# taz.de -- Nationalisten in Frankreich: Der unaufhaltsame Vormarsch | |
> Die Partei der Rechtspopulistin Marine Le Pen wird am Sonntag stärkste | |
> Kraft. Wahlverlierer Macron ruft auf zum demokratischen Bündnis gegen | |
> rechts. | |
Bild: Applaus für sich selbst: Marine Le Pen am Sonntagabend | |
PARIS taz |/dpa/afp | Die ersten Hochrechnungen und Schätzungen aufgrund | |
der Ergebnisse des ersten Durchgangs der Wahl der Abgeordneten der | |
Nationalversammlung bestätigten sogleich die Voraussagen der | |
Umfrageinstitute. Die extreme Rechte setzt ihren rasanten Vormarsch bei den | |
Europawahlen mit einem vergleichbar hohen Stimmenanteil fort. | |
Laut den Informationen des Fernsehsenders TF1 haben die Kandidaten des | |
Rassemblement National (RN) landesweit 34,2 Prozent erhalten, die linke | |
Volksfront (Nouveau Front Populaire) 29,1 Prozent, die unter dem Namen | |
Ensemble vereinten Regierungsparteien hinter Präsident Emmanuel Macron 21,5 | |
Prozent und der Rest der Konservativen der Partei Les Républicains (LR), | |
die sich nicht dem RN angeschlossen hatten, bekamen rund 10 Prozent, alle | |
anderen zusammen 4,3 Prozent. | |
## Drastischer Einbruch der Mitte | |
Dies verdeutlicht vor allem den drastischen Einbruch der liberalen | |
Zentrumsparteien, die bisher in Macrons Regierungskoalition vertreten | |
waren. Als Antwort auf den Vormarsch der extremen Rechten hatten sich die | |
linken Oppositionsparteien (Sozialisten, Kommunisten, Grüne und La France | |
insoumise) zu einer neuen Wahlunion zusammengeschlossen, sie haben damit an | |
Boden gewonnen. Die Prozentanteile sind aber nur ein Indiz einer Tendenz | |
und lassen nicht wirklich eine präzise Umrechnung zu, denn in der Mehrheit | |
der Wahlkreise findet eine Stichwahl mit zwei oder drei Finalisten statt. | |
Der Vormarsch der extremen Rechten an die Macht scheint sich zu bestätigen. | |
Aufgrund dieser Resultate meint der private Sender, dass RN nach den | |
Stichwahlen vom kommenden Wochenende über 240 bis 270 Sitze verfügen | |
könnte. Das würde bedeuten, dass die extreme Rechte nicht eine absolute | |
Mehrheit zum Regieren erhalten würde, sie liegt bei 289 Sitzen. | |
## Erreicht der RN die absolute Mehrheit? | |
Die Volksfront käme laut diesen Berechnungen auf 180 bis 200 Sitze, die | |
bisher regierenden Macronisten lediglich auf 60 bis 90, LR-Konservative auf | |
30 bis 50 und andere auf 13 bis 21 Sitze. Ein anderes Institut lieferte auf | |
dem öffentlichen Sender France-2 andere Zahlen, denen zufolge der | |
RN-Parteichef Jordan Bardella als möglicher Premierminister über eine | |
absolute Mehrheit von bis zu 300 Abgeordneten verfügen könnte. | |
Das französische Mehrheitswahlsystem macht diese Hochrechnungen zu einer | |
Spekulation, vor allem solange nicht klar ist, in wie vielen der 577 | |
Wahlkreisen entweder ein Kandidat oder eine Kandidatin auf Anhieb mit mehr | |
als 50 Porzent im ersten Durchgang gewählt wurde und wo es zu Stichwahlen | |
kommt. | |
Bereits absehbar war, dass in zahlreichen Wahlkreisen nicht nur zwei, | |
sondern drei Bewerber*innen am kommenden Sonntag für einen Sitz | |
antreten können. Sie müssen dazu im Minimum die Stimmen von 12,5 Prozent | |
der eingeschrieben Wähler erhalten haben. Sie können sich aber auch | |
zugunsten eines anderen Finalisten zurückziehen. Über die Frage, wie die | |
Rechtsextremen noch vor der Erlangung der Regierungsmacht gestoppt werden | |
können, gehen die Ansichten zwischen der Linken und den Konservativen und | |
Macronisten noch auseinander. | |
Die für Frankreich sehr hohe Wahlbeteiligung verdeutlicht, wie sehr die | |
Stimmberechtigten sich bewusst waren, dass dieses Datum wahrscheinlich in | |
die politische Geschichte eingehen würde. Die Beteiligung erreichte mit | |
fast 70 Prozent der 49 Millionen Eingeschriebenen ein Niveau der | |
Beteiligung, wie es Frankreich seit 27 Jahren nicht mehr kannte. Bei der | |
letzten Wahl im Jahr 2022 hatten nur 47,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre | |
Stimme abgegeben. | |
## Macron fordert ein „rassemblement démocrate et républicain“ | |
Präsident Emmanuel Macron rief die Wähler am Sonntag unmittelbar nach | |
Schließung der Wahllokale auf, in der zweiten, entscheidenden Wahlrunde | |
einen Sieg des rechten Lagers zu verhindern. „Angesichts des Rassemblement | |
National ist es nötig, ein breites, demokratisches und republikanisches | |
Bündnis für die zweite Wahlrunde zu bilden“, erklärte Macron laut einer | |
Pressemitteilung aus dem Elysées-Palast am Sonntag. | |
Im französischen Original sprach Macron von einem „large rassemblement | |
clairement démocrate et républicain“, das dem Rassemblement National von Le | |
Pen entgegengesetzt werden müsse. | |
Der Gründer der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, will einen | |
Sieg der Rechtsnationalen bei den Stichwahlen unbedingt verhindern. Er rief | |
deshalb die linken Kandidaten in bestimmten Fällen zu einem Rückzug auf. In | |
den Wahlkreisen, in denen das Linksbündnis auf Platz drei und die Rechten | |
auf Platz eins in die Stichwahlen gingen, sollten sich die linken | |
Kandidaten zurückziehen, sagte Mélenchon am Sonntag. „Unter allen Umständen | |
ist unsere Anweisung klar: Keine einzige Stimme mehr für den RN“, so | |
Mélenchon. | |
Marine Le Pen hat derweil darum geworben, der rechtsnationalen Partei bei | |
den Stichwahlen zu einer absoluten Mehrheit zu verhelfen. „Ich rufe Sie | |
auf, sich der Koalition der Freiheit, der Sicherheit und der Brüderlichkeit | |
anzuschließen“, sagte Le Pen am Sonntagabend. „Mobilisiert euch, damit das | |
Volk gewinnt.“ In der Politik sei nichts gewöhnlicher als ein Machtwechsel, | |
sagte Le Pen. Sie warnte vor falscher Angstmache gegen ihre Partei. | |
Anm. der Redaktion: Der Text wurde nach Schließung der Wahllokale um 20 Uhr | |
mehrfach aktualisiert. | |
30 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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