisten | |
kritisieren deshalb, Sie würden die Interessen der Männer nicht ausreichend | |
vertreten. Kämpfen Sie da auch gegen die eigenen Geschlechtsgenossen? | |
Ich kämpfe lieber für als gegen etwas. Ich schaue mir zwar an, was in | |
diesem Bereich passiert, die Arbeit von MANNdat zum Beispiel. Und wir | |
grenzen uns klar gegen vieler ihrer Positionen im Familienrecht ab, die | |
aktuell von rechtsradikalen Parteien wie der AfD allzu dankbar übernommen | |
werden, weil denen gleichstellungspolitische Erfolge für Frauen ein Horror | |
sind. Aber wir sollten uns als Bundesforum auf unsere eigenen Forderungen | |
konzentrieren. | |
Der Verein „Väteraufbruch für Kinder“, der Mitglied des Bundesforums ist, | |
betrachtet Väter als Opfer von Trennung und findet, dass Mütter von | |
Gerichten bevorzugt werden. Das sind mindestens grenzwertige Positionen. | |
Ich habe viel mit Vertretern des Väteraufbruchs gesprochen. Viele | |
Positionen haben sich auch deshalb gebildet, weil großes biografisches Leid | |
dahinter steckt, Auseinandersetzungen, schlechte Erfahrungen mit | |
Familiengerichten. In dieser Wunde zu bohren und Erfahrungen öffentlich zu | |
machen, ist also legitim. | |
Ist es nicht sehr weit hergeholt zu behaupten, Mütter, noch dazu | |
alleinerziehende, würden generell bevorzugt? | |
Die Mehrheit der Paare trennt sich einigermaßen einvernehmlich. Das Problem | |
liegt an dieser Stelle also bei Paaren mit schwieriger Trennungssituation, | |
die weder zulasten der Kinder noch der Mütter noch der Väter gehen sollte. | |
Das sind Aushandlungsprozesse, bei denen ich zum Beispiel die Arbeit des | |
Verbands alleinerziehender Mütter und Väter sehr schätze. | |
Und die des Väteraufbruchs? | |
Ich erlebe da keine schlagenden Väter, sondern Väter, die aus irgendwelchen | |
Gründen nicht mehr mit ihren Partnerinnen klar kamen. Ich würde die | |
Position, Väter würden systematisch diskriminiert, so nicht übernehmen. | |
Aber ich glaube schon, dass es in den Bereichen der Gerichtsbarkeit und der | |
Jugendämter viele blinde Flecken gibt und Gender Mainstreaming für diese | |
Bereiche dringend notwendig ist. | |
Letzte Frage: Es gibt eine dritte Vereinigung auf Bundesebene, die in | |
Geschlechterfragen aktiv ist, der Bundesverband Trans*. Wie steht es um Ihr | |
Verhältnis? | |
Es gibt noch keine wirkliche Kooperation. Aber ich möchte betonen, dass das | |
Bundesforum Männer zwar auf den ersten Blick an ein binäres | |
Geschlechtersystem gekoppelt ist, dass wir das in unserer praktischen | |
Arbeit aber so nicht pflegen. Wir wissen, dass Geschlechterfragen nicht nur | |
Männer und Frauen betreffen. | |
Wenn das Ziel ist, das binäre System aufzubrechen – wie sollen wir dahin | |
kommen, wenn letztlich doch alle ihr eigenes Süppchen kochen? | |
Vielleicht müssen wir mehr an gemeinsamen Visionen arbeiten. Daran, dass | |
wir deckungsfähige Ziele hinkriegen. Und nicht immer nur die Stellen in den | |
Blick nehmen, bei denen wir auf keinen Fall auf einen Nenner kommen. Wir | |
brauchen ein Gesamtbild, in dem vielfältige Lebensentwürfe und | |
Geschlechteridentitäten ihren Platz haben. Wenn wir daran arbeiten, ist | |
schon viel gewonnen. | |
2 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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