# taz.de -- Zähe Regierungsbildung in Frankreich: Macron disqualifiziert die L… | |
> Frankreich hat noch immer keinen neuen Premierminister oder eine | |
> Premierministerin. Präsident Macron spielt weiter auf Zeit und will mehr | |
> Gespräche. | |
Bild: Ehrengarde am Elysee-Palast schließt die Augen vor der Sonne, während s… | |
Paris taz | Staatspräsident Emmanuel Macron will weitere Konsultationen mit | |
den Parteien und diversen Persönlichkeiten organisieren, um einen Ausweg | |
aus der Regierungskrise zu finden, die er mit den von ihm angesetzten | |
Neuwahlen selbst ausgelöst hat. Noch immer erwartet er, dass sich die | |
zerstrittenen Parteien im Interesse der Nation auf eine mehrheits- und | |
regierungsfähige Koalition einigen. | |
Dabei schließt er nach den bisherigen Gesprächen eine Linksregierung der | |
[1][Neuen Volksfront (NFP)], einer Wahlallianz von Sozialisten, Grünen, | |
Kommunisten und La France insoumise, explizit von vornherein aus. [2][Die | |
von der NFP als Premierministerin vorgeschlagene Lucie Castets kommt] für | |
ihn absolut nicht in Frage. Sein Argument: Eine Regierung von Castets würde | |
in kürzester Frist unweigerlich durch ein Misstrauensvotum der anderen | |
Fraktionen gestürzt. Er wünsche sich eine „stabile“ Regierung. | |
Die NFP sieht in dieser Haltung einen Affront und weigert sich, an weiteren | |
Treffen mit Macron teilzunehmen. Um den Druck auf den zögernden Präsidenten | |
zu verstärken, haben die Linksparteien für den 7. September eine große | |
Mobilisierung auf der Straße angekündigt, damit er endlich das Ergebnis der | |
Wahlen und den demokratischen Volksentscheid akzeptiere. | |
Das linke Bündnis ist als Siegerin aus den Parlamentswahlen hervorgegangen | |
und [3][reklamiert deshalb die Regierungsmacht für sich]. Mehr einer | |
Tradition folgend als einem zwingenden Gesetz hätte Macron der vereinten | |
Linke, die in der Nationalversammlung freilich nur über 197 von 577 Sitze | |
verfügt, als stärkster politischer Kraft den Auftrag zur Regierungsbildung | |
geben müssen. Die Verfassung ermächtigt ihn aber, zu ernennen, wen er will | |
und wann er will. | |
## Je länger das Warten dauert, desto ratloser wirkt Macron | |
Macron nimmt sich alle Zeit. Da in dieser Woche die Paralympischen Spiele | |
beginnen und danach eine zweitägige Reise nach Serbien auf der Agenda des | |
Präsidenten steht, kann nicht vor kommender Woche mit dem Namen eines neuen | |
Premiers gerechnet werden. Je länger das Warten dauert, desto mehr entsteht | |
der Eindruck einer gewissen Ratlosigkeit des Staatschefs. | |
Seine frühere Regierung mit Gabriel Attal als Premier reichte am 16. Juli | |
im Gefolge der Wahlniederlage der Macronisten den Rücktritt ein, doch mehr | |
als 40 Tage später hat Frankreich noch immer keine neue Regierung. Macron | |
konnte sich bisher nicht entschließen, jemanden mit der Regierungsbildung | |
zu beauftragen. | |
Das Ministerkabinett von Ex-Premier Attal führt daher, wie dies für solche | |
Situationen vorgesehen ist, die „laufenden Geschäfte“ weiter. Was genau das | |
heißt und wo die Grenzen der Zuständigkeiten für die | |
Interimsminister*innen liegen, hat die Verfassung nicht definiert. | |
Die Ministerien und der ganze Staatsapparat müssen weiter funktionieren, | |
ein Machtvakuum soll nicht entstehen. [4][In den letzten Wochen aber | |
intervenierten Attal und die meisten Mitglieder der Rücktrittsregierung so | |
aktiv wie vorher.] | |
Für Frankreich ist diese Situation ohne offizielle und ernannte Regierung | |
einmalig, sie vermittelt den Eindruck einer Regierungskrise oder einer | |
Ratlosigkeit des Staatschefs, der sich offenbar nicht für eine der | |
möglichen Varianten entscheiden kann oder will. | |
## Drei politische Lager blockieren sich gegenseitig | |
Die Ausgangslage ist allerdings kompliziert. Keiner der drei Blöcke in der | |
neugewählten Nationalversammlung hat eine absolute Mehrheit (289 von 577) | |
oder auch nur eine ausreichende relative Mehrheit, die es für eine | |
Regierungstätigkeit braucht. Und keiner der drei Blöcke kann sich eine | |
Koalition mit einem der beiden anderen vorstellen. | |
Der NFP steht der Block der extremen Rechten aus Marine Le Pens | |
Rassemblement National (RN) und der zu den Rechtspopulisten übergelaufenen | |
Les Républicains (LR) unter Ex-Parteichef Eric Ciotti gegenüber. Sie | |
verfügen zusammen über 142 Sitze. Dazwischen stehen die Macronisten mit 166 | |
und der Rest der konservativen LR-Fraktion (47). | |
Auch mithilfe eventueller Absprachen mit den Abgeordneten der restlichen | |
kleinen Fraktionen könnte keiner der drei großen Blöcke eine ausreichende | |
Mehrheit bilden. | |
## Setzt Macron auf Zermürbungstaktik? | |
Macron scheint indes gewillt zu sein, mit seiner Zermürbungstaktik die | |
Parteien so weit zu bringen, dass sie über ihren Schatten springen und sich | |
mit politischen Gegnern einigen. | |
Präzedenzfälle oder Vorbilder für eine Große Koalition vergleichbar mit | |
Deutschland oder Österreich gibt es in der französischen Geschichte nicht. | |
Das französische Mehrheitswahlrecht verfestigt vielmehr die bestehenden | |
Wahlallianzen. | |
Das erklärt, warum beispielsweise ein Teil der französischen Sozialisten, | |
die sich mit Macronisten auf ein minimales Regierungsprogramm einigen | |
könnten, schon wegen der bevorstehenden Kommunalwahlen von 2026 lieber an | |
der Einheit der NFP festhalten. | |
Mit seinem von der gesamten Linken als „arrogant“ empfundenen Ablehnung von | |
Castets als Premierministerin hat Macron den Zusammenhalt der NFP nur noch | |
weiter verstärkt. | |
27 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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