| # taz.de -- Jean-Luc Mélenchon in Frankreich: Der Vorteil eines Bulldozers | |
| > LFI-Parteichef Mélenchon war nötig, um die französische Linke | |
| > wiederzubeleben. Nur ein Bulldozer konnte den Rechtspopulisten etwas | |
| > entgegensetzen. | |
| Bild: Mélenchons „Ausflüge“ in den Populismus hatten im Sinne der Masseno… | |
| Jean-Luc Mélenchon ist der Bulldozer, den die französische Linke gebraucht | |
| hat, um wieder in die Nähe einer Regierungsmehrheit zu kommen. Nun scheint | |
| er sich vorerst zurückgezogen zu haben. Der Vorschlag, Lucie Castets zur | |
| Premierministerin zu machen, wirft ein neues Licht auf die | |
| Populismusdebatte. | |
| Bei den einen wird über Lerneffekte aus dem sensationellen Erfolg des | |
| Nouveau Front Populaire (NFP) in der Stichwahl zum französischen Parlament | |
| diskutiert. Dabei wird in links orientierten Kreisen eine Übertragung der | |
| Volksfront nach Deutschland gewünscht. | |
| Das ist aber politischer Humbug. Eine irgendwie geartete Kooperation von | |
| SPD, Grünen und der Linken käme nicht mal in die Nähe einer stabilen | |
| Mehrheit – und zeugt von historischer Unwissenheit. Der | |
| [1][Volksfront]-Begriff entstammt dem französischen Kampf gegen den | |
| Faschismus. | |
| Andere wiederum stoßen sich vor allem an der Person von Jean-Luc Mélenchon. | |
| Er wird dabei häufig als (linker) Populist bezeichnet, mit allen | |
| pejorativen Untertönen. Ich halte dies für eine unglückliche Beschreibung, | |
| ein Blick auf die Positionen des NFP zeigen im Kern eine klassische | |
| sozialdemokratische Konzeption. In den Programmen wird ein angemessener | |
| Mindestlohn sowie eine Preisdeckelung für Bedarfe des täglichen Lebens | |
| gefordert. | |
| ## Die Rechten in Schach halten | |
| Mélenchons „Ausflüge“ in den Populismus hatten im Sinne der | |
| Massenorganisation auch einen wichtigen Effekt. Hinter ihm konnten sich | |
| Arbeiter*innen, Arbeitslose und Prekarisierte versammeln, die nicht das | |
| reaktionäre Volksideal des Rassemblement National (RN) verfolgen wollten. | |
| Gegen den diskurshegemonialen Populismus brauchte die französische Linke | |
| Mélenchon als Bulldozer, um die Rechten in Schach zu halten. Die Linken | |
| erkannten: Sie können die Bevölkerung mit ihren Forderungen durchaus | |
| erreichen. | |
| Die Ernennung von [2][Lucie Castets] als Kandidatin des NFP für den Posten | |
| der Premierministerin hat neue Bewegung in die Debatte gebracht. Die | |
| parteilose 37-Jährige verfügt über einen beruflichen Hintergrund in der | |
| öffentlichen Verwaltung und hat sich vor allem für eine Absenkung des | |
| Renteneintrittsalters ausgesprochen. | |
| La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), die Partei Mélenchons, | |
| kritisiert sie deshalb für ihre (vermeintliche) Nähe zu Präsident Macron. | |
| Die Volksfront dürfte sich also diese Entscheidung mühsam abgerungen haben. | |
| Jedoch könnte Castets trotz ihrer Karriere im Verwaltungswesen (mitunter | |
| gedeutet als Nähe zur Pariser Elite) als eine unverbrauchte Kandidatin | |
| wahrgenommen werden. Der Erfolg der Rechten kann auch lehren, dass | |
| politische Unerfahrenheit sogar ein förderlicher Faktor für die Reputation | |
| einer Politikerin darstellen kann. | |
| Paradoxerweise hat Marine Le Pen mitunter eine hohe Popularität in der | |
| fünften Republik, weil sie den Élysée-Palast nicht kennt. Castets kann dies | |
