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# taz.de -- 2. Wahlgang in Frankreich: Merci, Macron
> Panische Reaktionen auf den 1. Wahlgang in Frankreich waren unangemessen.
> Entscheidend ist, dass die Mehrheit die Faschisten von der Macht
> fernhält.
Bild: Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte am Strand Hand in Hand
Mit insgesamt 33,2 Prozent hat der Rassemblement National (RN) im ersten
Wahldurchgang ein historisches Ergebnis erzielt. Vielleicht lag es an der
insbesondere deutsche Gemüter verschreckenden Zahl 33, dass die meisten
Medien die faschistische Machtergreifung schon vollzogen sahen: „Macron
verzockt die Republik“, [1][titelte etwa die taz], damit ausnahmsweise im
Mainstream der Meinungen bleibend.
Dass man das Ergebnis im Rahmen eines nicht unkomplizierten – aber auch
nicht völlig unentschlüsselbaren – Wahlsystems auch anders lesen konnte,
zeigte die linke Zeitung il manifesto aus Rom i[2][n einem Leitartikel am
Mittwoch.] Der war überschrieben mit „Das Spiel ist noch völlig offen“.
Zwar nehme man das Risiko im Kauf, nach dem zweiten Wahlgang am
Sonntagabend als hoffnungslos optimistisch verlacht zu werden; aber die
absolute Mehrheit des RN sei keineswegs ausgemacht, selbst die
Zusammensetzung des Parlaments überhaupt könne noch überraschen.
Das liegt schlicht daran, dass die von Präsident Macron beförderte breite
demokratische Front – von gerade eben noch republikanisch rechts bis
stramm links – zur Abwehr [3][der faschistischen Gefahr] für den zweiten
Wahlgang Wirklichkeit geworden ist. Übrigens schon der zweite Erfolg von
Macron bei dieser Wahl. Der erste war der durch die Ansetzung ausgelöste
Druck auf die sich chronisch kabbelnden französischen Linksparteien, das
Wahlbündnis Nouveau Front populaire (NFP) zu schließen, das nun mit fast 30
Prozent nur unwesentlich hinter den Faschisten liegt. Wird Frankreich am
Ende links regiert?
Den [4][Börsen], die angesichts des ausgebliebenen Durchmarsches des RN
[5][„Erleichterung nach französischer Wahl“ (FAZ) ] signalisierten, dürfte
das kaum gefallen; und keineswegs wollen wir behaupten, vorhersehen zu
können, wie viele gerade bürgerliche Wähler am Sonntag ihr Kreuz dann doch
bei den Faschisten machen.
## Unsere eigenen braunen Zonen
Die Sache ist noch ernster, wenn wir uns der EU-Ebene und insbesondere
unseren eigenen braunen Zonen zuwenden. Denn selbst wenn die europäische
Einheitsfront gegen den Faschismus hält, bleibt die Frage, ob sie in der
Lage ist, eine Politik zu machen, die die Zahl der faschisierten
Wähler:innen – das von neurotischen Ängsten und lustbesetzten
Grenzüberschreitungen gepeitschte „[6][Normalitariat]“, wie Kollege Andreas
Rüttenauer sie mal genannt hat – dauerhaft unter 50 Prozent hält und
perspektivisch auf ein wohl unvermeidliches, aber ungefährliches Sockelmaß
an Demokratiegefährdern zurückdrückt.
In dem erwähnten Leitartikel aus Italien wird ein Programm für eine solche
Politik entworfen: Wiederherstellung sozialer Sicherheit, Schutz vor den
Verwerfungen eines zerstörerischen Kapitalismus, Arbeitsplätze mit Würde
und mit einem ein Leben im Nachkriegswohlstand sichernden Einkommen – das
sei die wirkungsvolle, eben sozialpolitische Brandmauer gegen rechts.
Einen indirekten Einwand gegen solche Rezepte hat gerade [7][in einem
Interview mit der FAZ ] ein erfahrener Journalist aus Sachsen gegeben: „Wir
hatten hier Arbeitslosigkeit, die wirklich viele Menschen extrem belastet
hat. Das Thema ist durch. Wir haben Vollbeschäftigung, wir haben
Neuansiedlungen, den Menschen geht es gut. Die Straßen sehen geleckt aus im
Vergleich zu manchen Orten im Westen. Und trotzdem äußert sich eine
riesengroße Unzufriedenheit.“
Wenn Sie nun die Geduld aufbringen, mir noch mal nach Italien zu folgen,
dann lesen Sie bitte noch, was der 68er Adriano Sofri ebenfalls unter dem
Eindruck der französischen Wahlen [8][geschrieben hat.] Die Basis für den
Aufstieg der Formen des „revolutionären“ Faschismus des 20. Jahrhunderts
seien Krieg und organisierte Arbeiterbewegung gewesen. Der „evolutionäre“
Rechtsextremismus unserer Zeit habe hingegen „seinen entscheidenden Faktor
in der Einwanderung“. Der „Virus“ Kampf gegen Einwanderung sei inzwischen
in Europa endemisch geworden, und der europäische Körper habe ein
„dramatisches Problem mit der Immunabwehr“.
## Schmerzhafte Kompromisse
Man muss die Terminologie nicht teilen, um festzuhalten: Antifaschismus
heute bedeutet primär Verteidigung, Management und Entwicklung der
Einwanderungsgesellschaft – was extrem harte Arbeit ist, da selbst unter
ähnlich Gesinnten die Haltungen dazu weit auseinandergehen.
Die Front gegen [9][verängstigte Herrenmenschen und ihre Demagogen] müssen
wir jedenfalls alle zusammen bilden. Das wird schmerzhafte Kompromisse bei
unseren 50,1 Prozent erfordern. Die gute Nachricht ist: Migration kennt die
Menschheit seit ihren Anfängen. Der Kampf bleibt uns nicht erspart, aber es
besteht kein Zweifel, dass wir gewinnen werden.
Wenn wir auf die Wahlen in Frankreich zurückkommen, dann hat Macron –
gewiss auch aus eitlen Zockermotiven, aber ohne die geht es in der Politik
nicht – kraftvoll eine grundsätzlich Klärung verlangt, [10][eine
clarification]: [11][Entscheidet euch] – für die Zukunft oder für die
Rückkehr in die dunkelste Vergangenheit.
6 Jul 2024
## LINKS
[1] /!6017873/
[2] https://ilmanifesto.it/la-partita-e-ancora-molto-aperta
[3] https://www.liberation.fr/politique/au-rn-la-realite-raciste-du-parti-persi…
[4] https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/wahlen-in-frankreich-und-s…
[5] https://internetzeitung.net/2024/07/01/boersen-in-turbulenten-zeiten-erleic…
[6] /Die-Wahrheit/!5937727
[7] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/rechtsruck-in-sachsen-die-ers…
[8] https://www.ilfoglio.it/piccola-posta/2024/07/02/news/-mai-piu-o-quasi-l-eu…
[9] /Strategie-rechter-Populisten/!5952055
[10] https://www.france24.com/en/france/20240702-le-pen-s-far-right-is-at-the-g…
[11] https://www.nytimes.com/2024/06/10/world/europe/france-macron-elections-an…
## AUTOREN
Ambros Waibel
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rechts.
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