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# taz.de -- Digitaler Protest in Kenia und Nigeria: KI steht für Revolution
> In Kenia nutzt die Gen Z künstliche Intelligenz im Kampf für
> Gerechtigkeit. Auch in Nigeria wird mit den gleichen Mitteln gekämpft.
Bild: Junge Menschen protestieren gegen das Finanzgesetz am 18. Juni 2024 in Na…
„Ich gehöre zu den ersten Kenianern, die ChatGPT genutzt haben“, sagt der
Datenwissenschaftler Benson Kamau stolz. Der 24-Jährige sitzt in einem Café
im Zentrum von Kenias Hauptstadt Nairobi. Während er in sein Schokobrötchen
beißt, blickt er aus dem Fenster auf die Kenyatta Avenue, eine der
Hauptstraßen in der geschäftigen Innenstadt. „Wir haben die ganze Straße
hier gefüllt.“
Noch vor wenigen Wochen hat Kamau auf dieser Straße [1][gemeinsam mit
Tausenden Menschen tagelang protestiert]. Der Polizei gelang es nicht, die
Demonstrationen einzudämmen. Ende Juni stürmte ein aufgebrachter Mob das
Parlament und legte Feuer. Das Militär rückte aus und feuerte mit scharfer
Munition. Dabei wurden mindestens 39 Menschen getötet.
Anlass für die Proteste war [2][ein Finanzgesetz], das zum Ende des
Haushaltsjahres vom Parlament beschlossen werden musste. Es sah die
Erhöhung zahlreicher Steuern vor, was die Preise des alltäglichen Lebens
erneut erhöht hätte. Im Wahlkampf hatte Ruto 2022 den Kenianern versichert,
dass er vor allem der armen Bevölkerung helfen werde, die seit der
Coronapandemie unter extremer Preissteigerung leidet.
Kenia ist wie viele afrikanische Länder tief verschuldet. In Anbetracht
dieser Finanzkrise musste Ruto als Präsident notgedrungen eine
Steuererhöhung in Erwägung ziehen. Erst auf die massiven Proteste hin gab
er schließlich nach und weigerte sich, das Finanzgesetz zu unterzeichnen.
Digitales Plakatieren
Es geschieht in jüngster Zeit nicht oft in Afrika, dass eine
Protestbewegung Politiker zum Einlenken zwingt. Dass es Kenias
Aktivist*innen gelungen ist, in fast allen größeren Städten des Landes
die Massen auf die Straße zu locken, verdanken sie auch dem Einsatz neuer
Technologie im Internet, unter anderem der künstlichen Intelligenz (KI).
Die wurde von IT-Expert*innen wie Kamau programmiert: „Auf X und TikTok
hat die Generation Z Plakate geteilt, es gab großen Aufruhr in den sozialen
Medien“, so der Programmierer.
Dabei nutzten sie ganz neue Strategien: Mit KI haben sie Poster, Bilder,
Videos und Lieder erstellt, um Protestaufrufe zu verbreiten. Mit
Online-Crowdfunding wurde Geld für den Transport gesammelt, damit Menschen
zu den Protesten in Nairobi fahren konnten. Als die Regierung für einen Tag
das Internet abgestellt hatte, nutzten die Aktivist*innen eine
Handy-App, die das Telefon zu einer Art Satellitentelefon macht, womit man
ohne Internet offline kommunizieren kann. Hashtags wie #OccupyParliament
und #RejectFinanceBill2024 waren tagelang im Trend
Regierungswebsites wurden gehackt, eine Website listete Politiker auf, die
das Finanzgesetz unterstützen, um den Druck auf Parlamentarier zu erhöhen.
Aktivist*innen teilten Telefonnummern von Abgeordneten im Netz, damit
Menschen ihnen schreiben, um die Unterstützung für das Finanzgesetz
zurückzuziehen. Um dessen Auswirkungen zu erklären, teilten sie auf X und
TikTok von der KI erstellte Videos, in denen das Finanzgesetz in
verschiedenen lokalen Sprachen erklärt wurde. Ein Entwickler
veröffentlichte ein ChatGPT-Modell, das Fragen zum Finanzgesetz beantwortet
und die konkrete Auswirkung auf die Menschen erklärt.
In den ersten Protesttagen im Juni hat Kamau den Corrupt Politicians GPT
(Korrupte Politiker GPT) erstellt. Ein Büro hat er nicht, er arbeitet von
zu Hause oder in Cafés. Sein Geld verdient er mit der Analyse von Daten für
Unternehmen. In Zukunft möchte er aber eine Organisation gründen, die
Schulkindern beibringt, künstliche Intelligenz zu nutzen, sagt er: „Mit
ChatGPT können alle Menschen Programme erstellen, ohne Programmiersprache
zu lernen.“
Seit Mai können Nutzer*innen eigene KI-Programme erstellen und in einem
sogenannten Store, ähnlich wie bei Handy-Apps, anbieten. „Zur selben Zeit
hat der Online-Aktivismus in Kenia begonnen“, erklärt Kamau. „Ein Mann
namens Kelvin Ndemo war der Erste, der das Tool mit Finance Bill GPT anbot.
