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# taz.de -- Hilflose Debatte nach Solingen: Die Frage der Sicherheit
> Nach der Tat in Solingen vermitteln politische Forderungen
> Hilfslosigkeit. Doch nichts hindert die Behörden, islamistische Netzwerke
> unter Druck zu setzen.
Bild: Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wird abgeführt
Am Ende gab sich die Polizei martialisch. Barfuß und mit Beinfesseln wurde
[1][Issa al H. am Sonntagnachmittag aus dem Helikopter in Karlsruhe
geführt], die Augen verdeckt, der Oberkörper von vermummten Spezialkräften
nach unten gedrückt. Der 26-jährige Syrer wurde mehr zum Haftrichter des
Bundesgerichtshofs geschleift, als dass er lief. Die Botschaft: Jetzt wird
hart gegen den Terror durchgegriffen.
Stunden zuvor waren die Bilder noch andere. [2][Einen Tag lang konnte die
Polizei den Messerangreifer von Solingen nicht fassen], der auf dem
Stadtfest drei Menschen erstach und mehrere lebensgefährlich verletzte –
trotz Großfahndung. Es waren Stunden der Unsicherheit, das Bild einer
hilflosen Polizei. Am Ende stellte sich Issa al H. selbst einer
Polizeistreife, seine Kleidung soll noch blutverschmiert gewesen sein.
[3][Inzwischen bekannte sich der IS zu der Tat,] nannte den Täter von
Solingen „einen Soldaten des Islamischen Staates“, der „aus Rache für die
Muslime in Palästina und überall“ gehandelt habe. Ein Video eines
Vermummten soll Issa al H. zeigen, der Ende 2022 als Geflüchteter nach
Deutschland kam.
Und ab da bleiben vorerst nur Fragen, die unweigerlichen: warum diese Tat?
Hätte sie nicht verhindert werden können? Und: Haben die
Sicherheitsbehörden die Lage noch im Griff? Fragen, die auch die rabiaten
Bilder aus Karlsruhe nicht überdecken können.
## Hilflose politische Forderungen
Es sind aber auch politische Forderungen, die jetzt im Raum stehen, die
Hilfslosigkeit vermitteln: [4][Messer verbieten, Grenzen dichtmachen, nun
auch nach Syrien und Afghanistan abschieben]. Es bleibt das Problem, dass
schnelle, harte Antworten verlangt werden, wo die zentralen Fragen längst
noch nicht geklärt sind. Was war das Motiv? Ab wann verfolgte der Täter
seinen Plan? Radikalisierte er sich erst hierzulande oder schon zuvor?
Hatte er wirklich Kontakt zum IS? Und wenn ja, war er ein Einzeltäter, der
sich erst kurz vor der Tat mit der Terrorgruppe in Verbindung setzte? Oder
war er Teil eines Netzwerks, wurde gar mit dem Attentat beauftragt? Wir
wissen all dies noch nicht. Aber genau davon hängen die Antworten ab, die
jetzt gegeben werden müssen.
Was dagegen klar scheint: Die Sicherheitsbehörden haben es auch in
Deutschland wieder mit einem Islamismus zu tun, von dem viele dachten, dass
er mit der Niederlage des „Islamischen Staats“ in Syrien und dem Irak 2019
erledigt sei. Nun bekannte sich – erstmals seit dem Anschlag auf dem
Berliner Breitscheidplatz – wieder der IS zu einer Tat in Deutschland. Auch
die Bundesanwaltschaft wirft Issa al H. auch die Mitgliedschaft bei der
Terrortruppe vor.
## Die islamistische Gefahr war immer da
Tatsächlich war die Gefahr nie gebannt. Auch zuletzt stachelten der IS und
andere Islamisten Anhänger*innen zu Terror auf, es gab Terrorpläne und
Taten in anderen europäischen Ländern. Immer noch kursiert islamistische
Propaganda auf Social-Media-Kanälen. Und noch zuletzt zählten die
Sicherheitsbehörden in Deutschland 27.200 Islamisten und 470 Gefährder,
denen hierzulande schwerste Gewalttaten zugetraut werden. Wollen wir über
Solingen reden, sollten wir darüber reden.
