# taz.de -- Ruprecht Polenz über Koalition mit BSW: „Dann muss die CDU in di… | |
> Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz ist strikt gegen eine | |
> Koalition seiner Partei mit dem BSW. Selbst wenn dann die AfD regieren | |
> würde. | |
Bild: Und nun? Spitzenkandidatenrunde nach der Thüringer Landtagswahl am 1. Se… | |
taz: Herr Polenz, in der CDU gibt es einige Aufregung, weil [1][Ihre Partei | |
in Sachsen und Thüringen wohl mit dem BSW zusammenarbeiten muss], um eine | |
Regierung bilden zu können. Wie sehen Sie das? | |
Ruprecht Polenz: Sehr kritisch. Das BSW steht eigentlich gegen alles, was | |
man als DNA der CDU bezeichnen kann: Westbindung, eine starke Europäische | |
Union, Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft und eben auch einen Umgang | |
miteinander, der nicht populistisch sein soll. | |
taz: Über die [2][Westbindung, also die Integration der Bundesrepublik in | |
politische, ökonomische und militärische Bündnisse nach 1949, wird nicht in | |
den Landtagen in Erfurt und Dresden entschieden]. | |
Polenz: Wir sind in einer Situation, die der Bundeskanzler als Zeitenwende | |
beschrieben hat. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben wir auf einen | |
stabilen Frieden gehofft, auf territoriale Unversehrtheit und | |
Menschenrechte, so wie es in der [3][Charta von Paris] steht, die die | |
Sowjetunion noch unterschrieben hat. Diese Zeit ist vorbei. Die Annexion | |
der Krim und dann 2022 die große Invasion von Russland gegen die Ukraine, | |
das ist eine tektonische Veränderung, der wir Rechnung tragen müssen: durch | |
eine Unterstützung der Ukraine und durch eine Stärkung unserer | |
Verteidigungsfähigkeit. Dagegen steht Sahra Wagenknecht. | |
taz: Was heißt das genau? | |
Polenz: In jeder ihrer Stellungnahmen heißt es, dass man der Ukraine keine | |
Waffen mehr liefern dürfe, und sie ist auch gegen eine [4][Stationierung | |
von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland], die eine Antwort auf die | |
russischen Raketen sind, die schon seit Langem in Verletzung der | |
Abrüstungsverträge in Kaliningrad stationiert sind. Frau Wagenknecht hat | |
das im Wahlkampf selbst zu einem zentralen Thema gemacht. Sie nennt das | |
Friedenspolitik, aber in Wirklichkeit ist das, was sie vorschlägt, ein | |
Rezept dafür, den Krieg weiter nach Europa zu lassen und Putin zu | |
ermutigen, weiterzumachen. | |
taz: Das ist alles keine Landespolitik. Sollte es nicht um die gehen? | |
Polenz: Die CDU muss in sich konsistent arbeiten, damit sie glaubwürdig | |
bleibt. Frau Wagenknecht will, dass die Koalitionsverträge Passagen | |
enthalten, die das beinhalten, was ich gerade als ihre Position beschrieben | |
habe. Zudem ist es schwer, glaubwürdig zu erklären, dass eine | |
Zusammenarbeit auf Bundesebene wegen dieser außenpolitischen Ansichten | |
undenkbar ist, aber auf Landesebene machen wir das. Diese Fragen sind so | |
grundsätzlich, die können wir auf Landesebene nicht ausblenden. Außerdem | |
ist es wichtig, dass wir bei der Unterstützung der Ukraine glaubwürdig und | |
standfest gegenüber Putin bleiben. Der ist es doch, der sich freut. | |
taz: Sahra Wagenknecht selbst wäre weder in Thüringen noch in Sachsen an | |
der Regierung beteiligt. Müsste man nicht über die Personen reden, um die | |
es konkret geht: Katja Wolf, die BSW-Spitzenkandidatin in Thüringen, war | |
bislang Oberbürgermeisterin von Eisenach und hat den Ruf, eine ganz | |
vernünftige Frau zu sein. | |
Polenz: Ja, ich höre das. Aber mir fehlt nach dem, was man über den | |
Parteiaufbau weiß und wie Sahra Wagenknecht die Partei führt, im Augenblick | |
die Fantasie, dass das letzte Wort nicht doch immer bei ihr liegt. Das BSW | |
hat doch auch deshalb bisher so wenig Mitglieder, damit sie alles unter | |
Kontrolle hat. Das ist eine Kaderpartei, straff von oben nach unten | |
organisiert. Es ist ja bezeichnend dafür, dass die Partei ihren Namen | |
trägt. Frau Wagenknecht hat vermutlich gar kein Interesse an Landesthemen. | |
Sondern sie will die Landespolitik zum Erzeugen schlechter Stimmung nutzen, | |
die ihr dann auf Bundesebene politisch nutzt. | |
taz: Sind Sie auch dafür, dass die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss zum | |
BSW verabschiedet, wie es ihn zu AfD und Linke schon gibt? | |
