# taz.de -- Regierungsbildung in Frankreich: Macron lässt sie zappeln | |
> Wer soll oder kann Frankreich regieren? Mit dem Ex-Sozialisten Bernard | |
> Cazeneuve hat Präsident Macron nun offenbar einen Favoriten gefunden. | |
Bild: Emmanuel Macron, der Demokratieverweigerer | |
Bald ist es 50 Tage her, dass das Ministerkabinett von Premier Gabriel | |
Attal im Zuge der Wahlniederlage der Macronisten den Rücktritt eingereicht | |
hat und im Auftrag des Staatspräsidenten seither die „laufenden Geschäfte“ | |
führt. So manche Insider der französischen Politik glaubten in den | |
vergangenen Tagen zu wissen, die Nominierung eines Premierministers oder | |
einer Premierministerin stehe kurz bevor, Präsident Emmanuel Macron habe | |
sich (endlich) entschieden. Das war nicht der Fall. Jedes Mal wartete man | |
in Frankreich vergeblich. Der Staatschef lässt seine Landsleute, die | |
langsam ungeduldig werden, zappeln. | |
Bei einer Medienkonferenz in Serbien, wo Macron angeblich ein paar | |
Rafale-Kampfjets an die prorussische Staatsführung verkaufen soll, bat er | |
am Freitag weiter um Geduld: Er werde „zum (von ihm) gewünschten Zeitpunkt | |
und im geeigneten Rahmen“ zur Nation sprechen, um zu enthüllen, was er zur | |
Regierungsbildung beschlossen habe. Er bat um Nachsicht wegen der | |
Schwierigkeit des Unterfangens: „Auch wenn dies nicht unbedingt sichtbar | |
ist, beschäftige ich mich Tag und Nacht, und das seit Wochen, damit, die | |
beste Lösung für das Land zu finden.“ | |
Der Druck auf ihn wächst. Langsam empfinden immer mehr Französinnen und | |
Franzosen die Tatsache, dass Frankreich immer noch keine Regierung hat, als | |
unerträgliche Geduldsprobe. Laut einer Umfrage für die Tageszeitung Le | |
Figaro glauben sieben von zehn Befragten nicht mehr daran, dass Macron eine | |
Lösung findet, die ihren Erwartungen entspricht. Diese sind natürlich je | |
nach Interessen und politischen Standpunkten sehr unterschiedlich. | |
## Cazeneuve gilt als Favorit | |
An mehr oder weniger plausiblen Vorschlägen oder Kandidaturen mangelt es | |
aber nicht. Namen zirkulieren bereits seit Wochen in der Gerüchteküche: So | |
der konservative Vorsitzende der Region Nord Xavier Bertrand oder der | |
frühere EU-Kommissar Michel Barnier. Andere wie namentlich die einstige | |
sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal boten sich selber | |
als Lösung an. | |
Ganz oben als Topfavorit auf der Liste der Wetten steht der Name des | |
[1][Ex-Sozialisten Bernard Cazeneuve.] Er war bereits Innen- und danach | |
Premierminister unter Präsident François Hollande. Er bietet für Macron | |
mehrere Vorteile: Er ist kein frontaler Gegner, sondern umgänglich und sehr | |
gemäßigt links, und vor allem spaltet schon die Perspektive seiner | |
Nominierung die französischen Sozialisten und die noch vereinte Linke des | |
NFP. | |
Seit einer Woche hatte Macron Delegationen der Parteien und diverse | |
Ratgeber zu „Konsultationen“ empfangen. Fast von Beginn an hat er gesagt, | |
dass er die von der [2][Neuen Volksfront (NFP) vorgeschlagene Lucie | |
Castets] und damit eine Wunschregierung der linken Wahlunion ablehnt. Das | |
hat die gesamte Linke, die nach ihrem Erfolg bei den Parlamentswahlen den | |
Auftrag zur Regierungsbildung für sich beansprucht, frustriert und empört. | |
In mehr oder weniger heftigen Tönen protestieren die Linksparteien der NFP | |
gegen eine „Demokratieverweigerung“ eines Präsidenten, der sich mehr Macht | |
aneigne, als dies die Verfassung und die Tradition der Republik vorsehe. Am | |
7. September sind Kundgebungen gegen Macron geplant. Die Linkspartei [3][La | |
France insoumise (LFI) von Jean-Luc Mélenchon] droht ihm gar mit einem | |
parlamentarischen Absetzungsverfahren, das theoretisch existiert, in der | |
