# taz.de -- US-Präsidentschaftswahl: Der republikanische Traum | |
> Latinos, Asian Americans und Arab Americans galten lange als größter | |
> Rückhalt der US-Demokraten. Jetzt wenden sie sich zunehmend Donald Trump | |
> zu. | |
Bild: Wunschvorstellung? Der Einwanderer Manuel Noris-Barrera unterstützt Trum… | |
San Francisco, Dearborn und Detroit taz | Manuel Noris-Barrera schweift mit | |
dem Blick über die Mission Street in San Francisco. „Ich komme aus Mexiko, | |
der Nachbar hier aus Nicaragua, der auf der anderen Straßenseite aus | |
Jordanien. Wir wissen, wie sich Chaos anfühlt.“ Am Fenster seines | |
Geschäfts, einer Crêperie, hängt ein kleines Schild in den Farben der | |
US-Flagge. Es wirbt für Stimmen im State Assembly District 17. | |
Im November tritt Norris-Barrera in dem Wahlbezirk hier bei den | |
Parlamentswahlen in Kalifornien, zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen, | |
für die Republikanische Partei an. Weiter unten auf dem Schild stehen seine | |
Wahlversprechen, unter anderem: „Gesunder Menschenverstand, kein | |
Berufspolitiker, Unternehmer“. | |
Noris-Barrera ist ein bulliger Typ Anfang Fünfzig. In seinem Laden trägt er | |
Jeans und T-Shirt, im Wahlkampf lieber blaue Anzüge mit der Nationalflagge | |
als Anstecker. Mit 18 ging er auf eigene Faust von Mexiko-Stadt nach | |
Kalifornien, schlug sich zuerst mit Gelegenheitsjobs durch, verdiente | |
anschließend sein Geld mit Immobilien. Seit zwölf Jahren betreibt er die | |
Crêperie in der Mission Street. Der Mission-Distrikt ist einer der größten | |
Ballungsorte von Latinos und anderen migrantischen Communitys in San | |
Francisco. | |
Die Mehrheit der Bewohner*innen hier ist non-white, geschätzt 40 | |
Prozent haben lateinamerikanische Wurzeln. An der Straßenecke ein paar | |
Meter entfernt von Noris-Barreras Laden prangt ein Wandbild des Musikers | |
Carlos Santana, der im Mission-Distrikt aufgewachsen ist. Einige Blocks | |
weiter westlich liegt die Castro Street, einer der Ursprünge der | |
LGBTQ-Bewegung in den USA. | |
## Recht und Ordnung | |
Dass er einmal für einen Parlamentssitz kandidieren würde, damit habe | |
Norris-Barrera noch vor einem Jahr nicht im Traum gerechnet. Was ihn in die | |
Politik ziehe, und noch dazu zur Republikanischen Partei im liberalen San | |
Francisco? „Ich war es müde, den Verfall zu sehen.“ Er wolle helfen, Recht | |
und Ordnung wiederherstellen, denn die Stadt sei spürbar unsicherer | |
geworden, teils heruntergekommen. Zumindest in der Mission Street scheint | |
darin ein Stück Wahrheit zu liegen. | |
Manches Geschäft ist verwaist, die Fassaden mit Graffiti übersät, es gibt | |
viel sichtbare Obdachlosigkeit. Kalifornien ist als einer der reichsten | |
US-Bundesstaaten gleichzeitig einer der ungleichsten. Doch Noris-Barrera | |
sieht vor allem einen moralischen Verfall am Werk, auch unter Latinos: | |
„Einige kommen und freuen sich, wenn die Regeln hier nicht so genau | |
genommen werden. | |
Man kann einfach wild über die Straße laufen und ohne Erlaubnis draußen | |
verkaufen, das ist ja wie in Lateinamerika! Aber genau darin liegt das | |
Problem.“ Er spricht sich für eine größere Polizeipräsenz und penible | |
Rechtsdurchsetzung aus. | |
