# taz.de -- Schwimmen und Wassersport in Berlin: „Ertrinken geschieht leise“ | |
> Die Sommerferien bedeuten Hochsaison für die Deutsche | |
> Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Vorstandsmitglied Michael Neiße | |
> nennt es ein „lebensrettendes Hobby“. | |
Bild: Mitglieder der DLRG demonstrieren für die Presse die Rettung eines Manne… | |
taz: Herr Neiße, sind die Sommerferien für die DLRG die schlimmste Zeit? | |
Michael Neiße: Das kann man so nicht sagen. Außerdem: Was ist schlimm? | |
Schlimm ist, wenn wir einen Toten aus dem Wasser holen müssen. Aber das | |
passiert Gott sei Dank selten. Wir haben arbeitsreiche Tage, wenn das | |
Wetter besonders gut ist. Aber die haben wir auch im Herbst, wenn es stürmt | |
und die Segelboote umkippen. | |
Die [1][DLRG betreibt in Berlin 26 Wasserrettungsstationen in den Bereichen | |
Unterhavel, Oberhavel, Tegeler See und Müggelsee]. Wie oft kommt es vor, | |
dass Sie Menschen tatsächlich vor dem Ertrinken bewahren können? | |
Wir unterscheiden zwischen Lebensrettung und Rettung vor dem sicheren | |
Badetod. | |
Was ist der Unterschied? | |
Wenn wir Schwimmer aus dem Wasser holen, die Schwierigkeiten haben und noch | |
nicht untergegangen sind, wenn ein [2][Surfer vom Brett fällt] oder ein | |
Segelboot umkippt und es sich um Nichtschwimmer oder erschöpfte Menschen | |
handelt, sprechen wir von Lebensrettung. Das betraf im vergangenen Jahr 18 | |
Menschen. Vor dem sicheren Badetod gerettet haben wir 8 Menschen. Sie waren | |
schon untergegangen, wir haben sie im letzten Augenblick rausgeholt und zum | |
Teil auch reanimiert. | |
Für 23 Menschen kam im vergangenen Jahr in Berliner Gewässern laut | |
DLRG-Statistik jede Rettung zu spät. Im Jahr zuvor waren es 18. Wie viele | |
Badetote sind in diesem Jahr bereits zu verzeichnen? | |
Wir haben noch keine Zahlen für das laufende Jahr, da die Statistiken erst | |
nachlaufend erstellt werden. Die DLRG kennt auch nicht jedes Unglück, da | |
wir ehrenamtlich arbeiten und nur in unserer Freizeit vor Ort sind. | |
Gibt eine generelle Aussage, die sich zu den Vorfällen treffen lässt? | |
Was man auf jeden Fall feststellen kann: Männer sind scheinbar immer ein | |
bisschen risikobereiter. Auch Alkohol ist im Spiel, Überschätzung und | |
Gruppenzwang. Es gibt die verschiedensten Gründe, warum Leute ertrinken. | |
Manche muten sich beim Schwimmen auch zu viel zu. | |
Schreit ein Mensch, der ertrinkt, laut um Hilfe? | |
Im Allgemeinen nicht. Ich nehme mal ein Beispiel: Wenn jemand weit | |
rausschwimmt und nicht mehr kann, wird er versuchen, all seine Kraft ins | |
Schwimmen zu stecken, also dass er über Wasser bleibt, anstatt zu schreien. | |
Wenn er es rechtzeitig merkt, kann er mit den Armen vielleicht noch ein | |
Notsignal geben, dass man ihm entsprechend helfen kann. Aber normalerweise | |
geschieht Ertrinken leise, gerade bei Kindern. Man sollte auf sie immer ein | |
explizites Auge haben. Kleinkinder ertrinken auch in einer Pfütze, wenn sie | |
mit dem Gesicht hineinfallen und nicht mehr rauskommen. | |
Das ist schon passiert? | |
Kinder sind schon in ganz flachen Gewässern ertrunken. Sie halten die | |
Atmung an und ersticken dann. | |
Wie gut können die Berliner schwimmen? | |
Die allgemeine Schwimmfähigkeit ist nach wie vor schlecht. Darüber klagen | |
wir ja schon sehr lange und daran hat sich auch nicht viel geändert. Aber | |
