# taz.de -- Koalitionsfähigkeit: Wie geht das, dass noch was geht? | |
> Je „radikaler“ die Pose, desto einsamer wird es um einen herum. | |
> Liberaldemokraten müssen zu Kompromissen bereit sein. | |
Bild: Oppositionsführer Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz: Ohne die CDU… | |
Die vermutlich beliebteste und meistgebrauchte Phrase von unsereins ist: | |
„Das geht ja gar nicht.“ Je nach Persönlichkeit und Stimmung vorgetragen im | |
routinierten Ton der Entrüstung, Verachtung oder auch mal resigniert. Von | |
der im Moment diskutierten Migrationspolitik und den Wahlen dieser Tage | |
über [1][Heinos Wahlwerbung für Donald Trump]: Das geht alles gar nicht. | |
Das Problem ist: Während wir sagen, dass das gar nicht geht, geht es eben | |
doch. Es passiert. Daran ändert die ethisch grundierte Dauerdistanzierung | |
nichts. Der entscheidende Kulturwechsel besteht darin, nicht mehr zu sagen, | |
was alles gar nicht geht, sondern zu fragen, was geht, wie es geht und vor | |
allem, mit wem. | |
Zugegeben, da sieht es im Moment schlecht aus. Nicht nur sozialökologische | |
Wirtschaftspolitik, sondern jede Form von Zukunftspolitik auf der Grundlage | |
der veränderten Realität wird in verschiedenen Teilen von Politik und | |
Mediengesellschaft geächtet. Es sind nicht nur die nostalgischen | |
Reaktionären (AfD, BSW, Teile der Ost-CDU) illusionistisch, es gibt auch | |
den nostalgischen und fossilen Sozialdemokratismus (der SPD und des | |
Westteils der CDU), und es gibt die nostalgischen Progressiven (dazu | |
gehören Teile der Grünen). Letztere halten an einem Fortschrittskanon fest, | |
für den es in der Spätmoderne keine Grundlage mehr gibt. | |
Wenn nun gesagt wird, dass die derzeitige Bundesregierung „am Ende“ sei, | |
dann ist das vermutlich nicht falsch, aber die Frage ist doch: Unter | |
welchen Bedingungen könnte die nächste es nach einer Neuwahl besser | |
hinkriegen – und was genau? Es ist eine mediengesellschaftliche Dynamik | |
entstanden, in der alle drei Regierungsparteien früher (FDP) oder später | |
(SPD, Grüne) von Überlebensangst getrieben ihre Rettung in der | |
Distanzierung vom Gemeinsamen suchen könnten. | |
## Ohne CDU keine liberaldemokratische Mehrheit | |
Wenn aber nicht mal mehr diese liberaldemokratischen Teile der Gesellschaft | |
sich verständigen können, wird es eng. „In einem solchen Prozess der | |
Erosion des Gemeinsamen wird Demokratie zu einer stolpernden | |
Regierungsform, denn der Streit in ihrem Inneren kann nur produktiv werden, | |
wenn er im Rahmen eines Gemeinsamen stattfindet“, [2][schreibt Harald | |
Welzer] in unserem Magazin taz FUTURZWEI. | |
Eine ethisch begründete Spaltung in Gute (also uns) und andere (Merz, | |
Lindner, kompromisslerische Grüne) innerhalb der liberaldemokratischen | |
Gesellschaft ist keine notwendige „Haltung“, sondern heißt faktisch, das | |
Geschäft von AfD und BSW zu betreiben. Noch fataler wäre, die CDU oder | |
Teile davon mit ethisch begründeter Empörung der AfD zuzutreiben. Das heißt | |
nicht, dass man den migrationspolitischen und sonstigen Opportunismus der | |
inhaltlich leeren Partei unterstützen sollte. Selbstverständlich muss man | |
als Andersdenkender versuchen, [3][die Stimmung gegen Friedrich Merz zu | |
drehen]. Es heißt aber, dass man sich immer klarmachen muss, dass es kurz- | |
und mittelfristig ohne die CDU keine liberaldemokratische Mehrheit mehr | |
gibt. | |
Die Union und die „rechte Mitte“ muss im politisch-kulturellen Spektrum der | |
gemäßigt progressiven bis gemäßigt konservativen Mitte bleiben: pro EU, | |
Nato, Ukraine, Gesellschaftsliberalität und Marktwirtschaft, mit der Option | |
einer sozialökologischen Allianz langfristiger Politik. Ohne demokratische | |
Mehrheit keine Demokratie. Je „radikaler“ die Pose, desto einsamer wird es | |
um einen herum. | |
Deshalb „kämpfen“ wir auch nicht gegen „rechts“, sondern streiten | |
miteinander über einen gemeinsamen Weg, Rechtspopulismus und | |
Rechtsradikalismus möglichst kleinzuhalten. Und damit bin ich wieder an dem | |
zukunftsentscheidenden Punkt für dieses Land: Wie geht das, dass was geht? | |
Ich bin ratlos, aber man könnte ja mal Hendrik Wüst und Mona Neubaur | |
fragen. | |
13 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_100486916/heino-fordert-einen… | |
[2] /Harald-Welzer-ueber-Zusammenhalt/!vn6035242/ | |
[3] /Bundeskanzler-Friedrich-Merz/!6017638 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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