Bei den Vorwahlen für die State Assembly, bei denen sich parteiübergreifend | |
die zwei Kandidaten mit den höchsten Stimmenanteilen durchsetzen, gewann | |
Noris-Barreras Gegenkandidat, der Demokrat Matt Haney mit 82 Prozent. Er | |
selbst kam auf knapp 13 Prozent. | |
## Zahl der Trump-Unterstützer*innen steigt | |
Um sich die Nominierung für die Republikanische Partei zu sichern, reichte | |
es. Bei den eigentlichen Wahlen, Anfang November, sind seine Chancen | |
überschaubar. In [1][Kamala Harris]’ Heimatstaat, dem liberalen | |
Kalifornien, führt Noris-Barrera einen etwas einsamen Kampf. „Es ist hier | |
einfach, Demokrat zu sein, genauso wie es in Texas einfach ist, | |
Republikaner zu sein“, sagt er nüchtern. | |
Doch unter Latinos ist Noris-Barrera mit seiner Haltung nicht allein. | |
Anfang Juli unterstützten US-weit genau so viele Latinos Trump wie Biden, | |
deutlich mehr als noch bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Das ergeben | |
Umfragen des Pew Research Center. Nach Bidens Rückzug gibt es noch keine | |
neuen verlässlichen landesweiten Daten, doch nach Umfragen in einzelnen | |
US-Bundesstaaten scheint es nicht so, als hätte Harris unter Latinos viele | |
Wähler*innen zurückgewonnen. | |
Mittlerweile hat fast ein Fünftel der US-Bevölkerung lateinamerikanische | |
Wurzeln. Rund 14 Prozent identifizieren sich als African American, | |
asiatisch- und arabischstämmige US-Bürger*innen kommen auf gut sieben | |
Prozent. Wenn die demografischen Trends sich fortsetzen, werden die nicht | |
weißen Minderheiten in den USA in den nächsten zwei Jahrzehnten zur | |
Bevölkerungsmehrheit. | |
Noch vor wenigen Jahren sagten manche politische Beobachter*innen | |
voraus, dass diese aufstrebende Mehrheit der Demokratischen Partei einen | |
langfristigen politischen Vorteil verschaffen würde. Doch zuletzt wendeten | |
sich viele von ihnen den Republikanern zu. Besonders in für sie zentralen | |
wirtschaftlichen Fragen traut in migrantischen Communitys eine große | |
Mehrheit eher ihnen als den Demokraten zu, die Geschicke des Landes zu | |
leiten. | |
## Die Rolle des Gazakriegs | |
In den Statistiken offenbart sich auch ein Klassenunterschied: Vor allem | |
nicht weiße Wähler*innen ohne Collegeabschluss wählen zunehmend | |
konservativ. In den Swing States im Mittleren Westen und im Süden der USA | |
könnten ihre Stimmen wahlentscheidend sein. | |
„Ich bin nur ein einfacher Bürger, der die Stimme erhebt gegen den Irrsinn | |
der letzten Monate.“ Khader Masri spricht gelassen und selbstsicher, er | |
scheint sich des Gewichts seiner Stimme wohl bewusst zu sein. Seit 35 | |
Jahren arbeitet er im Familienbetrieb Masri Sweets in Dearborn, Michigan, | |
dem größten Ballungsraum der arabisch-amerikanischen Community in den USA. | |
Rund 60.000 Arab Americans leben hier, in der einzigen Stadt im Land mit | |
einer arabischstämmigen Bevölkerungsmehrheit. | |
Der Irrsinn, auf den Masri anspielt, dreht sich um Israels Militäreinsatz | |
in den Palästinensergebieten nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober. | |
Masri stammt ursprünglich aus Nablus im besetzten Westjordanland. Wie die | |
meisten Arab Americans in den USA verurteilt er Israels militärisches | |
Vorgehen und die [2][Unterstützung der US-Regierung] für Benjamin | |
