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# taz.de -- US-Präsidentschaftswahl: Der republikanische Traum
> Latinos, Asian Americans und Arab Americans galten lange als größter
> Rückhalt der US-Demokraten. Jetzt wenden sie sich zunehmend Donald Trump
> zu.
Bild: Wunschvorstellung? Der Einwanderer Manuel Noris-Barrera unterstützt Trum…
San Francisco, Dearborn und Detroit taz | Manuel Noris-Barrera schweift mit
dem Blick über die Mission Street in San Francisco. „Ich komme aus Mexiko,
der Nachbar hier aus Nicaragua, der auf der anderen Straßenseite aus
Jordanien. Wir wissen, wie sich Chaos anfühlt.“ Am Fenster seines
Geschäfts, einer Crêperie, hängt ein kleines Schild in den Farben der
US-Flagge. Es wirbt für Stimmen im State Assembly District 17.
Im November tritt Norris-Barrera in dem Wahlbezirk hier bei den
Parlamentswahlen in Kalifornien, zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen,
für die Republikanische Partei an. Weiter unten auf dem Schild stehen seine
Wahlversprechen, unter anderem: „Gesunder Menschenverstand, kein
Berufspolitiker, Unternehmer“.
Noris-Barrera ist ein bulliger Typ Anfang Fünfzig. In seinem Laden trägt er
Jeans und T-Shirt, im Wahlkampf lieber blaue Anzüge mit der Nationalflagge
als Anstecker. Mit 18 ging er auf eigene Faust von Mexiko-Stadt nach
Kalifornien, schlug sich zuerst mit Gelegenheitsjobs durch, verdiente
anschließend sein Geld mit Immobilien. Seit zwölf Jahren betreibt er die
Crêperie in der Mission Street. Der Mission-Distrikt ist einer der größten
Ballungsorte von Latinos und anderen migrantischen Communitys in San
Francisco.
Die Mehrheit der Bewohner*innen hier ist non-white, geschätzt 40
Prozent haben lateinamerikanische Wurzeln. An der Straßenecke ein paar
Meter entfernt von Noris-Barreras Laden prangt ein Wandbild des Musikers
Carlos Santana, der im Mission-Distrikt aufgewachsen ist. Einige Blocks
weiter westlich liegt die Castro Street, einer der Ursprünge der
LGBTQ-Bewegung in den USA.
## Recht und Ordnung
Dass er einmal für einen Parlamentssitz kandidieren würde, damit habe
Norris-Barrera noch vor einem Jahr nicht im Traum gerechnet. Was ihn in die
Politik ziehe, und noch dazu zur Republikanischen Partei im liberalen San
Francisco? „Ich war es müde, den Verfall zu sehen.“ Er wolle helfen, Recht
und Ordnung wiederherstellen, denn die Stadt sei spürbar unsicherer
geworden, teils heruntergekommen. Zumindest in der Mission Street scheint
darin ein Stück Wahrheit zu liegen.
Manches Geschäft ist verwaist, die Fassaden mit Graffiti übersät, es gibt
viel sichtbare Obdachlosigkeit. Kalifornien ist als einer der reichsten
US-Bundesstaaten gleichzeitig einer der ungleichsten. Doch Noris-Barrera
sieht vor allem einen moralischen Verfall am Werk, auch unter Latinos:
„Einige kommen und freuen sich, wenn die Regeln hier nicht so genau
genommen werden.
Man kann einfach wild über die Straße laufen und ohne Erlaubnis draußen
verkaufen, das ist ja wie in Lateinamerika! Aber genau darin liegt das
Problem.“ Er spricht sich für eine größere Polizeipräsenz und penible
Rechtsdurchsetzung aus.
Bei den Vorwahlen für die State Assembly, bei denen sich parteiübergreifend
die zwei Kandidaten mit den höchsten Stimmenanteilen durchsetzen, gewann
Noris-Barreras Gegenkandidat, der Demokrat Matt Haney mit 82 Prozent. Er
selbst kam auf knapp 13 Prozent.
