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# taz.de -- Politisches Patt in Paris: Macht und Spiele
> Fairness und Weitblick haben sich bei den Olympischen Spielen als
> zielführend erwiesen. Möge sich die Politik in Paris ein Beispiel daran
> nehmen.
Bild: Der Eifelturm versinkt im Morast
Die Olympischen Spiele hallen noch nach in Frankreich. Entgegen allen
düsteren Prognosen ist es ein meist ausgelassenes Sportfest geworden, ein
viele Menschen mitnehmendes, ein fast immer perfekt organisiertes, ein
strahlendes. Leider wird nur ein Bruchteil der Interessierten die
Paralympics verfolgen, die am 28. August starten. Nur wenige hatten vor
Beginn an funktionierende Olympische Spiele mitten in und um Paris herum
geglaubt.
Und Kritiker:innen behalten bis heute auch recht: [1][Es sind in den
Vorstädten Obdachlose, Geflüchtete und sozial Benachteiligte vertrieben
worden,] um Platz zu schaffen für olympische Bauten. Sie zu nutzen – dabei
geht es auch um Wohnraum – wird viel Geld kosten. Abermillionen von Euro
hat der französische Staat dafür privaten Unternehmen gegeben, anstatt
selbst sozial agierender Betreiber dieser Bauten zu sein.
Für Präsident Emmanuel Macron und seine von ihm erst im Januar neu
eingesetzte [2][Regierung unter Premierminister Gabriel Attal], die
mittlerweile nur noch geschäftsführend im Amt ist, waren die Olympischen
Spiele eine willkommene Flucht vor den garstigen innenpolitischen
Niederungen. Und auch vor dem Defizitverfahren, das die EU-Kommission gegen
Frankreich wegen [3][andauernder hoher Neuverschuldung] einleitet – letztes
Jahr betrug sie 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Und nun? Muss Macron erst mal ab kommender Woche eine beispiellose Blockade
im seit Juli neu konstituierten Parlament mit seinen 577 Sitzen auflösen.
In der Fünften Französischen Republik, die seit 1958 besteht, hat es das so
noch nie gegeben: drei relativ gleich große politische Blöcke von links bis
extrem rechts – keiner mit einer tragfähigen Mehrheit zum Regieren.
## Politische Blockade geht auf Macrons Konto
Es bräuchte jetzt breite Koalitionsverhandlungen, es bräuchte
gegenseitige Zugeständnisse, nur nicht an den zum Teil [4][rechtsextremen
Rassemblement National] (RN) unter dem jungen Jordan Bardella und der
ewigen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Der RN bleibt, auch wenn
er dieses Mal knapp „nur“ auf den dritten Platz kam, eine existenzielle
Gefahr für die französische Demokratie. Im Gegensatz zur AfD tritt er nach
außen meist umgänglicher und professioneller auf, distanziert sich brav von
Nazis.
Er lässt sie aber weiter, vornehmlich versteckt, in der Partei agieren.
Stichwort Kompromisse: Was hierzulande oft ein nerviges Gewese ist,
manchmal von Erfolg gekrönt, das ist in der hohen Politik jenseits des
Rheins noch nicht wirklich State of the Art. Auch wenn es jetzt allerorts
gepriesen wird, nachdem Macron ohne direkte Not und infolge der für seine
Partei Renaissance und sein Wahlbündnis Ensemble vorhersehbar enttäuschend
ausgegangenen Europawahlen nur qua seiner Machtfülle das Parlament auflöste
und [5][rasche Neuwahlen] dafür ausrief.
Rund 33 Prozent der Wähler:innen hatten bei der EU-Abstimmung für den
ultrarechten RN gestimmt, dessen Großthemen wirtschaftliche Kaufkraft und
Abwehr von Migration zogen. Doch statt für die eigentlich noch verbliebenen
Jahre bis zu Neuwahlen 2027 von Präsident und Parlament eine praktikable,
menschenfreundliche Politik voranzutreiben, hat Macron, der nach zwei
Amtszeiten verfassungsbedingt nicht mehr antritt, seine Equipe vor den Kopf
gestoßen.