Netanjahu. Masri sagt nicht, wen er selbst wählen will, doch er gibt sich | |
sicher: „Viele hier unterstützen Trump.“ | |
Auch wenn der Netanjahu stets bedingungslose Unterstützung zusichert, | |
richtet sich Masris Zorn vor allem gegen die Demokraten. Schließlich trügen | |
sie die Verantwortung für das Sterben im Gazastreifen. Daran habe auch | |
Kamala Harris nicht viel geändert. | |
## Einfluss der arabischen Community | |
Dearborn liegt nur einige Kilometer entfernt von Detroit. Viele Arab | |
Americans und Angehörige anderer Minderheiten kamen ursprünglich, um in der | |
Autoindustrie der Stadt zu arbeiten. Auf ganz Michigan gerechnet haben nur | |
gut zwei Prozent der Menschen arabische Wurzeln, doch die Community | |
entfaltet große politische Wirkung. Die Aktivistin Layla Elabed wurde vor | |
den Vorwahlen der Demokratischen Partei mit der von ihr mitgegründeten | |
Uncommitted-Bewegung landesweit bekannt. | |
Mehr als 6.000 demokratische Wähler*innen in Dearborn verweigerten Joe | |
Biden bei den primaries, den Vorwahlen, ihre Stimme und wählten stattdessen | |
uncommitted, also keinen der Kandidaten. Im November drohen viele von | |
ihnen, statt Kamala Harris unabhängige Kandidaten oder gar nicht zu wählen. | |
Die Demokraten sind in Michigan auf jede Stimme angewiesen. Bei den letzten | |
Präsidentschaftswahlen gewann Biden hier mit weniger als drei Prozent | |
Vorsprung, 2016 siegte Donald Trump mit nur 10.704 Stimmen vor Hillary | |
Clinton. | |
Die letzten Umfragen in Michigan zeigen zwar einen Stimmungswandel | |
zugunsten Harris, doch in der arabischstämmigen Community steht sie weiter | |
unter Druck. Die Bewegung um Layla Elabed protestierte auch am Rande des | |
Parteitags der Demokraten Ende August in Chicago, und zwang Harris, | |
Stellung zu beziehen. Diese verurteilte den Terrorangriff der Hamas, und | |
forderte zugleich ein Ende des Sterbens im Gazastreifen. | |
Stevie Soul Ansara ist an einem drückend heißen Tag Ende August für eine | |
Jam Session aus Detroit nach Dearborn gekommen. Auf dem Dachgarten des Arab | |
American National Museum, das der Geschichte der Community gewidmet ist, | |
begleitet der Beatbox-Performer improvisierte Gesänge und Lieder der in der | |
arabischen Welt legendären libanesischen Sängerin Fairuz. | |
## Älter und konservativer | |
Wie fast alle bei der Jam Session ist der 36-Jährige in den USA geboren und | |
aufgewachsen. Ansaras Eltern sind jordanische orthodoxe Christen. Dass | |
Teile der arabisch-amerikanischen Community Trump trotz dessen Rassismus | |
für wählbar halten, ist für ihn auch eine Generationenfrage: „Mit den | |
Jahren, wenn man mehr Geld verdient und älter wird, merkt man, dass viele | |
Arab Americans recht konservativ eingestellt sind.“ | |
In ihren Augen habe sich die Demokratische Partei in gesellschaftlichen | |
Fragen immer weiter nach links bewegt. Die Republikaner stehen dagegen für | |
traditionelle Familienwerte und Law-and-order-Politik. Das findet auch in | |
anderen migrantischen Communitys Anklang. In den USA sind einige von ihnen, | |
auch die große Gruppe der Latinos, religiöser und sozial konservativer als | |
der Gesellschaftsdurchschnitt, ein Phänomen, das sich auch in anderen | |