## Zahl der Trump-Unterstützer*innen steigt
Um sich die Nominierung für die Republikanische Partei zu sichern, reichte
es. Bei den eigentlichen Wahlen, Anfang November, sind seine Chancen
überschaubar. In [1][Kamala Harris]’ Heimatstaat, dem liberalen
Kalifornien, führt Noris-Barrera einen etwas einsamen Kampf. „Es ist hier
einfach, Demokrat zu sein, genauso wie es in Texas einfach ist,
Republikaner zu sein“, sagt er nüchtern.
Doch unter Latinos ist Noris-Barrera mit seiner Haltung nicht allein.
Anfang Juli unterstützten US-weit genau so viele Latinos Trump wie Biden,
deutlich mehr als noch bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Das ergeben
Umfragen des Pew Research Center. Nach Bidens Rückzug gibt es noch keine
neuen verlässlichen landesweiten Daten, doch nach Umfragen in einzelnen
US-Bundesstaaten scheint es nicht so, als hätte Harris unter Latinos viele
Wähler*innen zurückgewonnen.
Mittlerweile hat fast ein Fünftel der US-Bevölkerung lateinamerikanische
Wurzeln. Rund 14 Prozent identifizieren sich als African American,
asiatisch- und arabischstämmige US-Bürger*innen kommen auf gut sieben
Prozent. Wenn die demografischen Trends sich fortsetzen, werden die nicht
weißen Minderheiten in den USA in den nächsten zwei Jahrzehnten zur
Bevölkerungsmehrheit.
Noch vor wenigen Jahren sagten manche politische Beobachter*innen
voraus, dass diese aufstrebende Mehrheit der Demokratischen Partei einen
langfristigen politischen Vorteil verschaffen würde. Doch zuletzt wendeten
sich viele von ihnen den Republikanern zu. Besonders in für sie zentralen
wirtschaftlichen Fragen traut in migrantischen Communitys eine große
Mehrheit eher ihnen als den Demokraten zu, die Geschicke des Landes zu
leiten.
## Die Rolle des Gazakriegs
In den Statistiken offenbart sich auch ein Klassenunterschied: Vor allem
nicht weiße Wähler*innen ohne Collegeabschluss wählen zunehmend
konservativ. In den Swing States im Mittleren Westen und im Süden der USA
könnten ihre Stimmen wahlentscheidend sein.
„Ich bin nur ein einfacher Bürger, der die Stimme erhebt gegen den Irrsinn
der letzten Monate.“ Khader Masri spricht gelassen und selbstsicher, er
scheint sich des Gewichts seiner Stimme wohl bewusst zu sein. Seit 35
Jahren arbeitet er im Familienbetrieb Masri Sweets in Dearborn, Michigan,
dem größten Ballungsraum der arabisch-amerikanischen Community in den USA.
Rund 60.000 Arab Americans leben hier, in der einzigen Stadt im Land mit
einer arabischstämmigen Bevölkerungsmehrheit.
Der Irrsinn, auf den Masri anspielt, dreht sich um Israels Militäreinsatz
in den Palästinensergebieten nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober.
Masri stammt ursprünglich aus Nablus im besetzten Westjordanland. Wie die
meisten Arab Americans in den USA verurteilt er Israels militärisches
Vorgehen und die [2][Unterstützung der US-Regierung] für Benjamin
Netanjahu. Masri sagt nicht, wen er selbst wählen will, doch er gibt sich
sicher: „Viele hier unterstützen Trump.“
Auch wenn der Netanjahu stets bedingungslose Unterstützung zusichert,
richtet sich Masris Zorn vor allem gegen die Demokraten. Schließlich trügen
sie die Verantwortung für das Sterben im Gazastreifen. Daran habe auch
Kamala Harris nicht viel geändert.
## Einfluss der arabischen Community
Dearborn liegt nur einige Kilometer entfernt von Detroit. Viele Arab
Americans und Angehörige anderer Minderheiten kamen ursprünglich, um in der
Autoindustrie der Stadt zu arbeiten. Auf ganz Michigan gerechnet haben nur
gut zwei Prozent der Menschen arabische Wurzeln, doch die Community
entfaltet große politische Wirkung. Die Aktivistin Layla Elabed wurde vor
den Vorwahlen der Demokratischen Partei mit der von ihr mitgegründeten
Uncommitted-Bewegung landesweit bekannt.