Er hat nonchalant und Hals über Kopf die bis dahin relative Mehrheit von
Ensemble im Parlament verspielt. Anstatt Verbündete quer durch andere
demokratische Parteien zu suchen und Kompromisse anzugehen, provozierte
Macron unverantwortlich die momentane politische Blockadesituation.
Nochmals zugegeben: Kompromisse vorbereiten und festzurren, das ist bis
jetzt höchst selten in der französischen Politik und vertrackter als
hierzulande.
## Brandmauer auf Dauer nicht garantiert
Es gibt dafür noch keine Tradition der politischen Mäßigung – und das
Verhältniswahlrecht, das diese Art zu regieren und zu verwalten
unterstützt, wird zwar auch jetzt wieder vehement in Frankreich gefordert,
vorläufig aber praktisch nicht angewandt. So gewinnt letztlich fast immer
der oder die mit den meisten Stimmen, während die anderen leer ausgehen.
Lange Jahre war das Mehrheitswahlrecht in Frankreich ein Mittel, die
Ultrarechten aus dem Parlament herauszuhalten.
Aber auch wenn Anfang Juli die Brandmauer gegen rechts noch einmal
weitgehend hielt – sie ist wegen der letztlich gesamtgesellschaftlich
prekären Stimmung und teilweise auch wirklich prekären Lage auf Dauer
keinesfalls sicher. Macron hat eine politische Noch-Gefolgschaft, von der
nicht wenige nach seinen aktuellen Eskapaden jetzt auf Distanz zu ihm gehen
oder schon gegangen sind. So etwa Noch-Premierminister Attal, den Macron
mit seiner Hasardeur-Entscheidung überrumpelte.
Sie alle hätten es ohne Parlamentsneuwahlen leichter gehabt, als dann nicht
wie jetzt abgewatschtes Bündnis endlich konstruktiv die diffusen,
angstbesetzten Gefühle und Haltungen vieler Wähler:innen zu „denen da
oben“ anzugehen. Hätte, hätte. Frankreich ist qua Verfassung ein
hyperpräsidentiell regiertes Land. Der Präsident bestimmt den
Premierminister, er sitzt dem Ministerrat vor. Alles läuft auf ihn und
seine Person zu, das Land ist abhängig von der Führungsstärke, aber auch
von den Launen eines einzelnen Menschen.
Und Macron ist das personifizierte Gegenteil von Demut, er hat keine
Geduld, er ist kein Stratege, er ist ein Taktiker. Wohl wollte er mit den
von ihm verfügten Neuwahlen Dynamik hineintragen in die zähe Gestaltungs-
und Regierungsarbeit seines Bündnisses Ensemble. Er hat sich verzockt, er,
der 2017 als Präsidentschaftskandidat erstmals antrat, für ein neues
Frankreich en marche, in Bewegung.
## Kein Rütteln am Sieg der Linken
Das noch amtierende Regierungsbündnis Ensemble ist ein loser
Parteienzusammenschluss, der mit dem deutschen politischen
Koalitionsgedanken nichts gemein hat und – ungewöhnlich für Frankreich –
nur eine relative, keine absolute Mehrheit im Parlament hatte. Die liegt
bei 289 von 577 Sitzen. Macron hat die Dynamik nun bekommen, aber nicht in
seinem Sinn. Das hätte ihm stimmungstechnisch zuvor eigentlich schon klar
sein müssen.
Ensemble hat 84 Sitze verloren und ist nur noch zweitplatziert mit 163
Sitzen nach dem überraschenden Wahlsieg des linken Bündnisses [6][Nouveau
Front populaire] mit jetzt 180 Sitzen. Der zuvor als Sieger gehandelte RN
kommt insgesamt auf 142 Mandate. Wie reagiert der „maître des horloges“,
der Meister des Timings, wie Macron heute viele nur noch ironisch nennen,
auf diese aktuelle politische Fast-Pattsituation?