Einwanderungsländern beobachten lässt. | |
Für jüngere Arab Americans sei dagegen der Krieg im Nahen Osten der | |
entscheidende politische Faktor, glaubt Ansara. „Der Krieg hat die junge | |
Generation politisiert, sie wird sich ihrer Wurzeln stärker bewusst.“ Und | |
für viele von ihnen überschatte der Krieg alle anderen Themen. Die | |
wenigsten von ihnen werden Trump wählen, aber viele könnten Kamala Harris | |
die Unterstützung verweigern, und Ansara bezweifelt, dass sie mit ihrer | |
Position im Nahostkonflikt viele Arab Americans überzeugen konnte. | |
Ansara wohnt in Downtown Detroit. Er hat die Höhen und Tiefen der Stadt | |
über die Jahrzehnte verfolgt. „Als ich klein war, war Detroit ein ziemlich | |
heruntergekommener, trauriger Ort.“ Dabei war die Stadt ausgehend von der | |
frühen Massenproduktion Henry Fords und der Ansiedlung von Chrysler und | |
General Motors einst eine der reichsten der USA. Doch über die zweite | |
Hälfte des 20. Jahrhunderts zogen sich die Autokonzerne immer weiter | |
zurück. | |
## Aufschwung in Detroit | |
Für die Stadt bedeutete dies eine lange Zeit des Niedergangs. Erst in den | |
letzten 10, 15 Jahren gehe es für Detroit wieder wirklich aufwärts, sagt | |
Ansara. Eines der Symbole für Detroits tiefen Fall war das monumentale | |
Gebäude der alten Bahnstation Michigan Central. 1988 fuhr dort der letzte | |
Zug, seitdem stand die Station leer und verfiel. | |
Vor sechs Jahren begann die Stiftung des Ford-Konzerns mit der Renovierung, | |
knapp eine Milliarde US-Dollar investierte sie dafür. Vor einigen Wochen | |
öffnete die Bahnstation, künftig ein Innovationszentrum für aufstrebende | |
Unternehmen, die Tore für die Öffentlichkeit. | |
An den Besuchstagen reicht die Schlange am Einlass oft Hunderte Meter weit. | |
In der Bahnstation stehen Porträts von Menschen, die mit der Michigan | |
Central verbunden sind und am Wiederaufschwung Detroits mitwirken – quer | |
durch alle ethnischen Gruppen und Bevölkerungsschichten, geeint durch eine | |
gemeinsame Kraftanstrengung. | |
Ein Schweißer aus einer Kleinstadt im Norden Michigans erzählt von den | |
Renovierungsarbeiten an der Michigan Central, und seine Tochter davon, dass | |
sie das Erbe seines Handwerks antreten will. Ein Technokünstler erinnert | |
sich an Underground-Raves in der ehemals verlassenen Bahnstation. | |
Einwandererkinder denken zurück an ihre Eltern, die über die Michigan | |
Central nach Detroit kamen. | |
Die Ausstellung projiziert eine Haltung der Hoffnung, die durch all die | |
Spaltungen in der US-amerikanischen Gesellschaft fast in Vergessenheit | |
geraten ist, aber vor allem bei denen gut ankommt, die einst auf der Suche | |
nach einem besseren Leben in die USA kamen. Trotz und für manche von ihnen | |
auch wegen Trump steht die Republikanische Partei für viele von ihnen | |
weiter für den American Dream, für individuelle Freiheit und Erfolg durch | |
harte Arbeit. | |
Die Gefahren einer zweiten Amtszeit Donald Trumps treten dabei für manche | |
in den Hintergrund. Insgesamt blicken Menschen mit Einwanderungsgeschichte | |
im Durchschnitt weit zuversichtlicher in die Zukunft als die weiße | |
Bevölkerungsmehrheit. | |
Die Ausstellung in der Michigan Central scheint bei vielen | |