Mehr als 6.000 demokratische Wähler*innen in Dearborn verweigerten Joe
Biden bei den primaries, den Vorwahlen, ihre Stimme und wählten stattdessen
uncommitted, also keinen der Kandidaten. Im November drohen viele von
ihnen, statt Kamala Harris unabhängige Kandidaten oder gar nicht zu wählen.
Die Demokraten sind in Michigan auf jede Stimme angewiesen. Bei den letzten
Präsidentschaftswahlen gewann Biden hier mit weniger als drei Prozent
Vorsprung, 2016 siegte Donald Trump mit nur 10.704 Stimmen vor Hillary
Clinton.
Die letzten Umfragen in Michigan zeigen zwar einen Stimmungswandel
zugunsten Harris, doch in der arabischstämmigen Community steht sie weiter
unter Druck. Die Bewegung um Layla Elabed protestierte auch am Rande des
Parteitags der Demokraten Ende August in Chicago, und zwang Harris,
Stellung zu beziehen. Diese verurteilte den Terrorangriff der Hamas, und
forderte zugleich ein Ende des Sterbens im Gazastreifen.
Stevie Soul Ansara ist an einem drückend heißen Tag Ende August für eine
Jam Session aus Detroit nach Dearborn gekommen. Auf dem Dachgarten des Arab
American National Museum, das der Geschichte der Community gewidmet ist,
begleitet der Beatbox-Performer improvisierte Gesänge und Lieder der in der
arabischen Welt legendären libanesischen Sängerin Fairuz.
## Älter und konservativer
Wie fast alle bei der Jam Session ist der 36-Jährige in den USA geboren und
aufgewachsen. Ansaras Eltern sind jordanische orthodoxe Christen. Dass
Teile der arabisch-amerikanischen Community Trump trotz dessen Rassismus
für wählbar halten, ist für ihn auch eine Generationenfrage: „Mit den
Jahren, wenn man mehr Geld verdient und älter wird, merkt man, dass viele
Arab Americans recht konservativ eingestellt sind.“
In ihren Augen habe sich die Demokratische Partei in gesellschaftlichen
Fragen immer weiter nach links bewegt. Die Republikaner stehen dagegen für
traditionelle Familienwerte und Law-and-order-Politik. Das findet auch in
anderen migrantischen Communitys Anklang. In den USA sind einige von ihnen,
auch die große Gruppe der Latinos, religiöser und sozial konservativer als
der Gesellschaftsdurchschnitt, ein Phänomen, das sich auch in anderen
Einwanderungsländern beobachten lässt.
Für jüngere Arab Americans sei dagegen der Krieg im Nahen Osten der
entscheidende politische Faktor, glaubt Ansara. „Der Krieg hat die junge
Generation politisiert, sie wird sich ihrer Wurzeln stärker bewusst.“ Und
für viele von ihnen überschatte der Krieg alle anderen Themen. Die
wenigsten von ihnen werden Trump wählen, aber viele könnten Kamala Harris
die Unterstützung verweigern, und Ansara bezweifelt, dass sie mit ihrer
Position im Nahostkonflikt viele Arab Americans überzeugen konnte.
Ansara wohnt in Downtown Detroit. Er hat die Höhen und Tiefen der Stadt
über die Jahrzehnte verfolgt. „Als ich klein war, war Detroit ein ziemlich
heruntergekommener, trauriger Ort.“ Dabei war die Stadt ausgehend von der
frühen Massenproduktion Henry Fords und der Ansiedlung von Chrysler und
General Motors einst eine der reichsten der USA. Doch über die zweite
Hälfte des 20. Jahrhunderts zogen sich die Autokonzerne immer weiter
zurück.
## Aufschwung in Detroit
Für die Stadt bedeutete dies eine lange Zeit des Niedergangs. Erst in den
letzten 10, 15 Jahren gehe es für Detroit wieder wirklich aufwärts, sagt
Ansara. Eines der Symbole für Detroits tiefen Fall war das monumentale
Gebäude der alten Bahnstation Michigan Central. 1988 fuhr dort der letzte
Zug, seitdem stand die Station leer und verfiel.
Vor sechs Jahren begann die Stiftung des Ford-Konzerns mit der Renovierung,
knapp eine Milliarde US-Dollar investierte sie dafür. Vor einigen Wochen
öffnete die Bahnstation, künftig ein Innovationszentrum für aufstrebende
Unternehmen, die Tore für die Öffentlichkeit.
