| # taz.de -- Spaziergang mit Streamingabo: Dieser Roboter ist nicht mein Freund | |
| > Ob Bach oder Beatles: Auf den Streamingdiensten ist Musik jederzeit | |
| > verfügbar. Ein ständiges Hörerlebnis, selbst wenn man mal auf ein | |
| > Wildtier trifft. | |
| Bild: Der Fuchs scheint eher ein Tom-Waits-Typ zu sein | |
| Unentschlossen schaut der Fuchs auf die halb verweste Ratte. Dann zu mir. | |
| Dann wieder zur Ratte. Und wieder zu mir. Aber ich weiß es doch auch nicht. | |
| „Kannste ganz allein für dich haben“, will ich ihm zurufen. Da wendet er | |
| sich ab und trottet langsam in Richtung des Großen Sterns. Nach ein paar | |
| Schritten dreht er sich herausfordernd um. Die aufgehende Sonne schillert | |
| [1][durch die Bäume im Berliner Tiergarten]. Ich sehe meinen Atem, während | |
| ich wenige Meter hinter dem Tier bleibe. Wir haben denselben Weg. | |
| ## Play. | |
| Die Wege wie mit Samt ausgeschlagen, herbstbelaubte Äste bilden bunte | |
| Tunnel. Gekauft hatte ich schon die Platte, dann die CD und jetzt bezahle | |
| ich also noch einen Streamingdienst dafür, dass Bachs Brandenburgische | |
| Konzerte auf Knopfdruck zur Verfügung stehen. Karajan wartet ungeduldig am | |
| Pult. Der Fuchs und ich, wir gehen nicht, nein, wir schreiten. Wie Fürsten, | |
| absolute Herrscher, beim Lustwandeln durch Gärten im französischen Stil. | |
| Rüschen, riesige Reifröcke, turmhohe Perücken; all-inclusive zum Barock ’n… | |
| Roll. Zu jeder Zeit warten ein paar Musiker auf ihren Einsatz. Das Beste | |
| aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert halten sie vor. Kurz vor Moabit glänzt | |
| Versailles. Und wenn ich will, Woodstock, Glastonbury und die Loveparade | |
| dazu. | |
| ## Pause. | |
| Vollautomatisierte Playlists spülen mir die [2][immer gleichen neuen | |
| Entdeckungen auf die Ohren]. Dieser Roboter ist nicht mein Freund. Er | |
| kassiert allein für EMI, Sony, Universal und Warner. Die Künstler*innen | |
| würden an jeder Ecke hier im Park mehr pro Lied verdienen. Ein paar Dukaten | |
| hab ich immer griffbereit im Strumpfband. Wenigstens müssen die | |
| Philharmoniker nicht hungern. | |
| ## Play. | |
| Der Fuchs scheint mehr ein Tom-Waits-Typ zu sein, aber tolerant. Oder | |
| gerade deshalb. Es ist ihm egal, was ich höre, er hat seinen eigenen | |
| Rhythmus. Weitläufig umgehen wir die Absperrungen rund ums Schloss | |
| Bellevue. Staatsbesuch. Das Tier streunt, schaut hier und da. Räumt ein | |
| bisschen Aas und Gerümpel weg. Kaum jemand sieht ihn. Mein innerer Fürst | |
| bleibt als Echo auf den Kopfhörern, als ich den Park verlasse. Das hält bis | |
| vor das verspiegelte Bürohaus. Bis hierhin folgt der Fuchs. Er verschwindet | |
| auf dem Wirtschaftshof. Für mich heißt es Glastür, Empfang, Fahrstuhl, „The | |
| Girl from Ipanema“ ein letztes Mal. | |
| ## Mute. | |
| Skip. Skip. Skip. Play. | |
| Endlich wieder draußen. Freiheit, Freiheit, A-l-g. Das Streamingabo ist | |
| gestrichen, das Strumpfband enger geschnürt. Doch wieder die CDs | |
| entstauben, digitalisieren [3][und auf den ranzigen MP3-Player überführen]. | |
| Noch einmal über den Bach schreiten, einmal schweben. Die Sonne steht | |
| inzwischen hoch über den Bäumen, blendet. Die Ratte ist verschwunden. Keine | |
| Ahnung, wo der Fuchs ist. Treibt sich vielleicht noch bei den Mülltonnen | |
| rum. Ich weiß aber, dass ich nicht nach ihm schauen muss. Er wird mich | |
| finden. Wir haben Zeit. | |
| Volume up up up. | |
| 30 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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