Besucher*innen vor allem nostalgische Gefühle zu wecken. Die meisten | |
von ihnen sind schon etwas älter, und die große Mehrheit ist weiß, obwohl | |
fast 80 Prozent der Stadtbevölkerung in Detroit African Americans sind. | |
Im Zuge der white flight, weißen Flucht, verlassen seit den 50er-Jahren in | |
den ganzen USA wohlhabendere Weiße die Stadtgebiete und ziehen in die | |
Vorstädte. In und um Detroit verlaufen die ethnischen Trennlinien bis heute | |
besonders deutlich. | |
## Trump meidet die Metropolen | |
Die politischen Fronten verlaufen parallel dazu. In Detroit stimmten mehr | |
als neun von zehn Wähler*innen bei den vergangenen | |
Präsidentschaftswahlen für Joe Biden. Zuletzt hatte Biden zwar auch bei | |
African Americans landesweit an Unterstützung verloren. Kamala Harris | |
scheint diesen Trend jedoch gestoppt zu haben. Anfang August wurde Harris | |
vor einem Wahlkampfauftritt am Flughafen in Detroit von Tausenden | |
Unterstützer*innen empfangen. | |
Trump meidet dagegen im Wahlkampf zumeist die Metropolen, die fast | |
ausschließlich von den Demokraten dominiert werden. Er spricht lieber in | |
Kleinstädten – so wie Howell, rund 80 Kilometer entfernt von Detroit. An | |
einem Nachmittag Ende August hält er dort mit dem örtlichen Sheriff eine | |
Pressekonferenz ab. Die Bevölkerung ist zu fast 90 Prozent weiß, Trump | |
gewann den Wahldistrikt bei beiden vergangenen Präsidentschaftswahlen. | |
In seiner Rede zeichnet Trump ein düsteres Bild von Kriminalität und | |
Korruption unter der Regierung Biden/Harris. Trumps Blick auf die USA ist | |
der eines steten Niedergangs, und die Lösung liegt nicht in der Zukunft, | |
sondern in der Wiederherstellung vergangener Stärke. Make America Great | |
Again. | |
Die Bundesstaaten im Rust Belt – wie die frühere Industrieregion im | |
Nordosten der USA genannt wird, in der auch Detroit ein wichtiges Zentrum | |
war – stehen in dieser Deutung für das vielleicht größte Trauma der weißen | |
Arbeiterklasse: für den Verlust nationaler Vorzeigeindustrien, für | |
Verarmung und Perspektivlosigkeit. | |
## Republikanische Migrationspolitik | |
Weiße Wähler*innen ohne Collegeabschluss sind weiter Trumps | |
Kernunterstützer, und zugleich der Teil der US-Bevölkerung mit dem | |
pessimistischsten Zukunftsausblick. Während viele US-Amerikaner*innen mit | |
Einwanderungsgeschichte von einem besseren Leben träumen, wählt die weiße | |
Arbeiterklasse Trump vor allem aus Wut. | |
Ihr gegenüber spricht Trump weiter unverhohlen von Einwanderung als | |
existenzieller Bedrohung, unterlegt mit dem Szenario, dass Weiße zu einer | |
Minderheit „im eigenen Land“ werden könnten. In Trumps Wahlprogramm zeugen | |
die ersten beiden Punkte in Großbuchstaben recht unmissverständlich von | |
seinen Absichten: „1. DIE GRENZE ABRIEGELN UND DIE MIGRANTENINVASION | |
STOPPEN. 2. DIE GRÖSSTE ABSCHIEBUNGSAKTION IN DER AMERIKANISCHEN GESCHICHTE | |
DURCHFÜHREN.“ | |
Derzeit leben nach Schätzungen rund 11 Millionen Einwanderer*innen | |
illegal in den USA. Selbst in den migrantischen Communitys sprechen sich | |
die meisten Wähler*innen für eine restriktivere Migrationspolitik aus. | |
Noch im Juli unterstützten mehr Latinos Trumps als Bidens Position zu | |