An den Besuchstagen reicht die Schlange am Einlass oft Hunderte Meter weit.
In der Bahnstation stehen Porträts von Menschen, die mit der Michigan
Central verbunden sind und am Wiederaufschwung Detroits mitwirken – quer
durch alle ethnischen Gruppen und Bevölkerungsschichten, geeint durch eine
gemeinsame Kraftanstrengung.
Ein Schweißer aus einer Kleinstadt im Norden Michigans erzählt von den
Renovierungsarbeiten an der Michigan Central, und seine Tochter davon, dass
sie das Erbe seines Handwerks antreten will. Ein Technokünstler erinnert
sich an Underground-Raves in der ehemals verlassenen Bahnstation.
Einwandererkinder denken zurück an ihre Eltern, die über die Michigan
Central nach Detroit kamen.
Die Ausstellung projiziert eine Haltung der Hoffnung, die durch all die
Spaltungen in der US-amerikanischen Gesellschaft fast in Vergessenheit
geraten ist, aber vor allem bei denen gut ankommt, die einst auf der Suche
nach einem besseren Leben in die USA kamen. Trotz und für manche von ihnen
auch wegen Trump steht die Republikanische Partei für viele von ihnen
weiter für den American Dream, für individuelle Freiheit und Erfolg durch
harte Arbeit.
Die Gefahren einer zweiten Amtszeit Donald Trumps treten dabei für manche
in den Hintergrund. Insgesamt blicken Menschen mit Einwanderungsgeschichte
im Durchschnitt weit zuversichtlicher in die Zukunft als die weiße
Bevölkerungsmehrheit.
Die Ausstellung in der Michigan Central scheint bei vielen
Besucher*innen vor allem nostalgische Gefühle zu wecken. Die meisten
von ihnen sind schon etwas älter, und die große Mehrheit ist weiß, obwohl
fast 80 Prozent der Stadtbevölkerung in Detroit African Americans sind.
Im Zuge der white flight, weißen Flucht, verlassen seit den 50er-Jahren in
den ganzen USA wohlhabendere Weiße die Stadtgebiete und ziehen in die
Vorstädte. In und um Detroit verlaufen die ethnischen Trennlinien bis heute
besonders deutlich.
## Trump meidet die Metropolen
Die politischen Fronten verlaufen parallel dazu. In Detroit stimmten mehr
als neun von zehn Wähler*innen bei den vergangenen
Präsidentschaftswahlen für Joe Biden. Zuletzt hatte Biden zwar auch bei
African Americans landesweit an Unterstützung verloren. Kamala Harris
scheint diesen Trend jedoch gestoppt zu haben. Anfang August wurde Harris
vor einem Wahlkampfauftritt am Flughafen in Detroit von Tausenden
Unterstützer*innen empfangen.
Trump meidet dagegen im Wahlkampf zumeist die Metropolen, die fast
ausschließlich von den Demokraten dominiert werden. Er spricht lieber in
Kleinstädten – so wie Howell, rund 80 Kilometer entfernt von Detroit. An
einem Nachmittag Ende August hält er dort mit dem örtlichen Sheriff eine
Pressekonferenz ab. Die Bevölkerung ist zu fast 90 Prozent weiß, Trump
gewann den Wahldistrikt bei beiden vergangenen Präsidentschaftswahlen.
In seiner Rede zeichnet Trump ein düsteres Bild von Kriminalität und
Korruption unter der Regierung Biden/Harris. Trumps Blick auf die USA ist
der eines steten Niedergangs, und die Lösung liegt nicht in der Zukunft,
sondern in der Wiederherstellung vergangener Stärke. Make America Great
Again.
Die Bundesstaaten im Rust Belt – wie die frühere Industrieregion im
Nordosten der USA genannt wird, in der auch Detroit ein wichtiges Zentrum
war – stehen in dieser Deutung für das vielleicht größte Trauma der weißen
Arbeiterklasse: für den Verlust nationaler Vorzeigeindustrien, für
Verarmung und Perspektivlosigkeit.
