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# taz.de -- Spendensammler will Demokratie schützen: „Der Kampf gegen die Fe…
> Demonstrieren kostet Zeit. Die Demokratie lässt sich auch mit Geld
> schützen, sagt Stephan Schwahlen von der Plattform Effektiv Spenden.
Bild: In Kooperation mit dem Außenwerber Wall macht HateAid deutschlandweit au…
taz: Herr Schwahlen, Sie betreiben eine Spendenplattform. Aber sollten
Privatleute überhaupt spenden? Wir haben doch das millionenschwere
[1][Demokratiefördergesetz], das mit Steuergeldern zahlreiche Projekte
finanziert.
Stephan Schwahlen: Es ist gut, dass sich der Staat engagiert. Aber die
Vergangenheit hat gezeigt, dass die Zivilgesellschaft immer wieder Treiber
wichtiger Veränderungen war, die weder der Staat noch der Markt von sich
aus angestoßen hätten, jedenfalls nicht rechtzeitig.
taz: Wo wurde das zuletzt sichtbar?
Schwahlen: Wir haben dieses Jahr in Thüringen gesehen, wie das läuft. Es
waren eben nicht die pro-demokratischen Parteien oder die Verwaltung, die
sich darum bemüht haben, die thüringische Verfassung besser abzusichern,
bevor es dafür zu spät ist. Es war die [2][gemeinnützige Organisation
Verfassungsblog]. Die Demokratie braucht also eine Zivilgesellschaft, die
auch unabhängig von staatlichen Töpfen agieren kann. Aber diese kann nur
aktiv werden, wenn sie Geld hat.
taz: Viele Menschen engagieren sich schon, beispielsweise auf Demos. Reicht
das nicht aus?
Schwahlen: Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist ein Marathon. Und
man kann nicht jede Woche demonstrieren gehen oder Podiumsdiskussionen
organisieren. Das kostet zu viel Zeit und Kraft. Aber man kann diejenigen
unterstützen, die die Demokratie professionell verteidigen.
taz: Wie funktioniert Ihre [3][Plattform „Effektiv Spenden“]?
Schwahlen: Wir zeigen auf, in welchen Problemfeldern jetzt dringender
Handlungsbedarf besteht und schauen, welche NGOs dort umsichtige und
effiziente Arbeit leisten, für die sie aber Geld brauchen. Unsere Auswahl
basiert auf den Erkenntnissen der internationalen Demokratieforschung.
taz: Welche Forschung ist das genau?
Schwahlen: Wir stützen uns zum Beispiel auf die Ergebnisse der
„Strengthening Democracy Challenge“ der Stanford University, die Hinweise
liefert, wie man durch skalierbare Maßnahmen demokratiefeindliche
Einstellungen und Polarisierung reduzieren kann. Das Varieties of
Democracy-Institut in Göteborg sammelt Langzeitdaten zu den
unterschiedlichsten Regierungsformen weltweit und gibt dazu Analysen
heraus. Die Forschung arbeitet mit einer Art Spielbrett, auf dem sich alle
Handlungsfelder befinden, die eine belastbare Demokratie braucht.
taz: Welche Felder sind da am wichtigsten?
Schwahlen: Das sind in jeder Demokratie, egal in welchem Land, immer die
großen Themen wie freie und geheime Wahlen, Gewaltenteilung und
Rechtsstaat, eine freie und vielfältige Presselandschaft sowie eine starke
Zivilgesellschaft.
taz: Und wie wenden Sie das auf Deutschland an?
Schwahlen: Wir gehen nach dem Ansatz des [4][Effektiven Altruismus] in
einem Dreisprung vor. Erst fragen wir: Auf welchen Feldern droht der
Demokratie hierzulande aktuell Gefahr? Dann: Welche Maßnahmen sind auf
diesen Handlungsfeldern die wirksamsten? In einem dritten Schritt suchen
wir die Organisationen, die in diesem Bereich bereits gute Arbeit leisten,
aber Geld benötigen.
taz: Warum sollte ich über Ihre Plattform einen Umweg nehmen, um zu
spenden? Da geht ja Geld unterwegs verloren.
Schwahlen: Tut es nicht. Die Plattform finanziert sich aus separaten
Beiträgen an unsere gemeinnützige Trägergesellschaft, Spenden leitet sie zu
100 Prozent weiter.
taz: Kritiker werfen dem Effektiven Altruismus vor, er bekämpfe Missstände
nur symptomatisch, aber eben nicht strukturell. Ein Beispiel sind NGOs, von
denen Sie auch eine fördern, die Moskitonetze in Malariagebiete verteilt.
Das bekämpft aber nicht die Armut dort. Was antworten Sie auf die Kritik?
Schwahlen: Erstens ist das Verteilen von Moskitonetzen durchaus strukturell
und es bekämpft die Armut. Ständig kranke Menschen können nämlich weder
lernen noch arbeiten. Und man muss die Übertragungswege blockieren, um die
Malaria auszurotten. Zweitens fördern wir bei allen Themen, die wir
ausgewählt haben, Organisationen, die vorrangig strukturell arbeiten und
auf der politischen Ebene Druck ausüben. Dass es in der EU heute
Regulierung zur Eindämmung der Methan-Emissionen gibt, ist wesentlich einer
solchen NGO zu verdanken.
taz: Wo muss am dringendsten gespendet werden, um unsere Demokratie zu
schützen?