illegaler Einwanderung. Die Unterstützung steht und fällt allerdings mit | |
der Frage, wer genau von Trumps Plänen betroffen wäre. | |
Sollte er auch jene illegal Eingewanderten abschieben wollen, die schon | |
lange in den USA sind, die Arbeit und Familie haben, stößt Trump bei den | |
meisten Latinos und in anderen Communitys of Color auf Widerstand. Doch zu | |
ebendieser Frage macht Trump nur vage und teils widersprüchliche Aussagen. | |
## Fokus auf Arbeiterklasse | |
Auch bei dem Auftritt in Howell schweigt Trump zu den Details seiner | |
geplanten Massenabschiebungen. Der Unterstützung der weißen | |
Kernwählerschaft kann er sich in Migrationsfragen ohnehin gewiss sein. | |
Also beschwört er vor allem die wirtschaftlichen Gefahren für die weiße | |
Arbeiterklasse: „Wenn ich nicht gewählt werde, wird in drei Jahren jeder | |
auto worker in Michigan arbeitslos sein. Alles wird in Mexiko produziert | |
werden, von chinesischen Firmen.“ Trump verspricht, den Handelskrieg gegen | |
China mit noch höheren Zöllen fortzuführen. | |
Asian Americans und speziell chinesischstämmige US-Amerikaner*innen waren | |
vor den letzten Präsidentschaftswahlen besonders Trumps Angriffen | |
ausgesetzt. Er sprach demonstrativ von Corona als dem china virus. | |
Rassistische Übergriffe gegen Asian Americans schnellten in die Höhe. 2020 | |
stimmten geschätzt zwei Drittel von ihnen für Biden. Doch zuletzt hat Trump | |
auch in einigen asiatisch-amerikanischen Communitys an Unterstützung | |
hinzugewonnen. | |
Hong Miller leitet das Gemeinschaftszentrum der Association of Chinese | |
Americans (ACA) in Detroit. Über das Verhältnis zwischen China und den USA | |
nach den Wahlen macht sie sich keine Illusionen. | |
## Das Wahlsystem überfordert | |
Als sie vor gut 20 Jahren in die USA gekommen sei, hielten viele China für | |
einen aufstrebenden Wirtschaftspartner. „China und die USA wirkten wie | |
frisch verheiratet. Heute wirken sie eher wie ein geschiedenes Ehepaar.“ | |
Doch sie spüre in diesem Wahlkampf weniger Feindseligkeit gegenüber | |
asiatischstämmigen Menschen in den USA als vor vier Jahren. „Damals ging es | |
viel um Covid. Heute geht es vor allem um die Wirtschaft.“ | |
Hong Millers Kollege Simon hat für die ACA in den letzten Monaten unter | |
anderem in einem Projekt zur Wahlregistrierung mit der chinesischstämmigen | |
Gemeinde in Detroit gearbeitet. Nach seinen Erfahrungen sind viele der | |
chinesischen Einwander*innen nur wenig mit den Abläufen der US-Politik | |
vertraut. | |
In den USA müssen sich Wähler*innen vor Wahlen selbst ins | |
Wahlverzeichnis eintragen lassen, ein in manchen Staaten komplizierter | |
Vorgang, der einst geschaffen wurde, um gezielt nicht weiße Bürger*innen | |
vom Wählen abzuhalten. Noch heute lassen sich prozentual weniger Menschen | |
aus Communitys of Color als Weiße bei nationalen Wahlen registrieren. | |
Simon selbst kam erst vor einigen Monaten nach mehr als zehn Jahren in | |
Hongkong in die USA zurück. Auch für ihn ist die wirtschaftliche Lage im | |
Land vor den Wahlen das dringendste Problem. „Es ist alles so viel teurer | |
geworden. Die Inflation macht vielen Menschen wirklich zu schaffen.“ Auf | |
die Präsidentschaftswahl selbst blickt er mit wenig Begeisterung. Derzeit | |