Er behauptet einfach dreist, keine Partei habe gewonnen, was einerseits
stimmt, weil jede Partei oder auch kleinere Bündnisse nun rasch mit einem
erfolgreichen Misstrauensvotum abgewählt werden könnten. Und andererseits
hat eben doch die zuvor mühsam vereinte Linke gewonnen, bestehend aus der
sich endlich langsam von Jean-Luc Mélenchon emanzipierenden LFI, den
Grünen, Sozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten.
Auch wenn Frankreich im zweiten Wahlgang am 7. Juli nicht unbedingt aus
Überzeugung, sondern teils nur aus Abwehr gegen extrem rechts die Linke
gewählt hat – sie hat es numerisch erfolgreich geschafft, sich an die
Parlamentsspitze zu setzen. Um das alles anzuerkennen, müsste Macron sich
von seiner Arroganz und seiner von Anfang an vertikalen Machtausübung
verabschieden, müsste ein fairer Schiedsrichter für alle Französ:innen
werden. Das wird nicht passieren.
## Le Pen sitzt in den Startlöchern
Macron ist kräftig demontiert, doch qua seiner verfassungsmäßigen
Machtfülle wird er aller Wahrscheinlichkeit nach das Bündnis der linken
Wahlsieger:innen links liegen lassen; wird sich wohl noch nicht mal auf
ein Gespräch mit der von ihnen nominierten parteilosen Kandidatin Lucie
Castets, einer Finanzdirektorin der Pariser Stadtverwaltung, treffen. Was
für eine Hybris.
Macron wird jetzt versuchen, klassisch sozialdemokratische und
konservative Kräfte jenseits des ultrarechten RN auf seine Seite zu ziehen
– und aus diesen Kreisen den oder die Premierminister:in benennen.
Nicht zu vergessen: Das Land befindet sich bereits im Vorwahlkampf für die
Präsidentschaftswahlen 2027. Einige Aspiranten auf das höchste Amt, wie
etwa der frühere Premierminister Édouard Philippe, der Macron im Amt zu
beliebt wurde, weshalb er ihn schasste, haben noch Rechnungen mit ihm
offen.
Und immer schwingt im politischen Umgang der Sozialist:innen und der
Konservativen mit Macron heftig mit, dass er diese Parteien seit 2016
brutal gespalten hat durch seine „Weder links noch rechts“-Politik, die
aber stetig rechter geworden ist.
Quoi faire, was tun nun? Vor allem zwei Namen kursieren im politischen,
nicht so wie um diese Zeit üblicherweise sommerschläfrigen Paris als
mögliche kommende Premierminister. Keiner von ihnen löst irgendwo
Begeisterung aus. Zwei altgediente Politiker sind es, um die 60: Xavier
Bertrand, parteilos und dem konservativen Spektrum zugerechnet. Der
aktuelle Präsident der nordfranzösischen Region Hauts-de-France bezeichnet
sich selbst als „sozialen Gaullisten“.
Und dann ist da noch Bernard Cazeneuve, früher bei den Sozialisten, heute
führt er die Kleinpartei La Convention. Ob einer der beiden oder eben die
ambitionierte Kandidatin der Linken, Castets, die politische Blockade
Frankreichs auflösen kann? Mit olympischen Tugenden, wie sie derzeit rauf
und runter in Medien und Politik gepredigt werden, mit Fairness, Teamgeist,
gutem Organisationstalent und Weitblick?
Man möchte es Frankreich wünschen. Denn [7][Marine Le Pen] und ihre
menschenfeindliche Truppe laufen sich gerade genüsslich und verlogen warm.
18 Aug 2024
## LINKS
[1] https://saccage2024.noblogs.org/
[2] /Regierungsumbildung-in-Frankreich/!5982348
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/198377/umfrage/staatsverschu…
[4] /Parlamentswahlen-in-Frankreich/!6018318
[5] /Europawahl-in-Frankreich/!6016542
[6] /Linksbuendnis-in-Frankreich/!6022019
[7] /Wahlkampffinanzen-in-Frankreich/!6022144
## AUTOREN
Harriet Wolff
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