| # taz.de -- US-Präsidentschaftswahlen: Die neue Epoche | |
| > Mit Trumps Wahl 2016 endete das Zeitalter der neoliberalen Ordnung. Auch | |
| > Politiker hierzulande müssen endlich aufwachen und die neue Zeit | |
| > gestalten. | |
| Bild: Party in Melania Trumps Geburtsort in Slowenien nach der Wahl von Trump z… | |
| Eine Epoche ist zu Ende, eine neue Epoche beginnt – und zwar ganz egal, wer | |
| die US-Wahl nun gewonnen hat, Kamala Harris oder Donald Trump. | |
| Denn die alte Epoche, von der ich spreche, ging schon vor einer Weile zu | |
| Ende, mit der Wahl von Donald Trump 2016. Damals endete das Zeitalter der | |
| neoliberalen Ordnung, wie es der Historiker Gary Gerstle nennt – eine | |
| Epoche gekennzeichnet unter anderem durch den Glauben an die Macht der | |
| Märkte, Demokratie war zweitrangig, sie folgte oder sie folgte nicht. | |
| Die Frage aber ist, und da ist die US-Wahl 2024 nur ein Zwischenschritt, | |
| was das Wesen dieser neuen Epoche ist. Die Zäsur von 2016 bestand darin, | |
| dass die Wahl von Donald Trump – und auch Großbritanniens Brexit im Sommer | |
| 2016 – eine Form des Widerstands darstellte: eines Widerstands gegen | |
| Globalisierung, [1][Freihandel] und auch den kosmopolitischen Geist, der | |
| mit diesen Prinzipien der neoliberalen Epoche verbunden war. „America | |
| First“ war genauso gemeint: Trump war die laute Rückkehr der nationalen | |
| Interessen. | |
| Die Welt, gegen die Donald Trump in Widerstand trat, kalkuliert, | |
| opportunistisch, reaktionär, war die Welt, wie sie in den neunziger Jahren | |
| entstanden war. | |
| ## Schöne neue Welt | |
| Die Prämissen des Marktes durchzogen mehr und mehr alle Bereiche der | |
| Gesellschaft, der Glaube der Politik an die Veränderbarkeit der | |
| Verhältnisse ging steiler nach unten, als die Börsenkurse nach oben | |
| schnellten. Die Verteilung des Reichtums beschleunigte sich, die | |
| Ungleichheit wuchs. [2][Globalisierung, so sagten es Politiker wie Bill | |
| Clinton, Tony Blair oder Gerhard Schröder, ist nichts, was man stoppen | |
| kann], sie ist eine Naturgewalt. | |
| Und eine ganze Weile schien das auch irgendwie gut zu gehen, jedenfalls | |
| wenn man nicht allzu sehr nachdachte und auch nicht allzu genau hinsehen | |
| wollte. Dann verloren eben Fabrikarbeiter ihren Job, weil das Kapital | |
| wandert und sich die billigsten Produktionsverhältnisse sucht. So waren | |
| eben die Zeiten und überhaupt: War nicht Industrie gestern und Information | |
| heute und war die schöne neue Welt nicht voller Menschen, die hier arbeiten | |
| konnten und dort, weil sie Teil einer globalen Wissensökonomie waren, so | |
| schnell und vernetzt, wie es ihre Internetleitungen erlaubten? | |
| Ja, so war das; und gleichzeitig stieg der Schmerz, stieg die Verzweiflung, | |
| stieg die Wut, auch deshalb, weil das Handwerkszeug der Politik, die | |
| Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse, mehr oder weniger aufgegeben | |
| wurde. | |
| ## Der Mann mit den rüdesten Sprüchen | |
| Der Staat als wesentlicher Akteur gerade von Innovation und Transformation | |
| verlor an Energie und Glaubwürdigkeit – das „Staatsversagen“, das zum | |
| Beispiel deutsche Großmedien besonders gern in Zusammenhang mit Flucht und | |
| Migration verwenden, siehe 2015, begann in Wirklichkeit zu einem Zeitpunkt, | |
| als der Staat als gestaltende Kraft besonders gebraucht wurde. | |
| Die Wut der Menschen etwa im „[3][Rust Belt“ der USA] ist also real – | |
| genauso wie die Not von Millionen Menschen im Globalen Süden, die an Folgen | |
| der Globalisierung leiden wie Umweltzerstörung, wachsender wirtschaftlicher | |
| Ungleichheit und Armut. Und weil die Politik keine Antworten zu haben | |
| schien, in den USA weder die Demokraten noch die Republikaner, deshalb kam | |
| der Zeitpunkt, als der richtige Mann mit den rüdesten Sprüchen und dem | |
| kältesten Herz die Dinge sagte, die die Wählerinnen und Wähler hören | |
| wollten. Trump wurde zum Systemsprenger. | |
| Der Protest richtete sich gegen eine Politik der „gebrochenen Versprechen“, | |
| wie es der Historiker Fritz Bartel nennt. Sein Buch „The Triumph of Broken | |
| Promises“ ist eine brillante und letztlich überraschende Analyse des Endes | |
| des Kalten Krieges in den achtziger Jahren und wie sich damals die | |
| Voraussetzungen bildeten für die neoliberale Austeritätspolitik des knappen | |
| Geldes, wie sie etwa Christian Lindner immer noch propagiert – das | |
| Grundproblem aber, wie Bartel es beschreibt, gilt besonders auch für die | |
| heutigen Verhältnisse. | |
| Wie also kann sich eine Politik legitimieren, die immer weniger anbieten | |
| kann, die immer schlechtere Verhältnisse als notwendige Folge | |
| gesellschaftlichen Wandels verkaufen muss? Die Sowjetunion zerbrach an | |
| diesem Widerspruch, die Sparpolitik, genannt Perestroika, führte zum | |
| Systembruch und einem Neuanfang, der Elemente des Kapitalismus mit einer | |
| entstehenden Form von kleptokratischem Oligarchentum verband. Demokratie | |
| wurde auf die billigen Plätze verdammt. | |
| Auch die neue Epoche, in der wir seit acht Jahren nun leben, zeigt stark | |
| oligarchische Tendenzen – vor allem, aber nicht nur, auf Seiten der | |
| Republikaner, wo Elon Musk seinen postdemokratischen Traum vor seinem | |
| eigens eingekauften Publikum voll auslebt. Die Frage, die sich hier stellt, | |
| ist tatsächlich: Wie kann man die Macht, die diese Männer haben, brechen – | |
| [4][Jeff Bezos etwa, der, wie auch der Besitzer der Los Angeles Times, | |
| entschied, dass seine Zeitung, die Washington Post, sich „neutral“ | |
| verhalten] und keine Wahlempfehlung abgeben sollte? | |
| Wo aber sind die deutschen Politikerinnen und Politiker, die sich dieser | |
| Aufgabe stellen? Die Regierungsparteien, ob die Ampel nun endet oder nicht, | |
| sind gefangen in ganz anderen Zeiten, in ganz anderen Mustern. | |
| Sie müssen aufhören mit ihrem Kinderkoalitionskram. Jetzt ist der Moment | |
| aufzuwachen, sich an die Arbeit zu machen, die neue Epoche zu gestalten. | |
| 6 Nov 2024 | |
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| Georg Diez | |
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