## Republikanische Migrationspolitik
Weiße Wähler*innen ohne Collegeabschluss sind weiter Trumps
Kernunterstützer, und zugleich der Teil der US-Bevölkerung mit dem
pessimistischsten Zukunftsausblick. Während viele US-Amerikaner*innen mit
Einwanderungsgeschichte von einem besseren Leben träumen, wählt die weiße
Arbeiterklasse Trump vor allem aus Wut.
Ihr gegenüber spricht Trump weiter unverhohlen von Einwanderung als
existenzieller Bedrohung, unterlegt mit dem Szenario, dass Weiße zu einer
Minderheit „im eigenen Land“ werden könnten. In Trumps Wahlprogramm zeugen
die ersten beiden Punkte in Großbuchstaben recht unmissverständlich von
seinen Absichten: „1. DIE GRENZE ABRIEGELN UND DIE MIGRANTENINVASION
STOPPEN. 2. DIE GRÖSSTE ABSCHIEBUNGSAKTION IN DER AMERIKANISCHEN GESCHICHTE
DURCHFÜHREN.“
Derzeit leben nach Schätzungen rund 11 Millionen Einwanderer*innen
illegal in den USA. Selbst in den migrantischen Communitys sprechen sich
die meisten Wähler*innen für eine restriktivere Migrationspolitik aus.
Noch im Juli unterstützten mehr Latinos Trumps als Bidens Position zu
illegaler Einwanderung. Die Unterstützung steht und fällt allerdings mit
der Frage, wer genau von Trumps Plänen betroffen wäre.
Sollte er auch jene illegal Eingewanderten abschieben wollen, die schon
lange in den USA sind, die Arbeit und Familie haben, stößt Trump bei den
meisten Latinos und in anderen Communitys of Color auf Widerstand. Doch zu
ebendieser Frage macht Trump nur vage und teils widersprüchliche Aussagen.
## Fokus auf Arbeiterklasse
Auch bei dem Auftritt in Howell schweigt Trump zu den Details seiner
geplanten Massenabschiebungen. Der Unterstützung der weißen
Kernwählerschaft kann er sich in Migrationsfragen ohnehin gewiss sein.
Also beschwört er vor allem die wirtschaftlichen Gefahren für die weiße
Arbeiterklasse: „Wenn ich nicht gewählt werde, wird in drei Jahren jeder
auto worker in Michigan arbeitslos sein. Alles wird in Mexiko produziert
werden, von chinesischen Firmen.“ Trump verspricht, den Handelskrieg gegen
China mit noch höheren Zöllen fortzuführen.
Asian Americans und speziell chinesischstämmige US-Amerikaner*innen waren
vor den letzten Präsidentschaftswahlen besonders Trumps Angriffen
ausgesetzt. Er sprach demonstrativ von Corona als dem china virus.
Rassistische Übergriffe gegen Asian Americans schnellten in die Höhe. 2020
stimmten geschätzt zwei Drittel von ihnen für Biden. Doch zuletzt hat Trump
auch in einigen asiatisch-amerikanischen Communitys an Unterstützung
hinzugewonnen.
Hong Miller leitet das Gemeinschaftszentrum der Association of Chinese
Americans (ACA) in Detroit. Über das Verhältnis zwischen China und den USA
nach den Wahlen macht sie sich keine Illusionen.
## Das Wahlsystem überfordert
Als sie vor gut 20 Jahren in die USA gekommen sei, hielten viele China für
einen aufstrebenden Wirtschaftspartner. „China und die USA wirkten wie
frisch verheiratet. Heute wirken sie eher wie ein geschiedenes Ehepaar.“
Doch sie spüre in diesem Wahlkampf weniger Feindseligkeit gegenüber
asiatischstämmigen Menschen in den USA als vor vier Jahren. „Damals ging es
viel um Covid. Heute geht es vor allem um die Wirtschaft.“
Hong Millers Kollege Simon hat für die ACA in den letzten Monaten unter
anderem in einem Projekt zur Wahlregistrierung mit der chinesischstämmigen
Gemeinde in Detroit gearbeitet. Nach seinen Erfahrungen sind viele der
chinesischen Einwander*innen nur wenig mit den Abläufen der US-Politik
vertraut.
