# taz.de -- Infrastruktur deutscher Schwimmbäder: Deutschland säuft ab | |
> Wer einen Schwimmkurs sucht, muss sich auf lange Wartezeiten und marode | |
> Schwimmbäder einstellen. Vom beschwerlichen Weg zum Seepferdchen. | |
Bild: Ein Sprung in kaltes Wasser kann glücklich machen | |
Das hier ist eine Sommerkolumne, der Autor ist nach Diktat abgetaucht – | |
womit wir beim Thema wären: Es geht ums Freibad, ein [1][Lieblingsthema der | |
Deutschen] und ihrer Journalisten. Jeden Sommer gibt es Texte, die in | |
Nostalgie und gechlorten Jugenderinnerungen schwimmen wie die [2][Pommes in | |
der Mayonnaise]. Dieser nicht. | |
Ich muss bei Freibädern nicht mehr an endlose Sommertage denken, sondern | |
daran, dass Deutschland kaputt ist und was das wohl mit dem Aufstieg der | |
Populisten zu tun hat. Und das kam so: Mein Sohn sollte schwimmen lernen. | |
Nicht aus Spaß, sondern um zu überleben. | |
Man liest öfter, viele Menschen seien heute frustriert, weil sie erkannt | |
hätten, dass ihre Kinder es in Zukunft nicht besser haben werden als sie | |
selbst. Ich verlange gar nicht so viel, ich möchte nur, dass mein Kind | |
nicht ertrinkt, und dass mir der Staat die dafür nötige Infrastruktur | |
bereitstellt. Das ist leider nicht der Fall. | |
In der failed city, in der ich wohne, gibt es [3][wenig funktionierende | |
Schwimmbäder], Plätze im Schwimmkurs sind kaum zu bekommen. Letzten Sommer | |
stellte ich mir den Wecker, um einen Platz in einem [4][Seepferdchen-Kurs] | |
zu ergattern. Im Herbst bekam ich eine Mail, dass es in dem Schwimmbad | |
einen Brand im Technikraum gegeben habe, das Bad geschlossen sei und der | |
Kurs leider entfallen müsse. | |
Es gibt private Schwimmschulen, die sind teuer. Außerdem bin ich | |
altmodisch, ich finde, dass die Fähigkeit der Bürger zu überleben etwas | |
ist, das im ureigenen Interesse eines Staates liegen sollte. Es ist auch | |
für die demographische Entwicklung förderlich, wenn Kinder schwimmen | |
lernen, damit sie nicht ertrinken, bevor sie anfangen, Steuern zu zahlen | |
oder alte Menschen zu pflegen. Der Staat scheint meine Ansicht nicht zu | |
teilen, weshalb die DLRG darauf hinweist, dass jedes fünfte Kind zwischen 6 | |
und 10 Jahren nicht schwimmen kann. | |
## Der Staat erfüllt seine Aufgabe nicht | |
Nehmen wir drei Bäder im Radius meines Wohnorts: Eines hat den Saisonbeginn | |
wegen Personalmangels verschoben, beim zweiten ist das Schwimmerbecken | |
geschlossen, die Rutsche wurde wegen Sicherheitsbedenken vom TÜV gesperrt; | |
beim dritten ist der Nichtschwimmerbereich marode und gesperrt. Im | |
Einzugsbereich dieser drei Schwimmbäder leben mindestens 500.000 Menschen, | |
die meisten ohne Garten oder Balkon, auf den man ein Planschbecken stellen | |
kann. | |
Wenn es heißt, die deutsche Infrastruktur sei marode, ist das abstrakt. | |
Konkret heißt es: Der Staat erfüllt seine basalste Aufgabe nicht: dass | |
seine Bürger nicht ersaufen. Wieso soll man noch Parteien der sogenannten | |
Mitte wählen, die [5][Milliarden für Aufrüstung] bereitstellen, aber den | |
eigenen Staat sturmreif schießen? | |
Der letzte Satz war Ihnen jetzt bestimmt zu populistisch, und ich würde ja | |
auch gern mein Mütchen kühlen, aber im Becken ist gerade kein Platz für | |
mich. | |
## Endlich die Seepferdchen-Prüfung | |
Ich habe meinem Sohn dann selbst das Schwimmen beigebracht. Es hat Jahre | |
statt eines Schwimmkurses gedauert. Da meine natürliche [6][Autorität in | |
der Familie] schnell hinterfragt wird, führte jedes Training zu Tränen. Es | |
war praktisch, dass wir ohnehin Badehosen trugen und nass im Gesicht waren. | |
An einem sonnigen Dienstag war es so weit. Nach der Schule fuhren wir ins | |
Freibad, um endlich die Seepferdchen-Prüfung zu machen. Als wir ankamen, | |
hing ein Schild am Zaun, das Bad sei wegen technischer Probleme | |
geschlossen. Wir fuhren weiter, eine halbe Stunde zum nächsten geöffneten | |
Bad. Die Kasse war nicht besetzt, man kommt nur noch rein, wenn man sein | |
Ticket online kauft. | |
Doch dann, und jetzt kommt doch noch etwas Schwimmbadnostalgie, liefen wir | |
barfuß über die Fliesen, die bereits Risse hatten, bis an den Beckenrand. | |
Der Bademeister gab ein Zeichen. Mein Sohn sprang. Ich war so glücklich. | |
19 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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