# taz.de -- Brombeerkoalitionen aus CDU und BSW: Letztes Mittel gegen die AfD | |
> In Erfurt und Sachsen werden CDU und BSW Notkoalitionen bilden, die wenig | |
> verbindet. Doch nur so kann man die AfD von der Macht fern halten. | |
Bild: Wahlabend in Erfurt: Mario Voigt von der CDU und Katja Wolf vom BSW stehe… | |
In Dresden und Erfurt [1][werden CDU und BSW versuchen], Regierungen zu | |
bilden. Das wird ein zäher Prozess, der Monate dauern kann. Die | |
Regierungen, die dort vielleicht entstehen, werden Negativkoalitionen sein | |
– gebildet, um die Rechtsextremen von der Macht fernzuhalten. | |
Für dieses politische Experiment sind CDU und BSW [2][nicht gut | |
präpariert.] Die CDU darf in Thüringen wegen eines surrealen | |
Unvereinbarkeitsbeschlusses zwar mit den Putin-Fans des BSW regieren, nicht | |
aber mit der Linkspartei von [3][Bodo Ramelow, der als Landesvater] | |
christlicher als die CDU und sozialdemokratischer als die SPD wirkte. Das | |
westdeutsche Parteiensystem hat im Osten mitunter dysfunktionale Effekte. | |
Ein Problem auf dem Weg zu stabilen Regierungen ist Sahra Wagenknechts | |
Ansage, dass sich CDU und SPD gegen die Stationierung von US-Raketen und | |
gegen mehr Waffen für die Ukraine bekennen müssen. Realpolitisch hat das | |
wenig Sinn. Die US-Raketen werden im Westen stationiert, die CDU ist dafür | |
nicht verantwortlich. Und selbst wenn Sachsen und Thüringen im Bundesrat | |
Initiativen für weniger Waffen und Raketen einbringen würden – sie würden | |
abgelehnt. Ende der Durchsage. | |
Doch Wagenknecht braucht „Frieden“ als sinnstiftende Chiffre, um den Graben | |
zwischen der populistischen Hybris, dass alles mit einem Fingerschnipsen | |
ganz anders sein könnte, und der kleinteiligen Landespolitik (keine Tablets | |
in Grundschulen) zu überbrücken. Das BSW lebt von dem Versprechen radikaler | |
Komplexitätsreduzierung, der Illusion, die Mühen politischen Handelns in | |
Mehrebenensystemen könnten einfach weggepustet werden. | |
## Die „Alle gegen Eine“-Koalition | |
Es kann am Ende in Erfurt und Dresden stabile Regierungen geben, als | |
Koalitionen oder mit verbindlichen Tolerierungen. Dafür wird geschickte | |
Wortdrechslerei nötig sein, um die für die CDU heilige Westbindung und | |
BSW-Friedensparolen in Kompromissformeln zu verknüpfen. Auch das BSW kann | |
mitspielen. | |
Die Rolle als Juniorpartner in einer Landesregierung gefährdet zwar | |
Wagenknechts Stilisierung als moralischer Konterpart der Mächtigen. Ob sie | |
die Regierungsbeteiligungen will, ist offen. Und das BSW ist eine autoritär | |
geführte Top-down-Organisation. | |
Aber wenn die BSW-Fraktionen in Erfurt und Dresden mitregieren wollen | |
(wofür einiges spricht), haben sie Druckmittel in der Hand. Zoff oder gar | |
eine Spaltung würden Wagenknechts Chancen bei der Bundestagswahl 2025 | |
ruinieren. Rhetorisch rüstet die BSW-Spitze gerade ab: Man biegt von „Keine | |
Waffen für die Ukraine“ zur Formel „Mehr Diplomatie“ ab. | |
Aber lohnt das? Für das Gelingen dieser Anti-AfD-Regierung müssen sich alle | |
Beteiligten bis an die Schmerzgrenze verrenken. Die | |
Alle-gegen-einen-Dramaturgie bekräftigt die Opfererzählung der AfD. | |
Vielleicht macht dieses letzte Antifa-Aufgebot die AfD in fünf Jahren ja | |
noch stärker. Vielleicht haben gerade Regierungen, in denen zusammenkommt, | |
was nicht zusammengehört, den Effekt, zu beflügeln, was verhindert werden | |
soll. | |
## Die Alternative könnte ein Faschist als Ministerpräsident sein | |
So kann es kommen. Aber was ist die Alternative? Christdemokraten wie | |
Roderich Kiesewetter fordern einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW, | |
[4][weil man mit Putin-Anhängern nicht regieren dürfe]. Solche politischen | |
Selbstfesselungen richten in diesem unübersichtlichen Gelände Schaden an. | |
Der Preis wäre eine Lähmung der Demokraten. | |
Falls sich CDU, BSW, SPD und Linkspartei in Erfurt politisch blockieren, | |
[5][könnte Björn Höcke sogar Ministerpräsident werden]. Dann könnten den | |
Rechtsextremen in einem dritten Wahlgang ihre eigenen Stimmen reichen. | |
Die Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen 2020 hat gezeigt, | |
dass böse Überraschungen möglich sind. | |
Man sollte nach den AfD-Erfolgen erkennen, dass Dämonisierungen nicht viel | |
nutzen. Brandmauern zu beschwören, wenn AfD-Kandidaten fast 50 Prozent | |
bekommen, ist bloße moralische Selbstertüchtigung. Aber Höcke als | |
Ministerpräsident, selbst wenn er machtlos, weil ohne Mehrheit wäre? Das | |
ist mehr als fahrlässig. Höcke ist der radikalste Vertreter des | |
faschistischen Flügels der AfD. Er zielt auf ein ethnisch bereinigtes | |
Deutschland, er will die Demokratie zerstören. | |
Die Erwartung, dass sich Faschisten im Amt selbst entzaubern, ist in | |
Deutschland schon einmal herb enttäuscht worden. Wenn demokratische | |
Parteien zulassen, dass in Erfurt ein Faschist an die Macht kommt: Wie soll | |
die Union die AfD dann anderswo auf Distanz halten? | |
Kurzum: Die CDU-BSW-SPD-Regierungen sind nicht schön, aber nötig. Sie sind | |
der Griff zur Notbremse. Die Gefahr, dass der Zug sonst entgleist, ist | |
real. | |
Mehr zu Thüringen und Sachsen nach den Wahlen im [6][Bundestalk, dem | |
politischen Podcast der taz]. | |
7 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sollen-CDU-und-BSW-koalieren/!6031246 | |
[2] /Thueringen-und-Sachsen/!6031290 | |
[3] /Bodo-Ramelow-nach-Thueringen-Wahl/!6033631 | |
[4] /Ruprecht-Polenz-ueber-Koalition-mit-BSW/!6032361 | |
[5] /Szenario-eines-AfD-Ministerpraesidenten/!6033167 | |
[6] /Podcast-Bundestalk/!6034965 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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