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# taz.de -- Die Zukunft der Grünen: Müssen die Grünen radikaler werden?
> Nach der verlorenen Europawahl sind die Grünen in einer Zwickmühle: Sie
> machen zu viel und sie machen zu wenig. Dabei gäbe es eine andere Lösung.
Bild: Entscheidend sind jetzt die Dinge, für die man nicht gegründet wurde
Die auf den ersten Blick seltsame Obsession der deutschen
Mediengesellschaft mit den Grünen ist ein gutes Zeichen. Tendenziell.
Gerade durch den heftigen Widerspruch zeigt sich, dass es durchaus ein
Bewusstsein dafür gibt, dass entscheidende Zukunftsfragen im Kern
sozialökologische sind. Zweitens weiß man zumindest unterbewusst, dass
Union und SPD keine Spannungspole für Zukunftspolitik mehr sind.
Auf dieser Grundlage wird im Moment gestritten und versucht, meine These
gegendarzustellen, die derzeitige Lieblingsbeschäftigung von
Linkssozialdemokraten, Classic-Konservativen, Asozial-Liberalen,
antiliberalen Staatsfeinden sowie Hinz und Kunz.
Nach der Europawahl und 2,8 Prozent Verlusten gegenüber der bereits
krachend verlorenen Bundestagswahl (14,7) haben wir die erwartbare
Stehsatz-Analyse: [1][Die Grünen müssen bereuen] und umkehren! Entweder sie
haben zu viel oder zu wenig gemacht.
Die meisten Strategen wollen die Grünen schlicht wieder an den Rand
zurücktreiben, wo sie entweder kein Unheil mehr anrichten können
(konservative Sicht) oder wieder „radikaler“ werden sollen (linke Sicht),
also sich auf moralisches Sprechen reduzieren oder einfach mal mehr
durchsetzen. Mehrheiten in Regierung und Parlament interessieren dieses
Denken nicht, es geht um Haltung. Die linke Sicht ist häufig auch nur eine
verbrämte Machtstrategie, denn sie möchte, dass die Sozialökologie
gefälligst wieder zum linken Add-on geschrumpft wird.
Als Beiprodukt des Krisennarrativs (alles schlimm) greift die romantische
Nostalgie um sich, sodass auch Union und SPD gern gewünscht wird, sie
sollten wieder wie früher werden, dann würde alles wieder gut.
Pfeifendeckel. Die beiden Fossilparteien haben es nach 2005 zusammen
versäumt, die drängende Reformpolitik zu finden, zu erklären und Mehrheiten
dafür zu gewinnen. Das ist der Grund, warum Entscheidendes eben nicht gut
ist.
## Man wird priorisieren müssen, sehr unangenehm
Was werden die Grünen jetzt tun? Am besten (für die Konkurrenz) die
bewährten Klassiker aufführen, also interne altlagerorientierte Machtkämpfe
unter Absingen der traditionellen Psalmen. Für die realistischen
Zukunftsinteressierten in und außerhalb der Partei geht es darum, eben
nicht in die [2][Habeck-Baerbock-Duell-] und Radikaler-werden-Fallen zu
tappen, nach denen wir simpel gestrickte Medien gieren, sondern das
Vertrauen in eine gesamtgesellschaftlich orientierte Kraft des gemäßigt
Progressiven auf der Höhe der Zeit neu und besser zu begründen.
Das geht nicht mit altgrüner Lager- und Politik-Folklore und auch nicht mit
Weiter-so-Regieren. Nun muss – um das zur Feier von Jürgen Habermas’ 95.
Geburtstag habermasianisch zu denken – der Grüne Idealismus, der die
Bundesrepublik zivilisieren half, mit den realen Gnadenlosigkeiten des 21.
Jahrhunderts viel intensiver ins deliberative Gespräch kommen.
Angesichts einer fehlenden politischen Priorisierung pflegt die
bundesdeutsche Gesellschaft weiter ihre unterschiedlichen Illusionen: Die
Erderhitzung wird schon nicht, Putin wird schon nicht, autoritär-national
wird super. Die Realitätsverweigerung ist leider die Grundlage eines
inklusiven Zukunftsgesprächs. Um da eine Chance zu haben, muss man erst mal
eigene Illusionen abräumen.
Und dann wird man priorisieren müssen, sehr unangenehm. Was haben wir
falsch gesehen, wo haben wir die Kollateralschäden unserer Politik
unterschätzt? Im besten Fall wird man am Ende Allianzen gewinnen, um die
zentralen Dinge tun zu können, für eine [3][starke Wirtschaft ohne
Emissionen], für die Verteidigungsfähigkeit des liberaldemokratischen
Europas nach innen und nach außen.
Entscheidend sind jetzt die Dinge, für die man nicht gegründet wurde.
23 Jun 2024
## LINKS
[1] /Gruene-bei-der-Europawahl/!6015292
[2] /Gruende-fuer-Wahlniederlage-der-Gruenen/!6017444
[3] /Gruenes-Wachstum/!t5054268
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Europawahl
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