Praxis allerdings null Chancen hätte. | |
## Macron will Parteien zum Einlenken bewegen | |
Macron gibt sich gelassen. Keinem seiner Besucher im Élysée-Palast hat er | |
verraten, was er genau plant. Er ließ vielmehr die Politiker*innen von | |
links und rechts wie zu einem Examen vortraben und stellte Fragen zu ihren | |
Absichten und ihrer Bereitschaft zu eventuell möglichen Kompromissen. In | |
Wirklichkeit versucht Macron nicht, eine geeignete Person für die Bildung | |
einer Regierung zu finden, er ist bestrebt, das Terrain für eine | |
regierungsfähige Mehrheit zu ebnen. | |
Das ist eigentlich nicht seine Aufgabe. Gemäß Verfassung ernennt er – | |
aufgrund der politischen Kräfteverhältnisse im Parlament – einen | |
Premierminister, dem es dann obliegt, eine Regierung zu bilden, die | |
mehrheitsfähig und in der Lage ist, etwa eine Vertrauensabstimmung zu | |
gewinnen oder einen Staatshaushaltsentwurf in den beiden Kammern | |
durchzusetzen. Macron interpretiert es als sein Pflicht, prioritär für eine | |
institutionelle Stabilität besorgt zu sein. | |
Keiner der drei politischen Blöcke in der Nationalversammlung (NFP, | |
Macronisten, extreme Rechte) will eine solche von Macron gewünschte breite | |
Koalition bilden, die mit einer regierungsfähigen Mehrheit rechnen kann. | |
Macron setzt darum die Zeit als Waffe ein, um die Parteien zum Einlenken zu | |
bewegen. Er hofft, dass sich die internen Spannungen innerhalb der NFP, | |
aber auch bei den Konservativen (La Droite républicaine), die bisher nicht | |
zu einer institutionalisierten Kooperation Hand bieten, verschärfen. | |
Cazeneuve wäre eine zusätzliche Trumpfkarte in diesem taktischen Spiel. Die | |
Schwächung der von ihm ungeliebten politischen Parteien war schon sein | |
Programm, als Macron 2016 mit En marche und seiner Devise „In der Mitte und | |
links und rechts zugleich“ die politische Arena betrat. | |
30 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-der-Wahl-in-Frankreich/!5363364 | |
[2] /Linksbuendnis-in-Frankreich/!6025835 | |
[3] /Jean-Luc-Melenchon-in-Frankreich/!6022783 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
## TAGS | |
Parlamentswahlen Frankreich | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Emmanuel Macron | |
Social-Auswahl | |
Sozialisten | |
Michel Barnier | |
Parlamentswahlen Frankreich | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Schwerpunkt Frankreich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regierung in Frankreich: Feilschen bis zum Schluss | |
Die Mitte-Rechts-Koalition aus Macronisten und Konservativen unter Michel | |
Barnier steht. Das Ergebnis soll „vor Sonntag“ bekannt gegeben werden. | |
Neuer Regierungschef in Frankreich: Kandidat des geringsten Widerstandes | |
Mit Michel Barnier macht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen | |
73-jährigen konservativen Pro-Europäer zum neuen Premier. | |
Regierungsbildung in Frankreich: Wie lange noch? | |
Macron ignoriert weiter das Ergebnis der französischen Parlamentswahlen. | |
Dabei hat er dort die Früchte seiner eigenen Politik geerntet. | |
Macron betrügt die WählerInnen: Die Premierminister-Casting-Show | |
Schon seit über einem Monat ignoriert Macron das Ergebnis der | |
Parlamentswahlen. Er hat nur eines im Sinn: Sein Erbe zu retten – auf | |
Kosten der Demokratie. | |
Zähe Regierungsbildung in Frankreich: Macron disqualifiziert die Linke | |
Frankreich hat noch immer keinen neuen Premierminister oder eine | |
Premierministerin. Präsident Macron spielt weiter auf Zeit und will mehr | |
Gespräche. | |
Politisches Patt in Paris: Macht und Spiele | |
Fairness und Weitblick haben sich bei den Olympischen Spielen als | |
zielführend erwiesen. Möge sich die Politik in Paris ein Beispiel daran | |
nehmen. |