| # taz.de -- Das Comeback der CD: Totgesagte leben länger | |
| > Erst Vogelscheuche, dann Designklassiker. Das gilt auch für die CD. | |
| > Plädoyer für einen Silberling. | |
| Bild: CD-Inseln in Kaufhäusern sind inzwischen komplett verschwunden | |
| Dieser Text beginnt mit einem Geständnis: Ich habe mich in den vergangenen | |
| 18 Monaten von meiner Plattensammlung verabschiedet. Habe ausgemistet, | |
| einige 12-Zoll-Maxis und Collector’s Boxen verkauft, manche verschenkt, die | |
| Cheapos biete ich hiermit als Altvinyl zum Recycling feil. | |
| Es war an der Zeit, sich von den alten Scheiben zu trennen, selbst wenn | |
| mein Vinyl-verliebter Freundeskreis mit Unverständnis reagierte. Seitdem | |
| ich meinen DJ-Kopfhörer an den Nagel gehängt habe, standen meine Platten | |
| nur noch lästig auf ihrer Seite, im für Vinylsammler*innen nachgerade | |
| unumgänglichen Regal eines schwedischen Möbelhauses. | |
| Die Alben wurden das, was sie partout nicht sein sollten, nicht sein | |
| dürfen: Staubfänger. Mit der Abkehr von der Kulturform DJ-ing fiel auch der | |
| Druck weg, den immer neuen heißen Scheiß spielen zu müssen. Stattdessen | |
| machte ich mich auf die Suche nach Musik, die – zumindest für mich – | |
| wirklich von Belang war. | |
| Eine dort einsetzende Renaissance, von der gleich noch die Rede sein wird, | |
| führt mich also zurück in die Zeit meiner ersten Besuche bei WOM, | |
| Saturn-Hansa und beim kleinen CD-Laden, der auf meinem Schulweg lag. Als | |
| Schüler raffte ich einmal im Jahr das Taschengeld zusammen, um meinem Vater | |
| die Lieblingsalben seiner Jugend, frisch digitalisiert, neu gemastert und | |
| auf einen Silberling gebannt, zu schenken. | |
| ## Die Hochzeit der Majors und Indies | |
| „Samba Pa Ti“ von Santana, Ten Years After, Queen, so was halt; dazu | |
| gesellte sich aus mir heute schleierhaften Gründen „We’ll Never Stop Living | |
| This Way“ von Westbam. So um 1995 war die Zeit, als Alben – neu und alt – | |
| in Massen in die Läden gebracht wurden, damit Jungs ihren Vätern Musik | |
| schenken konnten und die Majors (aber auch die Indies) die höchsten Umsätze | |
| ihrer Firmengeschichte einfahren durften. | |
| Später nahm ich für noch mehr CDs – aber auch für Baggypants und | |
| Skate-Shirts – einen Schülerjob auf: Ich fuhr jeden Donnerstag | |
| Zeitschriften an Senior*innen aus, damit ich auch irgendwann eine | |
| Sammlung, so groß wie jene meines Großvaters, mein Eigen nennen dürfte. | |
| Dieser hatte bis zu seinem Tod einen ganzen Raum mit mehreren tausend Alben | |
| und entsprechender Hi-Fi-Anlage gepflegt. | |
| Der Drang, sein Geld in Musik zu investieren, ob als Monteur oder als | |
| Zeitungsausträger verdient, ist anscheinend familiär veranlagt. Rund um die | |
| Jahrtausendwende war eine Entwicklung in Gange, die unterdessen alles | |
| verändern sollte: Die Musikindustrie geriet in eine Krise. Für die Labels | |
| waren in Napster und eMule illegale Tauschbörsen und deren Nutzer*innen | |
| als die Schuldigen schnell ausgemacht. Dass man selbst mit der konstanten | |
| Ausbeutung des eigenen Backkatalogs zwei Jahrzehnte Reibach gemacht hatte, | |
| verschwieg die Musikindustrie an der Stelle gerne. | |
| Der Sündenbock Filesharing täuschte darüber hinweg, dass man „Samba Pa Ti�… | |
| eben nur ein einziges Mal verschenken kann. Die Folgen der Krise waren | |
| jedenfalls deutlich in der Brieftasche zu spüren: Abgesehen von den | |
| Rabattinseln, von denen es im Saturn in Köln so etwa zehn Stück gab, wurden | |
| CDs sukzessive unerschwinglicher. | |
| ## Erfolgreiches Revival des Vinyls | |
| Die Lösung kam in Form von Vinyl, dessen [1][erfolgreiches Revival] in den | |
