# taz.de -- Mit Rechten reden: Ist Grillen undeutsch? | |
> Unser Autor regt sich über ein populistisches Wahlplakat auf. Aber wie | |
> sollte man eigentlich auf Rechte reagieren? | |
Bild: Propagandatauglich: die Sache mit dem Grillen | |
In Thüringen hängt ein CDU-Plakat mit der Aufschrift: „Grillen muss erlaubt | |
bleiben.“ | |
Ich postete ein Foto auf Twitter und schrieb, das sei „verantwortungsloser | |
Dünnpfiff, der die liberale Demokratie gefährdet“. Worauf der Public | |
Intellectual Armin Nassehi lapidar darunter schrieb, dass es doch wohl | |
heißen müsse: „Grillen müssen erlaubt bleiben.“ | |
Ich wählte also die große Geste zur Anprangerung des politischen und | |
[1][intellektuellen Ausverkaufs dieses Typus Christdemokraten], den es | |
nicht nur im Osten gibt. Nassehi dekonstruierte den idiotischen Slogan | |
durch Ironie und verweigerte es, sich überhaupt inhaltlich darauf | |
einzulassen. Was ist hilfreicher für das Ziel, vielleicht doch eines Tages | |
mit allen demokratischen Parteien ein gesellschaftliches Gespräch über die | |
echten Probleme zu führen? Meine Einschätzung ist inzwischen: Keins von | |
beiden. | |
Zur Sachlage: Das demokratiegefährdende Problem in Thüringen ist, [2][dass | |
die AfD] in Wahlumfragen weit vor der CDU in Führung liegt. Würde die AfD | |
das Grillen als entartet oder undeutsch verbieten wollen, dann wäre der | |
CDU-Slogan eine notwendige Distanzierung und ein klares Angebot für Leute, | |
die zwischen beiden Parteien schwanken. Die Grünen aber, auf die das zielt, | |
stehen bei vier Prozent [3][und sind irrelevant]. | |
Faktisch will gar keine Partei das Grillen oder die Bratwurst in der | |
Bundesrepublik verbieten, auch wenn [4][Obergrillmeister Markus Söder] das | |
24/7 behauptet oder insinuiert. Das christdemokratische Grill- und | |
Fleischverbot-Szenario ist eine faktenwidrige Light-Version der harten | |
populistischen Angst- und Wuterzeugungsfiktionen. | |
Das ist demokratieperspektivisch dumm, und ich könnte jetzt noch mehr | |
sagen, aber das nützt halt alles nichts, wenn wir uns hier schön darin | |
bestätigen, wie schlimm das alles ist. Gleiches gilt für die feine Ironie, | |
denn sie dekonstruiert auf ästhetisch hochwertige Art den Unsinn, aber das | |
wirkt auch nicht über eine (selbst)ironiefähige Kommuniktionselite hinaus, | |
und Ironie wird – wie ich im Alltag feststelle – immer weniger verstanden | |
und ein Opfer der [5][kommunikativen Verhärtung]. | |
Wenn ich die zweite Ebene von Nassehis Ironie richtig verstehe (und ich | |
habe sicherheitshalber nachgefragt), so steckt darin auch die nüchterne | |
Annahme, dass es naiv wäre, in bestimmte Richtungen Sachdiskurse führen zu | |
wollen. Es geht da nicht mit Argumenten, es geht nicht mit | |
Demokratiebeschwörungen, es geht nicht mit deliberativem Sprechen. Das gilt | |
in Thüringen genauso wie gegen Trump. | |
## Wie aber geht es dann? | |
Grundvoraussetzung ist Politik. Die liberale Demokratie muss sich knallhart | |
schützen gegen ihre Feinde, solange sie es noch kann. Demokratische | |
Parteien müssen Leute dafür gewinnen, Probleme anzugehen und nicht | |
Ressentiments schüren. Bürger, auch wenn sie kulturell „progressiver“ | |
konditioniert sind, müssen priorisieren und dürfen keine | |
Milieuselbstgespräche führen, in denen sie im hohen Ton Rassismus, | |
Klassismus, Menschenfeindlichkeit et cetera anprangern und den „Anstand“ | |
einfordern, den sie a priori für sich in Anspruch nehmen. Tut gut, klar, | |
bringt aber in der Sache nichts. | |
Deshalb: Der Schritt voran ist heute der Schritt auf andere zu. Wer die | |
Mehrheit behalten will, muss sprechfähig mit einer Mehrheit sein und sich | |
auch mühen, die Beweggründe von Leuten zu verstehen, die auf die AfD | |
hereinfallen, auch wenn man sicher ist, dass sie falsch liegen. Nicht | |
brüllen: „Du Nazi“, sondern fragen: [6][Wovor haben Sie Angst?] Kann sein, | |
dass man in manchen Fällen nicht weit kommt, aber die Grundlage für das | |
Gemeinsame ist nie das eskalierende und immer das zivilisierende | |
Gesprächsklima. Das bedeutet: Weder große Geste noch Ironie. | |
4 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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