# taz.de -- Hausbesuch bei Oma: Ein CDU-Bürgermeister als Vorbild für den Enk… | |
> Beim Geburtstagsbesuch des Bürgermeisters redet die Großmutter unseres | |
> Kolumnisten Klartext. Mit Erfolg! Zwischen kaputten Wegen und | |
> Digitalisierung bleibt sie auf Trab. | |
Bild: Kaffee und Kuchen mit dem Bürgermeister zum Geburtstag | |
Sie ist sich sicher: „Den bring ich schon auf Trab!“ Sie meint den | |
Bürgermeister des Städtchens. In ihrem Alter muss der am Geburtstag mit | |
Blumen zum Gratulieren vorbeikommen. Kaffee gibt’s und Kuchen. „Na, wie war | |
das denn früher, Frau T.?“, fragt der Politiker mit jovialer Langeweile in | |
der Stimme. Er hofft, dass der Assistent ihn vielleicht schon vor den | |
verabredeten 17 Minuten mit Hinweis auf ein dringendes Telefonat befreit. | |
Frau T. hat nicht vor, mit dem Mann über früher zu plaudern. Sie bietet | |
Eierlikör an. Der Bürgermeister seufzt das ergebene Seufzen des duldsamen | |
Volksvertreters. Die Laune steigt. Es ist der dritte Geburtstag heute. Der | |
Assistent wedelt nervös mit dem vibrierenden Smartphone. | |
„Ja, haben Sie denn noch etwas auf dem Herzen?“ Sie hat. Vor den Häusern | |
der Wohnungsbaugenossenschaft – sie sagt immer noch AWG, das A steht für | |
„Arbeiter“ – sind [1][die Wege beschädigt]. Das Laufen ist schon | |
beschwerlich genug, aber nun muss sie auch noch den Blick ständig auf den | |
Boden gerichtet halten, um nicht über die Unebenheiten zu stolpern. Das | |
sollte man unbedingt mal richten, es leben viele Alte hier im Viertel. | |
„Ja, kein Problem!“, verspricht der Bürgermeister, bevor er das dritte Glas | |
im Gehen hinunterstürzt, „Da machen wir eine Taskforce.“ Sie weiß nicht | |
so genau was das ist, eine Taskforce. Aber später meint sie zu mir, das der | |
Mann doch ganz entschlossen wirkte. Wie sie selber. | |
## Auch die CDU kann was | |
Ihre handschriftlich verfasste Steuererklärung gibt sie jedes Jahr gleich | |
im Januar ab, persönlich beim Finanzamt. Trotz der eingeschränkten | |
Mobilität weiß sie sich zu helfen. Sie versucht, so gut es eben geht, gegen | |
den immer enger werdenden Bewegungsradius anzukämpfen. Ohne ihre | |
Kontaktfreudigkeit wäre der [2][noch eingeschränkter]. | |
Sie genießt die Sonne, inzwischen öfter auf dem Balkon als unten in der | |
Kleingartenanlage. Fährt [3][mit dem Bus] die Strecken, die sie noch vor | |
zwei Jahren zügig gelaufen wäre. Ein Nachbar bringt manchmal was mit aus | |
dem Supermarkt. „Kaufhalle“, berichtigt sie mich und ärgert sich, dass es | |
Sonderangebote nur mit einer App gibt. | |
Ein Mobiltelefon hat sie draußen sicherheitshalber immer dabei. Um dessen | |
Guthabenstand zu überprüfen, benötigt sie mich. Das geht nur am Computer, | |
und sie hat keinen. Fahrkarten kann sie deshalb auch nicht mehr ohne | |
Weiteres kaufen. Der Schalter am Bahnhof hat schon vor Jahren dichtgemacht, | |
das Reisebüro an seiner Stelle verlangt einen saftigen Aufschlag. Aber | |
genug davon, lieber noch einen Eierlikör. Ich glaube, sie kennt den | |
Ausdruck „Flatrate“ nicht. | |
Ein paar Monate später höre ich am Telefon, dass die Taskforce die Wege | |
zumindest provisorisch repariert hat. Obwohl ein CDU-Mann, ist er jetzt | |
also voll in Ordnung, der Herr Bürgermeister. „Der ist sogar jünger als du. | |
Und auch viel sportlicher.“ Eigentlich wollte ich meiner Großmutter | |
anbieten, dass wir ihre nächste Steuererklärung mit meinem Elsteraccount | |
machen und digital abgeben können. Aber die Bewegung tut ihr doch ganz gut. | |
Da bleibt sie auf Trab. | |
24 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Gericht-staerkt-Fussgaenger/!6015751 | |
[2] /Digitalisierung-von-Alltagserledigungen/!5800675 | |
[3] /Barrierefreier-Nahverkehr-in-Berlin/!6018766 | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
## TAGS | |
Kolumne Autokorrektor | |
Altern | |
Technik | |
CDU | |
Social-Auswahl | |
Alexanderplatz | |
Kolumne Autokorrektor | |
Kolumne Autokorrektor | |
Kolumne Autokorrektor | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Menschheitsfragen und KI: DDR-H-Milch und der Markt von Milet | |
Gibt die KI Antworten? Nein, sie gibt bis zur Unkenntlichkeit verdaute | |
Daten, die durchaus passen können. Oder auch nicht. | |
Das Ende der sozialen Medien: Enshittification | |
Twitter, Facebook und Insta sind unbenutzbare Kloaken voller Werbung und | |
KI-Müll. Dabei waren sie mal Werkzeuge der Vernetzung und Entdeckung. | |
Spaziergang mit Streamingabo: Dieser Roboter ist nicht mein Freund | |
Ob Bach oder Beatles: Auf den Streamingdiensten ist Musik jederzeit | |
verfügbar. Ein ständiges Hörerlebnis, selbst wenn man mal auf ein Wildtier | |
trifft. | |
Lesen mit Piratendreisatz: Kopieren, teilen, sichern | |
Bücher knicken, stauben und sind schwer. Doof, wenn der E-Book-Reader | |
kaputt ist! Auch wenn die Akkustik(abwehr) nicht von ihm profitiert. |