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# taz.de -- Hype um Naturwein: Getrübte Freude
> Für manche ist Naturwein längst kein neuer Trend mehr, für manche noch
> völlig unbekannt. Unserem Kolumnisten schmeckt er jedenfalls
> ausgezeichnet.
Bild: Frische Trauben: Naturwein bedeutet bei Anbau und Herstellung wird wenig …
Die Zukunft ist schon da, sie ist bloß nicht gleichmäßig verteilt – dieses
so kluge Zitat [1][des Cyberpunkpioniers William Gibson] gilt natürlich
auch für Foodtrends. Besonders augenfällig finde ich das aktuell [2][bei
Naturwein]. In einem sehr kleinen Teil Deutschlands, in dem ich zufällig
lebe, wäre ich mir sogar beim Start dieser Kolumne vor drei Jahren komisch
vorgekommen, Naturwein noch als neuen Trend zu bezeichnen. Gleichzeitig bin
ich mir sicher, dass die meisten Deutschen noch nie davon gehört haben und
erst recht keinen getrunken. Dafür spricht auch, dass erst vor Kurzem
[3][auf Deutschlandfunk Nova] und [4][im Lokalteil der SZ] grundlegende
Naturwein-Erklärbeiträge erschienen sind.
Dabei gibt es Naturwein im Prinzip seit über hundert Jahren. Bei Anbau und
Herstellung wird möglichst auf Dinge verzichtet, also: keine Pestizide,
keine Zugabe speziell gezüchteter Hefen, die Trauben vergären spontan, und
möglichst auch nicht von Sulfiten, welche die Gärung und Oxidation eines
Weines bremsen. Gefiltert wird er auch nicht.
Das Ergebnis ist im Glas meist trübe und hat im Mund oft nur entfernte
Ähnlichkeit mit klassischem Wein. Es erinnert eher an vergorene
Traubensäfte, mitunter kommt es Cider nahe, generell ist Naturwein saurer,
weniger glatt. Und die orangefarbenen Sorten – das sind Weißweine, die wie
Rotweine hergestellt werden – können komplette Wundertüten sein.
Ein wenig erinnert das Ganze an [5][den Craft-Beer-Trend von vor 10 bis 15
Jahren]. Ein etabliertes alkoholisches Getränk wird von den
Gleichförmigkeiten und Gefälligkeiten des Massenmarktes befreit, das
Geschmacksspektrum erweitert. Die Flaschen werden mit bunten Etiketten
versehen und teuer an ein internationales Großstadtpublikum verkauft.
Ich muss sagen: So sehr ich auch versuche, kritische Distanz zu bewahren,
don’t belive the hype und so, ich kann es nicht. Ich finde Naturwein leider
geil, fresh, ein wirkliches Upgrade.
In dem kleinen Teil Deutschlands, in dem ich zufällig lebe, im Norden von
Berlin-Neukölln nämlich, hat sich rund um den Naturwein inzwischen auch ein
veritabler Ausgehtrend entwickelt. Weinbars sind wieder ein Ding, wobei der
Übergang vom Laden, der auch ausschenkt, zum Ausschankort, der auch
Flaschen verkauft, fließend ist. Bloß leider kostet dort ein
0,15-Liter-Glas in der Regel ab 8 Euro aufwärts, und das ist mir dann doch
zu krass.
Stattdessen habe ich neulich für ein paar Euro meinen ersten Essig auf
Naturweinbasis gekauft. Auch ungefiltert, auch lecker, auch geschmacklich
total überraschend. In diesem Fall habe ich aber schnell festgestellt, dass
das wohl [6][am zerstoßenen Sternanis] liegt. Er hatte sich im trüben
Bodensatz der Flasche versteckt.
10 Sep 2024
## LINKS
[1] /25-Jahre-Neuromancer/!5160407
[2] /FAQ-zu-Naturweinen/!5925415
[3] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/naturwein-was-das-ist-und-wie-er…
[4] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-orange-wine-forever-thirsty-n…
[5] /Konkurrenz-auf-dem-Biermarkt/!5010566
[6] /Sternanis-als-Gewuerz/!5976743
## AUTOREN
Michael Brake
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