| Nullerjahren seinen Anfang nahm: Indierock, Punk und Electronica-Platten | |
| waren lange Jahre ein gutes Stück billiger als ihre Pendants im | |
| quietschigen Jewelcase oder dem ungeliebten Digipak. Es wuchs | |
| unerwarteterweise eine Plattensammlung, während die CD aus den heimischen | |
| Gefilden verschwand. | |
| 2015 habe ich selbst einen Großteil meiner CDs in die Gelbe Tonne getan; | |
| einen Player besaß ich da schon länger nicht mehr. Selbst Laptops haben in | |
| der Zwischenzeit kein CD-/DVD-Laufwerk mehr. Freunde meinten scherzhaft, | |
| dass man aus den CDs noch Untersetzer machen könne – oder | |
| Lichtspiel-Vogelscheuchen für den heimischen Balkon. Die CD war zu einem | |
| müden Witz verkommen. | |
| Heute, zehn Jahre später, ist der „full circle“ fast beschritten: CD-Inseln | |
| in Kaufhäusern sind komplett verschwunden; auch die Tonträgerabteilung von | |
| Saturn am Kölner Hansaring, einst Deutschlands größtes Musikfachgeschäft, | |
| ist der Rede nicht mehr wert und sieht nun so aus wie Nudel- und | |
| Toilettenpapierregale im Supermarkt während des Lockdowns. | |
| ## Streaming und Download | |
| Streaming und Download, die digitalen Distributionswege, bestimmen mit über | |
| 80 Prozent Marktanteil Erlöse, Charterfolge und Bekanntheitsgrad aller | |
| Künstler*innen. [2][Dabei gibt es genug Kritikpunkte an | |
| Streamingplattformen und ihren Machenschaften.] | |
| Vinyl hat in den USA und Großbritannien bereits 2022, nach genau 40 Jahren, | |
| die CD als wichtigsten physischen Tonträger verdrängt, in Deutschland | |
| dürfte es 2025 so weit sein. Zuletzt verzeichnete die CD jährliche | |
| Umsatzrückgänge von 20 Prozent im Durchschnitt. | |
| Doch wie [3][Ton Steine Scherben] schon richtig erkannten, ist immer dann | |
| der Tag am nächsten, wenn die Nacht am tiefsten ist. Woher ich das weiß? | |
| Ich habe mir das entsprechende Album gerade erst Secondhand bestellt – | |
| natürlich als CD. Der Preis war läppisch: 5 Euro. Damit ist „Wenn die Nacht | |
| am tiefsten …“ einer von vielen kleinen Bausteinen einer sich gerade neu | |
| entfachenden Liebe für das Albumformat, für Soundvergnügen in High | |
| Fidelity, für präzisen, klaren Klang, kurzum: für eine neue CD-Sammlung. | |
| Die Preise sind im Keller, [4][die Mouse-on-Mars-Diskografie] bekommt man | |
| für 50 Euro all together auf CD, ganz zu schweigen von den Schnäppchen bei | |
| Jazz und Klassischer/Neuer Musik. Jahrhundertwerke für den Preis eines | |
| halben Pfunds Butter. | |
| ## CD-Produktion ist einfach billiger | |
| Am Horizont ein Raunen, mehrere Musiker*innen und | |
| Labelmacher*innen verraten hinter vorgehaltener Hand, dass sie bald | |
| auch wieder auf CDs setzen werden. Für die Produktion von 300 Stück Vinyl | |
| zahlt man circa 2.000 Euro, für 300 CDs muss man nur 500 Euro berappen. Für | |
| kleinere Labels ein gehöriger Unterschied. Mal ehrlich, eigentlich seien | |
| CDs ja eben auch ein cooles Medium, höre ich am Rande einer Party. Eben! | |
| Meine Rede. | |
| Selbst Gen Zler erkennen das inzwischen auch an: Nicht nur bei Insta und | |
| Tiktok ist ein kleiner Hype um Discmans entbrannt, auf dem Kölner | |
| Designfestival Passagen hatte im Januar eine Gruppe Frühzwanziger einige | |
| Entwürfe für ein längst ausrangiertes Möbelstück vorgestellt. Es handelte | |
| sich um futuristisch anmutende CD-Regale. Ich beschwöre einen neuen Hype an | |
| dieser Stelle gerne herauf und möchte mein Plädoyer mit einem guten Tipp | |
| abschließen: Passt auf, dass die Dinger nicht verkratzen. Das nervt noch | |
| genauso wie 1999. | |
| 15 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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