würde er weder Harris noch Trump wählen. Trump sei unberechenbar, und | |
Harris müsse erst beweisen, dass sie dem Amt der Präsidentin gewachsen sei. | |
## Das Zentrum der Wokeness | |
Wenn Simon über Kamala Harris spricht, schwingt darin auch die Befremdung | |
über ihren Heimatstaat mit. Kalifornien und besonders San Francisco seien | |
ein Hort der wokeness. Der Ausdruck, entstanden im afroamerikanischen | |
Englisch, bedeutet im Wortsinn wachsam, bezogen auf das Bewusstsein für | |
soziale Gerechtigkeit und Rassismus. | |
In den vergangenen Jahren wird Wokeness vor allem als konservativer | |
Kampfbegriff gebraucht, als Ausdruck von als abgehoben dargestellten | |
Debatten über LGBTQ+- und andere Minderheitenrechte und liberaler Cancel | |
Culture. Kalifornien gilt vielen Konservativen als geistiges Zentrum der | |
Wokeness. | |
Die meisten dieser Angriffe von rechts gehen an den politischen Realitäten | |
vorbei. Kamala Harris etwa war in ihrer Zeit als Staatsanwältin in | |
Kalifornien nie für besonders linke Positionen bekannt. Doch die Attacken | |
verfangen bei vielen, auch bei nicht weißen Wähler*innen. Dass Harris | |
biografisch so eng mit einem der liberalsten US-Bundesstaaten verbunden | |
ist, könnte ihr in den letzten Wochen vor den Wahlen eher schaden als | |
nutzen. | |
Trotz all dem führt sie, Stand Anfang September, in Umfragen in den meisten | |
Swing States, auch in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania, den umkämpften | |
Bundesstaaten im Mittleren Westen. Doch die Abstände sind in keinem der | |
Staaten größer als drei Prozent – und vor den beiden letzten | |
Präsidentschaftswahlen unterschätzten die meisten Umfragen systematisch die | |
Zustimmungswerte für Donald Trump. | |
## Eine Chance für illegale Einwanderer | |
Manuel Noris-Barrera kann verstehen, dass Kalifornien vonseiten der | |
Republikaner oft als liberales Schreckensszenario herangezogen wird. Er | |
will sich vor allem für mehr öffentliche Sicherheit und unternehmerische | |
Freiheit einsetzen. Gleichzeitig distanziert er sich von Donald Trumps | |
abfälligen Äußerungen gegenüber Latinos. | |
Für ihn liegt darin vor allem eine Strategie, um seiner weißen Wählerbasis | |
zu gefallen. Und Trumps Forderungen nach der größten Massenabschiebung in | |
der US-Geschichte? Noris-Barrera winkt mit erstaunlicher Lässigkeit ab. | |
„Nicht machbar.“ Wenn es nach ihm ginge, sollen auch illegal Eingewanderte | |
in den USA eine Chance bekommen, sich eine Zukunft aufzubauen, soweit sie | |
bereit sind, dafür zu arbeiten. Eine Vorstellung, die Trump stets | |
zurückweist. | |
Bei allem Wahlkampfeifer wirkt Noris-Barrera ein gutes Stück weniger | |
verbittert als der republikanische Präsidentschaftskandidat Trump. „Selbst | |
wenn ich nicht gewählt werde, ist diese Wahl ein Erfolg“, sagt er etwa. | |
Allein, dass er für einen Parlamentssitz in Kalifornien kandidiere, zeige | |
doch, wie viel Erfolg man als Einwanderer in den USA haben könne. In seiner | |
Stimme liegt Stolz. Da ist er wieder, der Glaube an den amerikanischen | |
Traum. | |
11 Sep 2024 | |
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Leonardo Pape | |
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