# taz.de -- Drama um Mélenchon: Zittern wie Gott in Frankreich | |
> Die Stimmungsmache gegen das Linksbündnis ist verkappte Angst vor | |
> radikaler Umverteilung. Doch die braucht es, um den Rechtsextremismus | |
> aufzuhalten. | |
Bild: Jean-Luc Mélenchon nach den französischen Parlamentswahlen, Juli 2024 i… | |
Dieses Aufatmen, es will einem im Hals stecken bleiben. Da es aber ohnehin | |
zu viele schlechte Nachrichten gibt, bitte kurz feiern: [1][Die Linke in | |
Frankreich hat es trotz erheblicher Differenzen geschafft], sich im Nu | |
parteiübergreifend zusammenzuschließen, auf [2][ein progressives, | |
sozialpolitisches Programm zu einigen], um damit den Rechtsextremen den | |
Kampf anzusagen. | |
Und ist bei den [3][Parlamentswahlen am 7. Juli unerwartet stärkste Kraft | |
geworden]. Da geht noch was! Höhere Mindestlöhne, Preisdeckelung von | |
Lebensmitteln, Wiederaufbau des öffentlichen Sektors und insbesondere der | |
Krankenhäuser waren Kernpunkte des gemeinsamen Programms. Der rechtsextreme | |
Rassemblement National bekam keine absolute Mehrheit, Parteivorsitzender | |
Jordan Bardella ist nicht Premierminister geworden. Gut so. | |
Und jetzt zu den Problemen. Erstens: Die Rechtsextremen haben trotz allem | |
so viele Sitze im französischen Parlament erhalten wie nie zuvor. Der | |
Wahlausgang ist höchstens eine kurze Atempause im Kampf gegen rechts. Und | |
zweitens: Mit 182 von 577 Sitzen im Parlament wird das Sozialprogramm des | |
Linksbündnisses kaum durchzusetzen sein. Dabei wäre es das einzig | |
langfristig wirksame Mittel gegen den Rechtsextremismus. | |
Wie fast überall auf der Welt waren die letzten Jahre in Frankreich geprägt | |
von Privatisierungen, dem Kaputtsparen öffentlicher Infrastruktur und dem | |
erbarmungslosen Auspressen der Mittel- und Unterschichten durch Kürzungen. | |
Damit einher geht eine steuerliche Entlastung oder gar finanzielle | |
Unterstützung von Großkonzernen mit Superprofiten. Diese Politik der | |
„extremen Mitte“, wie sie in Frankreich zu recht benannt wird, befeuert den | |
Reflex, nach unten zu treten, rechts zu wählen. | |
## Auch wenn Kritik berechtigt ist… | |
Um die Bekämpfung dieser menschenfeindlichen Wirtschaftspolitik geht es | |
also. Wenn nun gutbürgerliche Kräfte Angst gegen das Linksbündnis schüren, | |
ist das nichts anderes als schlecht verkappte Panik vor realer | |
Umverteilung. So wird nicht nur in Frankreich das Schreckgespenst Jean-Luc | |
Mélenchon von der Partei France Insoumise (LFI) bemüht, um zu | |
verdeutlichen, wie ach so furchtbar die „Neue Volksfront“ werden könne. | |
Was die Personalie betrifft: Klar ist Mélenchon in vielerlei Hinsicht | |
kritisch zu sehen. Er ist autoritär: Abgeordnete, die ihn kritisierten, | |
durften zuletzt nicht erneut als Parlamentarier*innen antreten. Auch | |
[4][schrieb er in einem Blogartikel], Antisemitismus sei in Frankreich nur | |
noch ein „Überbleibsel“, was eine bodenlose Verharmlosung ist. Kritik ist | |
angebracht, wie es auch ein Zurückziehen Mélenchons wäre. Zur Wahrheit | |
gehört aber auch, dass seine Partei bei diesem Thema teilweise | |
Desinformationskampagnen zum Opfer fiel. | |
[5][Das rote Dreieck etwa, das manche LFI-Abgeordneten als Pin am Revers | |
tragen], ist kein Hamas-Symbol, sondern wird von ihnen schon seit vielen | |
Jahren als Erinnerung an NS-deportierte Kommunisten und Sozialisten | |
getragen. | |
## Nichts da mit „Pest und Cholera“ | |
Dass die Parteivorsitzende Mathilde Panot die Hamas-Anschläge vom 7. | |
Oktober als „Kriegsverbrechen“ bezeichnete, wurde ihr als Antisemitismus | |
ausgelegt. [6][Es hätte bitteschön „Terrorismus“ heißen müssen]. Die LFI | |
wegen solcher Debatten gleichzusetzen mit einer rechtsextremen Partei, die | |
sich Ausgrenzung ins Programm geschrieben hat, ist unlauter und | |
unangebracht. Nichts da mit „Pest und Cholera“. | |
Und – sorry, not sorry: Dass von Armin Laschet (CDU) über | |
[7][Springer-Presse und Tagesspiegel] ein paar Pikierte Mélenchon als | |
„Deutschenhasser“ fürchten, weil er die Vormachtstellung der Bundesrepublik | |
in der EU mal kritisiert hat: Heult doch. | |
Vor allem aber ist der Fokus auf Mélenchon völlig unnötig und künstlich | |
aufgebauscht. Die LFI ist im Linksbündnis Neue Volkfront eine von vier | |
Parteien: Da sind noch die Grünen, Kommunisten und Sozialisten. Und die LFI | |
steht insbesondere in ihren außenpolitischen Linien recht isoliert in | |
diesem Bündnis da. Sie hat am Freitag zwei Frauen und zwei Männer aus ihrer | |
Partei als mögliche*n Premierminister*in genannt, darunter auch | |
Mélenchon. | |
## Noch kein Tabubruch | |
Dass überhaupt jemand aus der LFI diesen Posten bekommt, ist allerdings | |
unwahrscheinlich, eben weil die Differenzen mit den anderen drei Parteien | |
so groß sind und weil kaum jemand von ihnen parteiübergreifend als | |
mehrheitsfähig gilt. | |
Wenn sich nun also Angst vor vermeintlichem Linksextremismus ausbreitet, | |
der inhaltlich eher etwas von zahnloser Sozialdemokratie der Achtziger hat, | |
dann eben, weil auch die kleinste Umverteilung von oben nach unten als | |
Tabubruch gilt. Das sagt mehr über kapitalistische Norm aus, denn über die | |
Neue Volksfront. | |
Ökonom*innen wie [8][Thomas Piketty und Esther Duflo unterstützen das | |
Programm] des Linksbündnisses. Nein, die Wirtschaft würde durch mehr | |
Sozialpolitik nicht zusammenbrechen. Im Gegenteil: Diese ist in ihrer | |
Stoßrichtung das Einzige, was gegen die Le Pens und Bardellas noch hilft. | |
12 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Podcast-Bundestalk/!6023206 | |
[2] /Frankreich-vor-den-Parlamentswahlen/!6014480 | |
[3] /Wahlniederlage-fuer-Le-Pen-in-Frankreich/!6021937 | |
[4] https://melenchon.fr/2024/06/02/netanyahu-a-la-tele-la-decheance-de-loffici… | |
[5] https://www.ouest-france.fr/leditiondusoir/2024-06-25/pourquoi-jean-luc-mel… | |
[6] https://www.francetvinfo.fr/monde/proche-orient/israel-palestine/attaque-co… | |
[7] https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-der-wahl-in-frankreich-melenchon-i… | |
[8] https://www.20minutes.fr/economie/4097870-20240625-legislatives-2024-armee-… | |
## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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