| ausgleichen und glaubhaft für die Interessen der Arbeiter- und Mittelklasse | |
| Frankreichs einstehen. | |
| Weshalb ist es so wichtig, dass Lucie Castets eine „unverbrauchte“ | |
| Kandidatin bleibt? Die politische Konzeption einer Großen Koalition, etwa | |
| indem man Grüne und Sozialdemokratie (PS) aus dem neu gegründeten Bündnis | |
| herauskomplimentiert und mit den Macronist*innen zusammenführt, wäre | |
| fatal. | |
| Eine noch so große republikanische Koalition unter Einbeziehung des | |
| Macron-Lagers mit ihrer extrem elitären Konzeption des Liberalismus genügt | |
| nicht, um dem RN entgegenzutreten. Eine zahnlose Linke unter der Fuchtel | |
| Macrons wäre nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der | |
| Rechtspopulist*innen. | |
| ## Gegenpopulismus als Erfolgsrezept | |
| Die globalen Krisen, etwa die extrem ungleiche Vermögensverteilung, haben | |
| sich unter dem französischen Präsidenten noch verschärft. Sollten die | |
| wichtigen Proteste der Sozial-, der Klima- und der Emanzipationsbewegungen | |
| keine parlamentarisch unterstützte Selbstwirksamkeit erfahren, dürften | |
| harte Jahre auf die Republik zukommen. Eine neue Antwort in Form des | |
| Nouveau Front Populaire ist bitter nötig. | |
| Im Nouveau Front Populaire wird, wie der französische Philosoph Étienne | |
| Balibar sagt, ein populäres Politikverständnis deutlich. Dieses | |
| Politikverständnis zeichne sich „durch die Fähigkeit aus, die Defensive in | |
| eine Offensive, die ‚Ablehnung‘ (Wut oder Verzweiflung) in die Affirmation | |
| eines Rechts, einer Solidarität und eines Willens zur Veränderung der | |
| ‚Welt‘ zu verwandeln“. | |
| Warum kann die Populäre Volksfront als Einzige den RN aufhalten? Sie ist | |
| die konsequente Antwort auf den grassierenden (rechten) Populismus. Dieser | |
| konstruiert aus Frustration und Ohnmacht eine „gute“ Volksgemeinschaft | |
| gegen alle Außenseiter*innen. | |
| Die Populäre Bewegung dagegen ist universell. In ihr gilt es, sich vom | |
| Kapital und von Ausbeutungsverhältnissen, von der Enteignung natürlicher | |
| Ressourcen und vom fossilen Wirtschaften, von Rassismus und Antisemitismus | |
| zu befreien. Sie bildet, so Balibar, einen Gegenpopulismus, indem die | |
| Bürger*innen nicht, wie bei den rechten Parteien, an ihren Führern | |
| hängen, sondern selbstwirksam, aktiv und kooperativ im Gemeinwesen | |
| arbeiten. | |
| ## Den Rechten die Diskurshoheit entreißen | |
| Die Populäre Bewegung muss noch beweisen, dass unter ihrer Verantwortung | |
| sozialistische Praxis als Lebens- und Alltagserfahrung Wirklichkeit werden | |
| kann und dass sie kein „Kartell der Linken“ ist. Sollte dies gelingen, wäre | |
| die Republik einer besseren und gerechteren Gesellschaft ein entscheidendes | |
| Stück näher gekommen. Zu guter Letzt wäre dem Rechtspopulismus die | |
| Diskurshoheit entrissen. | |
| [3][Auch in Italien formiert sich der Mitte-links-Block, um gemeinsam gegen | |
| das sozialdarwinistische Programm Giorgia Melonis vorzugehen.] Es bleibt | |
| nur zu hoffen, dass die Akteure in Italien bereits vom Erfolg des NFP in | |
| Frankreich gelernt haben. Aus ihrer Ablehnung gegenüber der Regierung | |
| Meloni sollten sie eine fortschrittliche Vision entwickeln. | |
| 25 Jul 2024 | |
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| Simon Bozic | |
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