Schwahlen: Ganz oben auf unserer Liste stehen Schutz und Stärkung des
[5][unabhängigen Journalismus]. Die Presse ist ein Grundpfeiler der
Demokratie, und nichts ist für angehende Autokraten so unangenehm wie
unabhängige und professionell agierende Medien. Die werden immer als erstes
angegriffen, und das erleben wir auch jetzt. Investigativrecherche und
Qualitätsjournalismus sind für eine Demokratie kein Nice-to-have, sondern
ein Must-have. Deshalb leiten wir einen Teil unserer Spenden weiter an die
Organisation Correctiv.
taz: Wo sehen Sie noch Bedarf?
Schwahlen: Auch die Schaffung und vor allem die Durchsetzung von Recht ist
ein entscheidender Bereich. Deswegen unterstützen wir [6][HateAid]. Diese
Organisation hat durch Druck auf Politik und Strafverfolgungsbehörden
maßgeblich dazu beigetragen, dass Hasskriminalität im Netz viel gezielter
verfolgt und bestraft wird. Ein anderes essentielles Feld ist die Stärkung
von pro-demokratischen Bürgerbewegungen. Daher leiten wir Gelder weiter an
die Demokratie-Stiftung Campact, der es immer wieder gelingt, breite
Bevölkerungsanteile für Demos und Proteste zu mobilisieren. Seit einigen
Wochen unterstützen wir den Flowfund Ostdeutschland, ein neues Projekt, das
[7][die demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland] stärkt und beim
Einsatz des Spendengeldes auf die Kenntnissen jüngerer, engagierter
Menschen aufbaut, die dort leben. Bisher war es so, dass die mit vielen
Mitteln ausgestatteten NGOs eher im Westen sitzen und sich beim
Mitteleinsatz in Ostdeutschland dann schwertun. Das darf so nicht bleiben.
taz: Das heißt, Sie unterstützen eher junge Projekte?
Schwahlen: Ja. Bei unserer Suche entdecken wir häufig Handlungsfelder, die
bisher vernachlässigt wurden und in denen die Zivilgesellschaft erst jetzt
aktiv wird. Die interessieren uns besonders, denn beim Verteilen von
Spenden muss man die Kosteneffizienz beachten: Hat der zusätzliche Euro,
den man in einem Gebiet einsetzt, immer noch so viel Hebelkraft wie der
davor? Auf vorher brachliegenden Handlungsfeldern bewegt jeder Euro
besonders viel. Das sehen wir bei den Versuchen, auf Social Media Boden für
die Demokratie gut zu machen.
taz: Wen fördern Sie da?
Schwahlen: Da fördern wir zum Beispiel #reclaimtiktok – eine Kampagne, die
in diesem Jahr aus Fridays-for-Future hervorgegangen ist. [8][Da setzen
junge Leute den rechtsextremistischen Stimmen auf der Plattform endlich
etwas entgegen].
taz: Und in welchen Bereichen fehlt es noch an Organisationen?
Schwahlen: Bei dem Problem, dass Kommunalpolitiker bedroht werden, aber
auch Wahlhelfer, die Plakate aufhängen, Infostände betreuen oder
Veranstaltungen organisieren. Die darf man nicht allein lassen. Sie
brauchen Rückendeckung, sonst entstehen in diesen Gegenden
Meinungsmonopole.
taz: Was wäre da eine Lösung?
Schwahlen: Eine Möglichkeit wären spezialisierte kommunale NGOs. Man könnte
Ehrenamtliche schulen, die Aktionen begleiten und dokumentieren, im Falle
von Übergriffen den Betroffenen Beratung bieten und Kontakte zu Juristen
vermitteln. Auch entsprechende Rechtshilfe-Fonds sind ein guter Ansatz,
damit es bei der Verteidigung nicht am Geld scheitert. Hier prüfen wir
gerade Unterstützung.
taz: Die aktuellen Preissteigerungen spüren wir alle, etliche Leute können
zurzeit nicht viel spenden.
Schwahlen: Jeder Beitrag hilft. Wenn man einmal verstanden hat, dass man
Erstaunliches bewegen kann, wenn man nur die Kräfte bündelt, dann ist das
wie ein Befreiungsschlag. Viele Leute meinen: „Ach, meine einzelne Spende
bewegt doch nichts.“ Das Gegenteil ist richtig. Viele einzelne Spenden
führen dazu, dass Dinge in Bewegung kommen, wo sich sonst nie etwas getan
hätte.
taz: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Schwahlen: Wir haben #reclaim TikTok 50.000 Euro weitergeleitet. Schon mit
dieser Summe kann in den sozialen Medien sehr viel erreicht werden, das
können wir durch Reichweitenmessung belegen. Wenn also in Deutschland nur
2.000 Leute je 25 Euro spenden, ist das Geld schon beisammen. Wir merken
daran, dass wir gemeinsam eben nicht ohnmächtig sind.
24 Dec 2024
## LINKS
[1] /Demokratiefoerderung-nach-Ende-der-Ampel/!6051052
[2] /Verfassungsblog-gegen-die-AfD/!6002044
[3] https://effektiv-spenden.org/
[4] /Effektiver-Altruismus/!5998956
[5] /Festnahmen-in-Baku/!6051558
[6] /Digitale-Gewalt/!5988991
[7] /35-Jahre-nach-der-Wende/!6035997
[8] /Die-AfD-auf-Tiktok/!6035899
## AUTOREN
Margarete Moulin
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Zivilgesellschaft
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Kolumne Was kostet die Welt?
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