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# taz.de -- Iranisches Kino: Teherans Geheimnisse
> „Critical Zone“ ist ein starker Beleg für das Selbstbehauptungsvermögen
> des iranischen Kinos. Der Film entstand ohne Drehgenehmigung.
Bild: Völlig frei für einen Moment: die Stewardess (Shirin Abedinirad) im Teh…
Kaum hat das Auto den Kontrollposten am Teheraner Flughafen passiert,
befreit sich die Stewardess (Shirin Abedinirad) in Amirs (Amir Pousti) Auto
von ihrer Uniformjacke und dann von ihrem Kopftuch. Amir parkt das Auto auf
einer Wildwuchsbrache in der Nähe des Flughafens und die beiden wickeln den
geschäftlichen Teil ihres Treffens ab.
Die Stewardess reicht Amir ein Bündel Dollarnoten, Amir kramt aus seinem
Fjällräven-Rucksack einen Klumpen Opium. Als die Stewardess das Opium in
ihrem Gepäck verstaut hat, kommt sie mit einem wahren Schatz zurück: zwei
Dosen Tuborg-Bier und einer kleinen Ampulle Kokain.
Nach Bier und Kokain haben die beiden Sex im Auto, auf der Tonspur. Im Bild
ist nur Amir zu sehen, wie er hinter dem Steuer sitzt und raucht. Doch auf
der Tonspur röhrt und stöhnt die Stewardess, als wollte sie sich die ganze
Enge Irans von der Brust schaffen.
## Hauptpreis vom Locarno-Filmfestival
Diese Szene und ihre Wendung, die wenige Bilder später folgt, ist der
Kulminationspunkt von [1][Ali Ahmadzadehs] deutsch-iranischer Koproduktion
„Critical Zone“ (Originaltitel „Mantagheye bohrani“) und sie allein wä…
schon den ganzen Film wert gewesen. Der Film feierte im Sommer letzten
Jahres auf dem Filmfestival in Locarno Premiere und gewann in einem
einstimmigen Juryvotum den Hauptpreis des Festivals.
„Critical Zone“ beginnt im Tunnelsystem der Straßen Teherans. Zwei Männer
laden aus einem Krankenwagen Reissäcke mit Drogen und verteilen sie unter
den Dealern der Stadt. Einer davon ist Amir. Stumm folgt er den Anweisungen
des Navigationsgerät in seinem Auto durch das nächtliche Teheran zurück zu
seiner Wohnung. Dort angekommen, spricht er ein paar kurze Sätze mit seinem
Hund, Mr. Fred. Das erste Mal, das sich Amir auf der Tonspur wirklich
bemerkbar macht, ist, als er am nächsten Morgen unter der Dusche ekstatisch
seufzt.
Ahmadzadehs vierter Langfilm begleitet Amir durch die Nacht beim Ausliefern
seiner Grasbeutel und Haschischkekse. Die Begegnungen mit Drogenabhängigen,
einer Krankenschwester auf einer Palliativstation, die ihren Patienten mit
den Haschischkeksen die Schmerzen lindert, und einigen Prostituierten
zeichnet ein selten gesehenes Panorama der Teheraner Gesellschaft.
## Verdeckte Kamera
„Critical Zone“ entstand ohne Drehgenehmigung, teils mit gefälschten
Genehmigungen, teils mit verdeckter Kamera. Doch diese Einschränkungen
scheinen die Kreativität von Ahmadzadeh und Kameramann Abbas Rahimi
beflügelt zu haben: Sie befestigen die Kamera am Lenkrad und lassen die
Bilder rotieren und in anderen Szenen Kopf stehen.
Vor allem aber haben die Drehbedingungen eine visuelle Trennung zwischen
Innen- und Außenräumen etabliert, die für sich selbst spricht. Vielen der
Außenaufnahmen merkt man an, unter welchen Bedingungen sie entstanden. Die
Kamera verharrt meist im Innern des Fahrzeugs, oft stumm, und Ton tritt
erst hinzu, wenn die Protagonist_innen sich der Kamera nähern.
In den Innenräumen hingegen bewegt sich die Kamera so frei wie in jedem
anderen Film, wechselt ihre Perspektiven und Einstellungen. In diesem
Kontrast der Bilder findet „Critical Zone“ ein Ausdrucksmittel für die
Unfreiheit des öffentlichen Raums und die beschränkten Freiheiten der
Innenräume unter der mörderischen Herrschaft des islamistischen Regimes im
Iran.
Die Figuren des Films sind monadische Existenzen, deren Bahnen sich im
Verlauf des Films in vergänglichen Momenten kreuzen. Viele der Figuren
bleiben auch in diesen Augenblicken bei sich, blicken vor sich hin, wirken
verschlossen in ihrer eigenen Welt; doch für einige bedeuten die
Begegnungen mit Amir im Schutzraum der Nacht eine rare Gelegenheit zur
Begegnung.
## Umarmung am Flughafen
Als Amir eine junge Kundin, die im Begriff ist, den Iran zu verlassen, zum
Flughafen bringt, nimmt diese ihn am Gate für einen kurzen Moment mit
geschlossenen Augen in den Arm. Danach bahnt sie sich ihren Weg durch die
wartenden Menschen, während er etwas benommen auf einer Rolltreppe zurück
hinunter in das Foyer des Flughafen fährt, zurück in das Leben in einem
Land, das sich auch mit Drogen immer schwerer ertragen lässt.
„Critical Zone“, entstanden als iranisch-deutsche Koproduktion, ist ein
weiterer Beleg für das Selbstbehauptungsvermögen des iranischen Kinos in
seiner ganzen opulenten Bildsprache und Intimität. Ali Ahmadzadehs Film
ist ein Traum von Freiheit inmitten einer Realität der Repression. Doch
zugleich zeigt „Critical Zone“ in seltener Eindringlichkeit die
zermürbende, zerstörerische Kraft eines Lebens unter [2][dem ständigen
Druck der Unfreiheit], der sich all jene Menschen in Teheran
gegenübersehen, die sich dem religiösen Wahn des Regimes zu entziehen
versuchen.
Die meisten der Schauspieler_innen und der Crew haben im Zuge der Proteste
[3][nach dem Tod von Mahsa Amini] den Iran verlassen. „Critical Zone“ ist
nicht nur der beste Film, der aktuell im Kino läuft, er gehört zum Besten,
was dieses Jahr auf deutschen Kinoleinwänden zu sehen war und noch zu sehen
sein wird.
7 Nov 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Tietke
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