# taz.de -- Debatte über Schuldenbremse: Die deutsche Schuldenpolitik muss in … | |
> Kaputte Gebäude, marode Brücken und überlastete Netze. Deutschlands | |
> Infrastruktur ruft nach einem Werkstatttermin – doch wer löst die | |
> Handbremse? | |
Bild: Der Supermond über der supermaroden, teileingestürzten Carolabrücke in… | |
Schon nach ein paar Kilometern stinkt und qualmt es, wenn man beim | |
Autofahren vergisst, die Handbremse zu lösen. Fährt man trotzdem weiter, | |
drohen große Schäden an Bremsanlage und Hinterrädern. Dann hilft nur noch | |
eins: Ab zur Werkstatt. | |
Was für Autos gilt, lässt sich auf die deutsche Wirtschaft übertragen. Seit | |
drei Jahrzehnten fährt Deutschland mit angezogener Handbremse. Folglich | |
stinkt und qualmt es: [1][Brücken stürzen ein], Straßen sind marode, viele | |
Gebäude sanierungsbedürftig. Die Stromnetze drohen zu überlasten, | |
Jugendzentren müssen schließen – die Liste ließe sich fortsetzen. Die | |
Bremskontrollleuchte blinkt rot, die deutsche Wirtschaft stottert. | |
Derweil sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände genervt, und im Ausland | |
reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich, warum der | |
[2][ausgeschiedene Finanzminister Christian Lindner] so stolz darauf ist, | |
die Handbremse dermaßen fest angezogen zu haben. Die Sache ist allerdings | |
ähnlich wie bei der Autoreparatur: Je länger man wartet, desto teurer wird | |
es. 400 Milliarden Euro muss Deutschland in den nächsten zehn Jahren | |
zusätzlich investieren, um die Schäden zu reparieren, rechnet der | |
Bundesverband der Industrie. Das Institut der deutschen Wirtschaft erhöht | |
auf geschätzte 600 Milliarden, und das Dezernat Zukunft legt nochmal 200 | |
Milliarden drauf. Das ist in jedem Fall weit mehr, als die aktuellen Regeln | |
erlauben würden. | |
Was also tun? An Schrittgeschwindigkeit gewöhnen, den Stinkequalm weiter | |
ignorieren und hoffen, dass die Schäden von alleine verschwinden? Oder die | |
Schuldenregeln so ändern, dass man sich den Werkstatttermin leisten kann? | |
Ich meine: Letzteres! | |
## Mythos der nächsten Generation | |
Jeder Euro, der in moderne Infrastruktur fließt, ist ein gut angelegter | |
Euro. Erstens, weil es die Wirtschaft produktiver macht. Zweitens, weil es | |
das Leben lebenswerter macht. Drittens, weil es uns reicher macht. | |
Schließlich fließt bei neuen Staatsschulden mehr Geld in die Wirtschaft, | |
als über Steuern und Abgaben rausgezogen werden. Dass neue Schulden die | |
nächste Generation nur benachteiligen, ist also ein Mythos. Die nächste | |
Generation erbt vollere Bankkonten und modernere Infrastruktur. Win-win! | |
Benachteiligt wird die kommende Generation hingegen, wenn die Reparatur | |
aufgeschoben wird. Nicht nur werden die Schäden größer und teurer, auch | |
gibt es wegen der Alterung immer weniger Arbeitskräfte, die den Job | |
erledigen könnten. Die Werkstätten schrumpfen in ihrer Kapazität. Je länger | |
wir die Reparatur aufschieben, desto weniger Mechaniker stehen zur | |
Verfügung, um das Land auf Vordermann zu bringen – während natürlich immer | |
mehr Rentner finanziert werden müssen. | |
Aber nun zur guten Nachricht: Auch wenn Ex-Finanzminister Lindner sich mit | |
Händen und Füßen gegen eine Reform gewehrt hat, dreht sich langsam die | |
Stimmung in der Bevölkerung. Im neuesten ARD-Deutschlandtrend wollten | |
erstmals weniger als die Hälfte der Befragten (48 Prozent) die | |
Schuldenbremse in der jetzigen Form beibehalten. 45 Prozent waren für eine | |
Reform – fast Gleichstand also. Und auch Friedrich Merz, der derzeit beste | |
Chancen auf die nächste Kanzlerschaft hat, [3][hat die Schuldenbremse | |
neulich zu einer „technischen Frage“ degradiert]. Immerhin ließe die sich | |
leichter lösen. Zum Beispiel, indem man öffentliche Investitionen, | |
Infrastruktur oder Sondervermögen von der Schuldenbremse ausklammert. | |
Hauptsache, die Handbremse wird gelöst und das Land findet einen | |
Werkstatttermin. | |
26 Nov 2024 | |
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[1] /Einsturz-der-Carolabruecke-in-Dresden/!6036277 | |
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## AUTOREN | |
Maurice Höfgen | |
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