# taz.de -- Proteste in Kenia: Die Wut auf der Straße | |
> Kenias Präsident William Ruto wird in Deutschland hofiert, zu Hause von | |
> der Jugend herausgefordert. Mit ihm steht und fällt ein System. | |
Bild: Zuhause unter Beschuss, international hofiert | |
Im Jahr 2023 war William Ruto der Afrika-Star der Berliner Politik. Gleich | |
zweimal besuchte Kenias frisch gewählter Präsident die deutsche Hauptstadt, | |
traf Bundespräsident Steinmeier, Bundeskanzler Scholz, Minister und | |
Investoren. Zwischendrin besuchte Scholz Nairobi und lobte die | |
deutsch-kenianische Freundschaft, die auf „demokratischen Grundsätzen und | |
veranwortungsbewusstem staatlichen Handeln“ aufbaue. | |
Nach seinem kometenhaften Aufstieg im Ausland erlebt William Ruto dieses | |
Jahr einen meteoritenhaften Absturz in der Heimat. Die jugendliche | |
Protestbewegung „Generation Z“, entstanden im Widerstand gegen höhere | |
Steuern, fordert mittlerweile seinen Rücktritt. Seit einer chaotischen | |
Erstürmung des Parlaments ähnelt bei jedem Protesttag das Zentrum der | |
Hauptstadt Nairobi einer Kriegszone. [1][Dutzende Menschen sind bereits | |
gestorben]. | |
„Generation Z“ (GenZ) ist die Revolte einer abgehängten Generation gegen | |
das System des organisierten Diebstahls, das Kenias Politik am Laufen hält | |
und das allein den Politikern nützt. „GenZ“ hat keine Führung oder | |
Struktur, sie ist ein Lebensgefühl eher als eine Organisation. Das | |
Lebensgefühl ist Wut. | |
## Von Den Haag ins Präsidentenamt | |
[2][Rutos skrupelloser Umgang] damit sollte niemanden überraschen. Rutos | |
Ministerkarriere begann nach den umstrittenen Wahlen von Ende 2007, als | |
Präsident Mwai Kibaki von Kenias größter Volksgruppe der Kikuyu sich zum | |
Sieger erklärte, Oppositionsführer Raila Odinga von der zweitgrößten | |
Volksgruppe der Luo das nicht anerkannte und Ruto von der kleinen | |
Volksgruppe der Kalenjin im Bündnis mit Odinga das Wahlergebnis mit Gewalt | |
zu korrigieren versuchte. Über 1.300 Menschen starben innerhalb weniger | |
Wochen, viele bei organisierten Massakern. Wenige Jahre später landeten | |
dafür sechs Kenianer beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, | |
drei von jeder Seite. Einer hieß William Ruto. | |
Ruto, so die Anklage, hatte mit seinen Mitverschwörern ein organisiertes | |
Netzwerk aufgebaut, um die Kontrolle seiner Heimatregion Rift Valley zu | |
gewinnen und die Kikuyu dort „auszulöschen“. In der Neujahrsnacht 2007/08 | |
etwa verbrannten Dutzende Menschen, als die mit Betenden gefüllte | |
Dorfkirche von Kiambaa erst von außen abgeschlossen und dann angezündet | |
wurde. Erinnerungen an Ruandas Völkermord wurden wach. | |
Noch vor Prozesseröffnung wurde einer der sechs Angeklagten – Uhuru | |
Kenyatta vom Volk der Kikuyu – zum Präsidenten gewählt. Er machte Ruto zu | |
seinem Stellvertreter. Die Feinde von 2007/08 waren nun verbündet und | |
hatten kein Interesse mehr an Den Haag. Irgendwann fand die Anklage keine | |
aussagebereiten Zeugen mehr. Alle Verfahren wurden eingestellt. 2017 wurde | |
Kenyatta wiedergewählt, 2022 folgte auf ihn Ruto, der sich plötzlich als | |
Mann des Volkes inszenierte. Nun hat die Jugend ihn durchschaut. | |
Ruto ist nicht der Einzige. Auf der anderen Seite Afrikas, in Senegal, | |