Das ging viral, das Tool hat über 10.000 Interaktionen“, sagt Kamau
fasziniert.
Korruption per Suchfunktion
Um zu erklären, wie die Technologie funktioniert, klappt Kamau seinen
Laptop auf und öffnet die ChatGPT-Webseite. Wie in einem Chat kann er hier
der künstlichen Intelligenz Anweisungen geben. Kamau tippt los: „Ich
möchte, dass du Korruptionsskandale im Zusammenhang mit Politikern in Kenia
heraussucht.“ Je detaillierter die Anweisung, desto genauer sei das Tool.
Er tippt weiter: „Durchsuche das Internet und liste alle
Korruptionsskandale und stelle verifizierbare Links dazu zur Verfügung.“ Er
drückt Enter und die KI antwortet mit Namensvorschlägen.
In Bezug auf die Anwendung neuer Technologien im Internet ist Kenias junge
Generation vielen afrikanischen Ländern weit voraus. Bereits 2012, als die
ersten Glasfaserkabel von der Küste des Indischen Ozeans ins Innere des
Kontinents verlegt wurden und damit die Surfgeschwindigkeit sich von heute
auf morgen vervielfachte, eröffneten Tech-Firmen wie Google, Microsoft und
IBM in Nairobi ihre ersten Filialen, um dort ihre KI zu trainieren und
diese [3][arbeitsintensiven Jobs in Niedriglohnländer auszulagern].
Kenias Politiker priesen die Zukunft eines „Afrikanischen Silicon Savannah“
mit jeder Menge guter Jobs für junge Leute. In Massen stürmte die Jugend
daraufhin neue IT-Studiengänge, um in Zukunft gut bezahlte Jobs im
IT-Sektor zu erhalten. Jetzt wendet sich ausgerechnet diese Generation
gegen die Politik.
Vor allem internationale Firmen investierten in KI, erklärt Alfred Ongere,
Gründer von AI Kenia, einem Zusammenschluss von über 6.800
Entwickler*innen, der das KI-Wachstum fördern soll. Das Geld für die
Initiative komme aus seiner eigenen Tasche und über Beratungstätigkeiten
für Firmen, die KI nutzen möchten. In vielen Bereichen würden in Kenia
KI-Technologien eingesetzt: von Organisationen, großen Unternehmen,
Telekommunikationsfirmen oder Banken, auch im Gesundheitsbereich oder in
der Landwirtschaft. Dabei ginge es vor allem um Produktivität.
„Um Geld und Zeit zu sparen, indem verschiedene Aufgaben automatisiert
werden, die bisher von Menschen übernommen wurden“, so Ongere. In Zukunft
werde es deshalb mehr Akzeptanz für die Technologie geben. „Möglicherweise
gibt es dann auch mehr Investitionen für die Weiterbildung.“
Mit Hashtags auf die Barrikaden
Nach Kenia ist [4][nun Nigeria das nächste Land], in welchem die
KI-Technologie von Demonstranten angewandt wird. Denn auch Nigerias Jugend
ist auf den Barrikaden. Vergangene Woche kam es hier zu Straßenprotesten
der Jugend gegen hohe Lebenshaltungskosten. Unter dem Motto
#EndBadGovernanceInNigeria mobilisierten die Aktivist*innen die
Massen. Laut lokalen Medien sind dabei sechs Protestierende ums Leben
gekommen.
„Einige selbsternannte Kreuzzügler und Einflussnehmer haben
Strategien entwickelt und Demonstrant*innen mobilisiert, um unter dem
Vorwand der Nachahmung der jüngsten Proteste in Kenia Terror im Land zu
entfesseln“, so der nigerianische Polizeichef. Kein Zufall: Die Regierungen
in Kenia, Nigeria und Südafrika haben jüngst alle angekündigt, ein Gesetz
einzuführen, das den Gebrauch von KI reguliert.
„Die KI muss in verantwortungsvollen Händen bleiben“, ist Marion Kavengi
überzeugt. Die 26-Jährige kenianische Datenanalystin hat ein Programm
entwickelt, das einen Krankenversicherungsfonds erklärt, den die Regierung
vorgeschlagen hat. Die größte Nutzer*innengruppe ist 18 bis 35 Jahre
alt, am meisten wird das Tool gefragt, was dieser Fonds überhaupt ist. „Ich
habe das Modell nur mit Fakten gefüttert, mit Gesetzesentwürfen, die in
Kenia verabschiedet wurden und öffentlich zugänglich sind.“
Mit den Tools sei die Information vereinfacht worden: „Erst wenn sie das
Thema verstehen, können die Leute fundierte Entscheidungen treffen“, betont
Kavengi und fasst zusammen: „Ja, ich wage zu behaupten, dass KI als
Werkzeug für sozialen Aktivismus die Revolution sein könnte.“
12 Aug 2024
## LINKS
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[4] /Geplante-Proteste-in-Nigeria/!6026258
## AUTOREN
Simone Schlindwein
Julia Neumann
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