Polenz: Ja, die Politik von Sahra Wagenknecht ist unvereinbar mit dem, | |
wofür die CDU steht, und das sollte auch klar zum Ausdruck gebracht werden. | |
taz: Und dann? Was sollen Ihrer Ansicht nach [5][Mario Voigt] und | |
[6][Michael Kretschmer], Ihre Parteifreunde in Thüringen und Sachsen, dann | |
machen, um eine Regierung zu bilden? | |
Polenz: Natürlich ist die Situation alles andere als einfach. Aber es gibt | |
sicherlich Möglichkeiten jenseits einer förmlichen Zusammenarbeit, um eine | |
Parlamentsmehrheit zu schaffen. | |
taz: Eine Duldung also? Die CDU in Thüringen hat zusammen mit der SPD 29,7 | |
Prozent der Stimmen und soll sich vom BSW und der Linken tolerieren lassen? | |
Selbst mit BSW fehlt ja noch eine Stimme für die eigene Mehrheit, was auch | |
noch die Linkspartei mit [7][Bodo Ramelow] ins Spiel bringt. | |
Polenz: Zum Beispiel. Das soll nicht besserwisserisch klingen. Die | |
Situation für Herrn Kretschmer und Herrn Voigt ist außerordentlich | |
schwierig, das sehe ich durchaus. Aber man muss abwägen. | |
taz: Eine Tolerierung könnte ein Einfallstor für die AfD sein. Aber lassen | |
wir das mal außen vor. Was ist, wenn eine Duldung nicht funktioniert? Wenn | |
das BSW regieren, nicht tolerieren will? Was wäre dann die Konsequenz? | |
Polenz: Für die CDU wäre dann die Konsequenz, in die Opposition zu gehen. | |
Ich will mich da auch nicht drum herumdrücken. Aber ich persönlich bin der | |
Meinung, die Thüringerinnen und Thüringer haben nun mal dieses Parlament | |
gewählt, in dem AfD und BSW die Mehrheit haben. Und wenn es keine andere | |
Lösung gibt, müssen die eben regieren. | |
taz: Mal abgesehen davon, dass das BSW wie Ihre Partei eine Zusammenarbeit | |
mit der AfD ausgeschlossen hat: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie eine | |
Regierungsbeteiligung der rechtsextremen AfD – und dann vermutlich Björn | |
Höcke als Ministerpräsidenten – in Kauf nehmen würden, um eine Koalition | |
Ihrer Partei mit dem BSW zu verhindern? | |
Polenz: AfD und BSW haben viele Gemeinsamkeiten, nicht nur die | |
Russlandpolitik. Dass man AfD-Anträgen zustimmen könne, erklärt BSW | |
ständig. Natürlich finde ich eine AfD-BSW-Regierung schrecklich für | |
Thüringen, und es kann auch negative Auswirkungen über Thüringen hinaus | |
haben, etwa wenn man an den [8][öffentlich-rechtlichen Rundfunk] denkt, den | |
die AfD abschaffen will. Aber das Risiko, das für die Statik der gesamten | |
Bundesrepublik entstehen kann, wenn sich die CDU in die Zange nehmen lässt | |
von dem BSW in der gemeinsamen Regierung und der AfD in der Opposition, das | |
sehe ich als sehr groß an. | |
Sowohl AfD als auch BSW wollen die CDU zerstören. Das wäre also auf keinen | |
Fall eine Zusammenarbeit, wie sie sonst mit unterschiedlichen Parteien in | |
einem Koalitionsvertrag mündet. Da findet man Kompromisse, und am Ende soll | |
der Koalitionsvertrag eine Win-Win-Situation sein. Das BSW hätte aber auch | |
in einer Koalition mit der CDU null Interesse daran, dass diese Regierung | |
erfolgreich wäre in dem Sinne, dass auch die CDU damit punkten könnte. Das | |
ist nicht das Interesse vom BSW. Das muss man in der Analyse | |
berücksichtigen. Wenn ich die Risiken insgesamt abwäge, komme ich zu dem | |
genannten Ergebnis. | |
taz: Herr Polenz, Münster, wo Sie leben, ist die Stadt mit der niedrigsten | |
AfD-Quote bundesweit, und sie ist auch ziemlich weit von Thüringen und | |
Sachsen entfernt. Könnte es sein, dass Sie die jetzt schon extrem | |
schwierige Situation für die Menschen, die in Thüringen und Sachsen leben, | |
und die Tragweite einer AfD-Regierung unterschätzen? | |
Polenz: Ich denke, nicht. Ich sehe durchaus das Risiko, beide | |
Entscheidungen haben ein Risiko. Bei mir ist das auch keine | |
70-zu-30-Abwägung, sondern eher 52 zu 48. Ohne Zweifel wäre das für | |
Thüringen eine schlimme Zeit. Aber in fünf Jahren gehen die Thüringer | |
wieder zur Wahl und könnten sich anders entscheiden. | |
taz: Bis dahin könnten Demokratie und Menschenrechte schweren Schaden | |
genommen haben. | |
Polenz: Möglicherweise werden dann die Aufräumarbeiten etwas länger dauern, | |
aber dass es geht, sieht man ja gerade in Polen. | |
6 Sep 2024 | |
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