# taz.de -- Die Sinnhaftigkeit von Ironie: Ist Harald Schmidt an allem schuld? | |
> Ironie kann ein privates Leben positiv bewegen, aber keine Gesellschaft. | |
Bild: Wird sich Deutschland von Harald Schmidt erholen? | |
Harald Schmidt war mein Gott, Ironie war mein Lebensstil. Nach dem Ende der | |
großen Religionen (Christentum, Sozialismus) wäre sonst um den Beginn des | |
21. Jahrhunderts herum nur noch Fußball geblieben, und das war selbst mir | |
zu popelig. Außerdem war der ironische Widerstand ziemlich komfortabel. | |
Ein weiteres Incentive mag gewesen sein, dass um mich herum Classic-Linke | |
total humorlos gegen unsere Ironie kämpften, die sie – völlig zu Recht – | |
für affirmativ gegenüber den bundesrepublikanischen „Verhältnissen“ | |
(Freiheit und Wohlstand) erklärten. | |
Letzteres war ein eindeutiges Indiz, dass wir Ironiker richtiglagen. | |
Allerdings kein Beweis, denn das ironische und selbstironische Sprechen und | |
Lachen meint ja den dauerhaften Zweifel und die ständige Suche, sein Denken | |
zu erweitern. | |
Was Classic-Linke nicht brauchen, schließlich sie sind im Besitz der ganzen | |
Wahrheit. Deshalb fürchten sie das Lachen, wie der etwas verbissene | |
Klosterbibliothekar Jorge von Burgos in „Der Name der Rose“. Weil lachen | |
antiautoritär ist, weil es zumindest [1][für einen kurzen Moment | |
Angstfreiheit schenkt] und Autonomie gegenüber dem Dogma der einen | |
Wahrheit. | |
## Was bringt Ironie? | |
Jedenfalls taucht unter den veränderten politisch-gesellschaftlichen | |
Verhältnissen im Westen in diesen Tagen wieder die Frage auf, ob der große | |
Nürtinger Ironiker Schmidt nicht doch der falsche Held war und [2][was | |
Ironie bringt], wenn es ernst wird. Der in Kalifornien lebende | |
Schriftsteller Jonathan Franzen hat sich gerade [3][in einem Gespräch] mit | |
dem Stern gegen Ironie als Mittel zur gesellschaftlichen Aufklärung und | |
Veränderung ausgesprochen. Er dachte das mal und sagt heute: „Das war eine | |
dumme Idee.“ Ich fragte ihn, warum. | |
Franzen sieht den großen Nutzen, den Ironie für manch Einzelnen hat, um mit | |
der Welt klarzukommen, und für Mitglieder einer kleinen Gemeinschaft, um | |
sich gegen eine lieblose Welt zu verteidigen. Gleichzeitig attestiert er | |
Ironie eine „soziale Nutzlosigkeit“. Mit ihr erreiche man letztlich nur | |
die, die es eh schon wissen. | |
Vielleicht kann man das am besten mit Joseph Ratzinger belegen. Bei seiner | |
Wahl zum Pontifex maximus titelte Bild: „Wir sind Papst“. Wir, die taz, | |
titelten: „Oh, mein Gott“. Das eine war lustig-affirmativ und populistisch, | |
das andere ironisch-kritisch und subtil. Unser Titel war tausendmal | |
brillanter, aber der von Kai Diekmann verantwortete Spruch war ungleich | |
erfolgreicher, erreichte Millionen und ging ins kollektive Gedächtnis ein. | |
Die Schriftstellerin Jagoda Marinić schreibt in der kommenden Ausgabe | |
[4][von taz Futurzwei]: „Manchmal denke ich, das Land wird sich von Harald | |
Schmidt nie mehr erholen.“ Sie reduziert zumindest seine Ironie darauf, | |
einfach alles andere von oben herab abzuwerten, sich selbst aber nicht zu | |
bewegen. | |
So ein Alle-schlimm-außer-ich-Höhnen wäre wirklich nicht hilfreich, | |
gleiches gilt für eine ausschließlich distanzierende und selbstverliebte | |
Verwendung von hochmoralischem Sprechen. Ich weiß nicht, ob Marinić damit | |
Schmidts Wirken zu hoch oder zu negativ einschätzt; dem Glücks- und | |
Aufklärungspotenzial gelingender Ironie für einen Menschen, gerade in | |
ernsten Zeiten, wird sie damit jedenfalls nicht gerecht. | |
Grundsätzlich denke ich aber (im Moment), dass Jonathan Franzen | |
richtigliegt. Ironie kann ein privates Leben positiv bewegen, aber keine | |
Gesellschaft. Mehr noch: Je tiefer, subtiler und im Sinne [5][Richard | |
Rortys] utopischer die Ironie, desto weniger Leute erreicht sie. Nach außen | |
gilt daher: Klartext. | |
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die nächste Bundesregierung die | |
sozialökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft | |
entscheidend voranbringen muss. | |
25 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Selbstbewusstsein-von-Kamala-Harris/!6022741 | |
[2] /Mit-Rechten-reden/!6024896 | |
[3] https://www.stern.de/kultur/jonathan-franzen-ueber-die-us-wahl-und-deutschl… | |
[4] /FUTURZWEI/!v=8ce19a8c-38e5-4a30-920c-8176f4c036c0/ | |
[5] /Posthumes-Buch-von-Richard-Rorty/!5912343 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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