# taz.de -- Grüne bei der Europawahl: Absturz mit Ansage | |
> Die Grünen schmieren bei der Europawahl ab. Ein Grund: Unzufriedenheit | |
> mit der Ampel. Aber auch das Thema Klimaschutz rutschte in den | |
> Hintergrund. | |
Bild: Um rund acht Prozent eingebrochen: Schlechte Stimmung auf der Wahlparty i… | |
Lange Gesichter bei den Grünen im Europaparlament in Brüssel: Der Wahlabend | |
begann mit schlechten Zahlen aus Österreich, wo der erste Trend herbe | |
Verluste von vier Prozentpunkten auf rund 10 Prozent der Stimmen andeutete. | |
Die grüne Spitzenkandidatin, die 23-jährige Klimaaktivistin [1][Lena | |
Schilling], hatte ihren Wahlkampf komplett versemmelt und wurde nun wie | |
erwartet abgestraft. | |
Danach warteten die Grünen, die sich in einem viel zu kleinen Saal in der | |
4. Etage bei veganen Mini-Hamburgern und Rohkost versammelt hatten, | |
gespannt auf die ersten Trendmeldungen aus Deutschland. Die Stimmung fiel | |
sofort auf den Nullpunkt, als ein Minus von 8,5 Prozentpunkten gegenüber | |
2019 angekündigt wurde. Ein schockiertes „Oh, no“ raunte durch den Saal. | |
Die ersten Zahlen seien enttäuschend, räumte Bas Eickhout, europäischer | |
Ko-Spitzenkandidat aus den Niederlanden ein, kurz nach Bekanntgabe der | |
ersten Prognosen ein. | |
Ernüchterung herrschte auch bei der Wahlparty der deutschen Grünen in der | |
Columbiahalle in Berliner-Tempelhof, wo sonst Popkonzerte stattfinden. Um | |
18 Uhr, als die ersten Zahlen über die Leinwand liefen, war es | |
weitestgehend still im Saal. Ein paar einzelne Gäste klatschten zwar | |
verzagt, als der Wert der Grünen erschien. Zu einem richtigen Applaus wuchs | |
sich das aber nicht aus. | |
Mit Verlusten hatten die Grünen schon vor dem Wahltag gerechnet. Mit laut | |
ersten Prognosen rund 12 Prozent der Stimmen fielen diese aber noch stärker | |
aus als befürchtet. „Es wäre falsch, dieses Ergebnis schönreden zu wollen. | |
Wir sind nicht zufrieden“, sagte Spitzenkandidatin [2][Terry Reintke] auf | |
der Bühne. Über die Gründe werde man reden müssen. Fast identisch klangen | |
die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour. | |
## Das Heizungsgesetz wirkt nach | |
Dass die Grünen das Ergebnis der letzten Europawahl nicht wiederholen | |
können, war schon lange absehbar. Mit 20,5 Prozent der Stimmen waren sie | |
2019 hinter CDU/CSU auf dem zweiten Platz gelandet – ein Rekordergebnis für | |
die Mitte-links-Partei. Es waren Zeiten, in denen Fridays for Future | |
Millionen auf die Straßen brachten und Klimaschutz in der Bevölkerung auf | |
verhältnismäßig breite Zustimmung stieß. | |
Es ist beinahe zwei Jahre her, dass sich die Grünen in Umfragen zuletzt in | |
solchen Bereichen bewegten. Nach Corona, Krieg und Inflation ist unter den | |
Wähler*innen die Begeisterung für den Klimaschutz eingebrochen. Von | |
eigenen Fehlern beim Heizungsgesetz – vielfach als zu radikal wahrgenommen | |
– hat sich die Partei bei den Zustimmungswerten bis heute nicht erholt. | |
Auf der anderen Seite könnten sich gerade wegen vieler Kompromisse, in der | |
Klimapolitik wie in anderen Bereichen, aber auch ehemalige | |
Kernwähler*innen abgewendet haben. Und über allem schwebt die | |
allgemeine Unzufriedenheit mit den Ampelparteien. | |
All das war bei den Grünen im Vorfeld des Europawahlabends eingepreist. Sie | |
selbst hatten zwei alternative Kriterien für Erfolg und Misserfolg angelegt | |