das ist in ganz Deutschland so. Die Ausbildungsmöglichkeiten fehlen, viele | |
wollen offenbar auch nicht schwimmen lernen. Und dann geschehen eben | |
Unfälle in der Gruppendynamik, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. | |
Die, die schwimmen können, springen ins Wasser, und das Kind, das nicht | |
schwimmen kann, springt hinterher – und dann fällt ihm ein, ich kann nicht | |
schwimmen. Das ist ganz gefährlich. | |
60 Prozent der Zehnjährigen können nicht zufriedenstellend schwimmen, | |
schreibt die DLRG auf ihrer Homepage. | |
Wir sagen, [3][Kinder, die ein Seepferdchen haben, sind keine sicheren | |
Schwimmer]. Sicheres Schwimmen sehen wir erst, wenn das Abzeichen in Bronze | |
abgelegt wurde. Da ist nachgewiesen, dass man eine bestimmte Strecke sicher | |
zurücklegen kann. Unsere Haltung ist: Kinder sollten so früh wie möglich | |
schwimmen lernen, am besten mit vier oder fünf. | |
Von Eltern hört man immer wieder, dass die Schwimmkurse ausgebucht sind | |
oder die Schwimmbäder geschlossen, weil ständig irgendwas kaputt ist. | |
Das mag sein, aber in Berlin haben wir im Vergleich zu anderen im | |
Bundesgebiet trotzdem eine komfortable Situation. Aber die mangelnde | |
Schwimmfähigkeit der Berliner zeigt, dass kein zufriedenstellender Grad | |
erreicht ist. Wir könnten mehr Schwimmzeiten in den Hallen gebrauchen, um | |
mehr ausbilden zu können. | |
Wie viele aktive RettungsschwimmerInnen gibt es bei der DLRG Berlin? | |
Rund 1.000 – halbe-halbe Männer und Frauen –, aber die sind natürlich nie | |
alle zusammen draußen an den Wasserrettungsstationen. Im Schnitt sind 250 | |
bis 300 Rettungsschwimmer am Wochenende berlinweit unterwegs. In den | |
Sommerferien haben wir eine zusätzliche Ferienbesetzung, da unterstützen | |
uns Jugendliche, die schulfrei haben. So können wir jetzt auch an einzelnen | |
Tagen in der Woche draußen an den Einsatzorten sein. Am Dienstag haben wir | |
Menschen auf der Unterhavel aus einem beinahe versunkenen Segelboot helfen | |
können. Im Übrigen machen unsere Leute weit mehr als Lebensrettung. Das | |
fängt bei der Versorgung einer Schürfwunde mit einem Pflaster an. | |
Hat die DLRG auch Nachwuchsprobleme, wie das bei ehrenamtlichen | |
Organisationen zumeist der Fall ist? | |
Nachwuchs wird bei uns natürlich immer gerne gesehen, die älteren | |
Kameradinnen und Kameraden brechen ja irgendwann auch weg. Tatsache ist: | |
Ehrenamt hat heutzutage generell keinen hohen Stellenwert mehr. Viele | |
Vereine klagen darüber, dass die Leute nur noch schwer dafür zu begeistern | |
sind. Wir versuchen, aus unseren Schwimmkursen heraus Menschen zu | |
begeistern. Das gelingt eigentlich gut, unsere Rettungsschwimmkurse sind | |
immer komplett ausgebucht. Wir unterstützen auch die Berliner Bäderbetriebe | |
bei der Ausbildung von Rettungsschwimmern, die auf diesem Weg ihre | |
Saisonkräfte rekrutieren. | |
Auch Sie selbst sind nach wie vor draußen im Einsatz. Was treibt Sie an? | |
Das Schöne ist: Es ist ein lebensrettendes Hobby. Dazu kommt, dass man | |
unter Freunden ist, man arbeitet im Team, die DLRG ist ein bisschen wie | |
eine Familie. Und wenn man nach einem Einsatz nach Hause kommt und jemandem | |
geholfen hat, ist das schon ein gutes Gefühl. Ich sage immer: Die | |
Rettungsstation ist unsere Laube am Wasser, wo wir auch Menschen helfen | |
können. | |
26 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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