In den USA müssen sich Wähler*innen vor Wahlen selbst ins
Wahlverzeichnis eintragen lassen, ein in manchen Staaten komplizierter
Vorgang, der einst geschaffen wurde, um gezielt nicht weiße Bürger*innen
vom Wählen abzuhalten. Noch heute lassen sich prozentual weniger Menschen
aus Communitys of Color als Weiße bei nationalen Wahlen registrieren.
Simon selbst kam erst vor einigen Monaten nach mehr als zehn Jahren in
Hongkong in die USA zurück. Auch für ihn ist die wirtschaftliche Lage im
Land vor den Wahlen das dringendste Problem. „Es ist alles so viel teurer
geworden. Die Inflation macht vielen Menschen wirklich zu schaffen.“ Auf
die Präsidentschaftswahl selbst blickt er mit wenig Begeisterung. Derzeit
würde er weder Harris noch Trump wählen. Trump sei unberechenbar, und
Harris müsse erst beweisen, dass sie dem Amt der Präsidentin gewachsen sei.
## Das Zentrum der Wokeness
Wenn Simon über Kamala Harris spricht, schwingt darin auch die Befremdung
über ihren Heimatstaat mit. Kalifornien und besonders San Francisco seien
ein Hort der wokeness. Der Ausdruck, entstanden im afroamerikanischen
Englisch, bedeutet im Wortsinn wachsam, bezogen auf das Bewusstsein für
soziale Gerechtigkeit und Rassismus.
In den vergangenen Jahren wird Wokeness vor allem als konservativer
Kampfbegriff gebraucht, als Ausdruck von als abgehoben dargestellten
Debatten über LGBTQ+- und andere Minderheitenrechte und liberaler Cancel
Culture. Kalifornien gilt vielen Konservativen als geistiges Zentrum der
Wokeness.
Die meisten dieser Angriffe von rechts gehen an den politischen Realitäten
vorbei. Kamala Harris etwa war in ihrer Zeit als Staatsanwältin in
Kalifornien nie für besonders linke Positionen bekannt. Doch die Attacken
verfangen bei vielen, auch bei nicht weißen Wähler*innen. Dass Harris
biografisch so eng mit einem der liberalsten US-Bundesstaaten verbunden
ist, könnte ihr in den letzten Wochen vor den Wahlen eher schaden als
nutzen.
Trotz all dem führt sie, Stand Anfang September, in Umfragen in den meisten
Swing States, auch in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania, den umkämpften
Bundesstaaten im Mittleren Westen. Doch die Abstände sind in keinem der
Staaten größer als drei Prozent – und vor den beiden letzten
Präsidentschaftswahlen unterschätzten die meisten Umfragen systematisch die
Zustimmungswerte für Donald Trump.
## Eine Chance für illegale Einwanderer
Manuel Noris-Barrera kann verstehen, dass Kalifornien vonseiten der
Republikaner oft als liberales Schreckensszenario herangezogen wird. Er
will sich vor allem für mehr öffentliche Sicherheit und unternehmerische
Freiheit einsetzen. Gleichzeitig distanziert er sich von Donald Trumps
abfälligen Äußerungen gegenüber Latinos.
Für ihn liegt darin vor allem eine Strategie, um seiner weißen Wählerbasis
zu gefallen. Und Trumps Forderungen nach der größten Massenabschiebung in
der US-Geschichte? Noris-Barrera winkt mit erstaunlicher Lässigkeit ab.
„Nicht machbar.“ Wenn es nach ihm ginge, sollen auch illegal Eingewanderte
in den USA eine Chance bekommen, sich eine Zukunft aufzubauen, soweit sie
bereit sind, dafür zu arbeiten. Eine Vorstellung, die Trump stets
zurückweist.
Bei allem Wahlkampfeifer wirkt Noris-Barrera ein gutes Stück weniger
verbittert als der republikanische Präsidentschaftskandidat Trump. „Selbst
wenn ich nicht gewählt werde, ist diese Wahl ein Erfolg“, sagt er etwa.
Allein, dass er für einen Parlamentssitz in Kalifornien kandidiere, zeige
doch, wie viel Erfolg man als Einwanderer in den USA haben könne. In seiner
Stimme liegt Stolz. Da ist er wieder, der Glaube an den amerikanischen
Traum.
11 Sep 2024
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Leonardo Pape
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