# taz.de -- Wahlen in Frankreich: Ist links die Antwort auf rechts? | |
> Nachdem der Nouveau Front Populaire die Wahl gewonnen hat, war die | |
> Erleichterung groß. Aber funktioniert das Paradigma links versus rechts | |
> noch? | |
Bild: Jean-Luc Mélenchon am Wahlabend nach dem zweiten Wahlgang in der Rotunde… | |
Berlin taz | Es ist großartig, dass die französische Mehrheitsgesellschaft | |
die Möglichkeiten ihres Wahlrechts ausgenutzt und eine Parlamentsmehrheit | |
für Marine Le Pens rechtspopulistischen Rassemblement National verhindert | |
hat. Doch war das ein „linker“ Wahlsieg, wie nun seit Tagen Classic-Linke | |
jubilieren, ein Triumph des Guten, ein „Aufbruch“ gar? Get a life. | |
„Natürlich findet man immer ein Haar in der Suppe, wenn man lange genug | |
sucht“, [1][schreibt Robert Misik] in dieser Zeitung. Nun zielt der | |
Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon anders als Le Pen nicht auf ethnische | |
Homogenität, aber für mich ist die [2][Ablehnung von EU] und [3][Nato], die | |
Unterstützung von Putin und dann auch noch Antisemitismus in Teilen seiner | |
links-nationalistischen [4][La France Insoumise (LFI)] eben kein „Haar in | |
der Suppe“, sondern das ist ein Unterschied ums Ganze. | |
Die Wahlen in Frankreich [5][und Polen] und speziell die Europawahl wurden | |
auch nicht von oder durch „links“ gewonnen. Es sind vielmehr temporäre | |
Verteidigungserfolge einer heterogenen Mehrheit gegen die Gegner der | |
liberalen Demokratie. Um Zukunft daraus zu machen, müsste man nicht nur | |
wissen, wogegen man ist, sondern sich auch darauf verständigen, wie man die | |
Kernprobleme des 21. Jahrhunderts gemeinsam angehen will. | |
Diese Zukunftspolitik ist nicht durch das gute alte Paradigma links vs. | |
rechts zu beschreiben. Deshalb ist es auch sinnlos, eine Debatte darüber zu | |
führen, ob und wo der [6][Wagenknecht-Trupp „links“ sei]. Er positioniert | |
sich in den zentralen Fragen – Klimapolitik, EU, Nato, Russland, offene | |
Gesellschaft – genauso gegen den Westen, wie es, in Abstufungen, Trump, Le | |
Pen, Mélenchon, Orbán, PiS, Meloni und AfD tun. | |
„Linke“ Sozialpolitik haben auch PiS und Orbán im Programm, nur wird | |
Gerechtigkeit nicht inklusiv, sondern exklusiv und fossil definiert. Das | |
Problem, das die [7][eskalierende Erderhitzung] und ihre Folgen | |
verursachen, sind nicht die Produktionsverhältnisse (Kapitalismus), sondern | |
die Produktionsmittel (Öl, Gas, Kohle), wie Armin Nassehi gern sagt. | |
## Es braucht eine breite Mitte | |
Das Paradigma, in dem sich unsere Zukunft entscheidet, ist liberal versus | |
illiberal. Offene gegen geschlossene Gesellschaften, emissionsfreie | |
Zukunftspolitik gegen Verteidigung fossiler Gerechtigkeit bzw. | |
Ungerechtigkeit, Europa oder national, Zukunftszugewandtheit gegen | |
Destruktion. | |
Letztlich würde ich es versuchsweise mal auf eine Frage herunterbrechen: | |
Wie hältst du’s mit dem Westen, seinen offenen Gesellschaften, | |
Marktwirtschaften, und seinem kreativen Willen zum Fortschritt? Das ist die | |
Bruchstelle, und sie wird sich für Europa verschärfen, falls Donald Trump | |
ein [8][zweites Mal US-Präsident] werden sollte. | |
Übrigens sind fast alle Menschen konservativ, was ihre Bedürfnisse und | |
ihren Alltag angeht. Die SPD hat die letzte Bundestagswahl gewonnen, weil | |
Olaf Scholz den Leuten versprochen hat, dass sich nichts für sie ändern | |
werde. Die Grünen werden von denen vehement abgelehnt, die ihnen | |
unterstellen, dass sie etwas verändern wollen. | |
Daraus folgt: Es wird kein „Ruck“ durch Deutschland gehen und schon gar | |
kein linker. Die [9][fortgeschrittene Individualisierung] in westlichen | |
Gesellschaften schließt die hartnäckig gepflegte Illusion eines homogen | |
strammstehenden Kollektivs eh aus, und zwar sowohl eines „rechten“ wie | |
eines „linken“. | |
Wer eine Mehrheit für einen liberaldemokratischen Aufbruch gewinnen will, | |
in einer teils wütenden, teils aufbruchsbereiten und zum Großteil mit der | |
eigenen Lage zufriedenen Gesellschaft, muss jenseits von | |
[10][polarisierenden Populismusangeboten] und überkommenem Lagerdenken eine | |
breite Mitte zusammenbringen, die von gemäßigt progressiv bis gemäßigt | |
konservativ reicht. Das ist die Aufgabe des Kanzlerkandidaten Robert | |
Habeck. | |
17 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlen-in-GB-und-Frankreich/!6019454 | |
[2] /Nach-den-EU-Wahlen/!6016736 | |
[3] /Rekordquoten-bei-der-Nato/!6014713 | |
[4] /Parlamentswahlen-in-Frankreich/!6019416 | |
[5] /Nach-den-Wahlen-in-Polen/!5964940 | |
[6] /Wagenknecht-Partei-gegruendet/!5982170 | |
[7] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[8] /Urteil-gegen-Donald-Trump/!6011395 | |
[9] /Individualismus-in-der-Gesellschaft/!160516/ | |
[10] /Politikwissenschaftler-ueber-Populismus/!6015080 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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