wurde Präsident Macky Sall bei seiner ersten Wahl 2012 ebenfalls als | |
Erneuerer bejubelt. Als Sall später nicht von der Macht lassen wollte, | |
forderte ihn eine Jugendopposition heraus, die anders als in Kenia den Weg | |
in die Politik fand. Während es in Senegal brodelte, reiste Sall durch die | |
Welt, er vertrat Afrika bei G20- und G7-Gipfeln, er war gerne Gast in | |
Berlin und empfing gerne deutsche Staatsgäste in Dakar. Dann verhedderte er | |
sich in seinen Winkelzügen, und als er vor Gericht mit dem Ansinnen | |
scheiterte, zwar nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten, aber zugleich die | |
Wahl abzusagen, war seine Zeit um. | |
Seit April regiert nun in Senegal die neue linkspopulistische Partei | |
Pastef (Afrikanische Patriotien Senegals für Arbeit, Ethik und | |
Brüderlichkeit) des ehemaligen Steuerangestellten Ousmane Sonko. Sie gewann | |
die Wahlen 2024 als Wortführer eines „afrikanischen Patriotismus“, Sonko | |
ist nun Premierminister unter seinem Protegé Bassirou Diomaye Faye als | |
Präsident. Der Erwartungsdruck ist immens. | |
## Zusammenarbeiten mit Respekt | |
Es fällt auf, dass Kenia und Senegal zu der Minderheit afrikanischer Länder | |
mit Pluralismus, Gewaltenteilung, unabhängiger Justiz und friedlichen | |
Machtwechseln an der Wahlurne gehören. Die Armee hält sich aus der Politik | |
heraus, Machtkämpfe enden meist im friedlichen Ausgleich. Das vermeidet | |
Bürgerkrieg, aber eben auch jeden radikalen Bruch. [3][Das politische Spiel | |
entpuppt sich als Machtkartell], in dem sich die führenden Politiker des | |
Landes an den Fleischtöpfen abwechseln, während die Volksmehrheit darbt. | |
Das ist die Kehrseite dessen, was die deutsche Afrikapolitk bei Ruto und | |
Sall bejubelt hat. | |
Deutschland hält zu William Ruto, als wäre nichts gewesen. Im September | |
2024 wird der Kenianer als Staatsgast im Berliner Schloss Bellevue zum | |
Bürgerfest des Bundespräsidenten erwartet. Das Fest hat „unseren | |
Nachbarkontinent Afrika“ zum Schwerpunkt und steht unter dem Motto „Pamoja�… | |
– das Swahili-Wort für „zusammen“, das auch in Kenias Nationalhymne | |
vorkommt. | |
„Pamoja“ heißt in Kenia die Partei des Senatspräsidenten Amason Kingi. Dem | |
fiel vergangene Woche zur „Generation Z“ folgendes ein: „Wenn ihr auf der | |
Straße Reifen anzündet und ‚Ruto muss weg‘ ruft, werden die Touristen | |
Sansibar oder Südafrika besuchen, statt herzukommen.“ Er erntete dafür | |
Spott: „Sollen sie doch wegbleiben, bis wir uns um dich und deine | |
verlogenen Freunde, Mörder und Betrüger gekümmert haben, die das System | |
ausnutzen, um uns zu versklaven. So lange gibt es keinen Grund, warum | |
Touristen nach Kenia kommen sollten, außer wenn sie zugucken wollen, wie | |
eine Regierung ihre Bürger tötet.“ | |
Wie heißt es in Kenias Nationalhymne? „Natujenge taifa letu / Ee, ndio | |
wajibu wetu / Kenya istahili heshima / Tuungane mikono / Pamoja kazini“ – | |
„Bauen wir unseren Staat; ja, das ist unsere Verantwortung; Kenia verdient | |
Respekt, lasst uns die Hände reichen und zusammenarbeiten“. Die | |
Nationalhymne singen manche jungen Protestierenden inbrünstig, wird aus | |
Nairobi berichtet. Sie nehmen ihre Hymne beim Wort. | |
29 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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