Man kann den Sicherheitsbehörden nicht vorwerfen, sie hätten das Problem
nicht kommen sehen. Seit dem 7. Oktober, seit dem wieder aufgeflammten
Nahostkrieg, warnte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, [5][die
Gefahr sei wieder „so hoch wie lange nicht“].
Aber tun die Sicherheitsbehörden auch genug? Offen reden diese über diese
Arbeit ja kaum, aber bekannt ist, dass die Behörden nach den
9/11-Anschlägen alles auf die islamistische Gefahr ausrichteten, mit
fatalen Folgen für den Blick auf den Rechtsterror. Und dass sie auch nach
den islamistischen Angriffen 2016 in Hannover, Ansbach, Würzburg und
schließlich auf dem Berliner Breitscheidplatz erneut die entsprechenden
Abteilungen weiter stärkten. An Personal mangelt es also nicht.
Und auch nicht an Befugnissen: Die Geheimdienste dürfen Kommunikation
mitlesen, Treffpunkte überwachen, Spitzel einsetzen. Tatsächlich wurden
zuletzt immer wieder Terrorverdächtige festgenommen, in Castrop-Rauxel,
Gera, Essen oder Duisburg. 15 Anschläge wollen die Sicherheitsbehörden nach
eigener Auskunft in den vergangenen Jahren verhindert haben.
Das Problem der Sicherheitsbehörden bleibt: Sie müssen Terrorwillige
überhaupt erst mal auf dem Schirm haben. Und Issa al H. gehörte nicht dazu:
Er fiel vorher nicht mit Straftaten auf, nicht mit politischen Aktivitäten.
Dann wird es schwierig, sehr schwierig. Viele der zuletzt Radikalisierten
taten dies im Stillen, abseits von Szenetreffpunkten, aufgeputscht von
Social-Media-Content. Es waren dann oft noch ausländische Geheimdienste,
vornehmlich aus den USA, die den Deutschen halfen und entscheidende
Hinweise auf Terrorverdächtige gaben. Es ist kein Geheimnis, dass die
Befugnisse dort weitergehend sind.
## Eine digitale Rasterfahndung? Bitte nicht
Die Frage ist: Sollen nun auch die deutschen Geheimdienste aufgerüstet
werden? Wollen wir eine digitale Rasterfahndung? Wollen wir
flächendeckende, anlasslose Kontrollen in Fußgängerzonen, wie sie Markus
Söder ins Spiel bringt? Heimliche Durchsuchungen von Wohnungen, [6][wie es
Nancy Faeser zuletzt in einen Gesetzentwurf schrieb]? Eine offene
Gesellschaft kann das nicht wollen. Der Preis ist: Eine Unsicherheit wird
bleiben. Aber eine absolute Sicherheit wird es nie geben, nirgends.
Nichts aber hindert diesen Staat und seine Sicherheitsbehörden daran,
weiter sehr präzise die islamistische Terrorgefahr in den Blick zu nehmen –
ihre Netzwerke, ihre Anheizer, ihre Trefforte. Nichts, islamistische
Propaganda aus Onlinekanälen zu verbannen. Nichts, aufpeitschende Gruppen
wie [7][„Generation Islam“] in die Schranken zu weisen und wenn möglich zu
verbieten. Und vor allem hindert diesen Staat nichts, auf breiter Front auf
Präventionsprojekte zu setzen, um Radikalisierungen schon im Keim zu
verhindern. Ja, auch damit wird am Ende keine absolute Sicherheit
garantiert. Aber das ist der Weg, den eine Gesellschaft gehen muss, wenn
sie ihre Freiheiten nicht preisgeben will.
26 Aug 2024
## LINKS
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[6] /Strittiger-Gesetzentwurf/!6026933
[7] /Nahostdebatte-in-Deutschland/!5969353
## AUTOREN
Konrad Litschko
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