als den Vergleich zu 2019: Sie verwiesen schon in den letzten Monaten immer | |
wieder darauf, in Umfragen immerhin als einzige Ampelpartei nicht | |
schlechter dazustehen als bei der Bundestagswahl 2021. 14,6 Prozent der | |
Stimmen holten sie damals. Die Prognosen vom Sonntag lagen nun auch unter | |
diesem Wert. | |
## Ziel: VOR die AfD kommen | |
Dazu kam als zweites Ziel, vor der AfD zu landen. „Grün vor Blau“, hatte | |
die Partei-Geschäftsführerin Emily Büning gefordert. Hochrechnungen zufolge | |
haben die Grünen auch dieses Wahlziel verfehlt. In der Berliner | |
Columbiahalle machte sich das Gefühl breit, dass der Erfolg der Rechten an | |
diesem Abend sogar noch mehr schmerzte als der eigene Misserfolg. Und im | |
Speziellen: Dass gerade bei den Jungwähler*innen die Grünen enorm | |
verloren, die AfD aber gewonnen hat. | |
Und da landete die Ökopartei laut den Hochrechnungen auch noch hinter der | |
SPD. Für die Stimmung ist die Reihenfolge etwas mehr als ein Jahr vor der | |
Bundestagswahl interessant – allein schon hinsichtlich der Frage, ob die | |
Grünen noch mal einen Kanzlerkandidaten aufstellen können oder ob das | |
vermessen wirken würde. | |
Dass sich die Zeiten seit der letzten Europawahl geändert haben, ist nicht | |
nur dem Wahlergebnis der Grünen anzumerken. Man sah es auch an ihrem | |
Wahlkampf. Den Klimaschutz stellte die Ökopartei anders als 2019 nicht in | |
den Mittelpunkt. Stattdessen ging es in erster Linie um die Verteidigung | |
der Demokratie und den Kampf gegen rechts. | |
Zwar litten die Grünen in den letzten Monaten unter teils tätlichen | |
Angriffen von rechts. Ihren Wahlkampf schränkte das ein. Allerdings | |
profitierte die Partei zunächst auch von der Stimmung, die seit | |
Jahresbeginn von Demos für die Demokratie ausging. Die Parteizentrale | |
verzeichnete eine Eintrittswelle, auf Wahlplakaten dominierten infolge | |
dessen Motive gegen den Rechtsruck. An der Wahlurne zahlte sich das jetzt | |
aber offenbar nicht entscheidend aus. | |
Wenn es im grünen Wahlkampf doch ums Klima ging, dann in anderer Form als | |
noch bei der Bundestagswahl 2021. Damals zeigte die Partei in einem | |
Werbespot Annalena Baerbock in einem abgestorbenen Wald im Harz stehend, | |
warnte mit dystopischen Aufnahmen vor den Folgen des Klimawandels. | |
## Nebenrolle für Asylpolitik | |
Diesmal warben sie dafür, mit Klimaschutz den Wohlstand zu sichern. Dazu | |
passend blieb von Spitzenkandidatin Reintke vor allem hängen, dass sie aus | |
dem Ruhrgebiet stammt und weiß, wie ein Stahlwerk aussieht. Ansonsten | |
führte sie einen unauffälligen Wahlkampf, sichtbar darauf bedacht, wenig | |
Angriffsfläche zu bieten. | |
Nur eine Nebenrolle spielte im Wahlkampf der Grünen schließlich die | |
[3][Asylpolitik] – obwohl sie laut Umfragen für viele Wähler*innen | |
entscheidend war. Asyl und Migration sieht man in der Partei aktuell | |
offenbar nicht als Gewinnerthemen an. Erst auf den letzten Wahlkampfmetern | |
setzten sich die Grünen in diesem Bereichen noch vernehmbar von der | |
Konkurrenz ab: Seit dem tödlichen Messerangriff von Mannheim forderten | |
andere Parteien einschließlich der SPD über Abschiebungen nach Afghanistan. | |
Die Grünen widersprachen. Lieber wäre es ihnen aber sichtbar gewesen, hätte | |
es für das Thema weniger Aufmerksamkeit gegeben. | |
9 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
Tobias Schulze | |
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