Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sächsischer Innenminister über Asyl: „Die EU braucht eine Rossk…
> Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) fordert die Abweisung von
> Geflüchteten an der Grenze. Ein Gespräch über Recht, Demokratie und die
> AfD.
Bild: Sachsens Innenminister Armin Schuster, hier am 10. Juli in bannewitz
taz: Herr Schuster, die Sicherheitslage ist angespannt, Sie sind als
Innenminister gefordert – und gleichzeitig Wahlkämpfer in der Sächsischen
Schweiz. Lässt sich das vereinbaren?
Armin Schuster: Das geht tatsächlich an die Substanz. Ich kann das
Ministerium nicht vernachlässigen. Aber ich war ja Gott sei Dank elf Jahre
Abgeordneter im Bundestag, daher ist mir das Kandidatendasein nun wirklich
nicht fremd.
Aber Sie selbst sind vielen Sachsen fremd im Wahlkreis. Sie kamen erst 2022
hierher, als Innenminister – als „Wessi“. Ihren Wahlkreis holte 2019 schon
die AfD. Wie wollen Sie das noch drehen?
Ich bin mein ganzes Leben, berufsbedingt, durch die Republik
herumgewandert. Dass ich der Neue bin, habe ich gefühlt schon 100-mal
hinter mir. Wenn ich im Wahlkreis Leute kennenlerne, heißt es aber oft:
„Der ist gar nicht so übel.“ Das ist ja schon mal was. Der Wessi wird mir
persönlich – denke ich – nicht angeheftet. Aber allgemein ist das Thema
noch da, das kann man schon mit Händen greifen.
Was ist Ihr Konzept, um die AfD zu schlagen?
Das sitzt vor Ihnen.
Wie meinen Sie das?
Ich werde im Wahlkreis natürlich inhaltliche Akzente setzen. Aber vor allem
geht es darum: Was ist das für ein Mensch? Das ist die Lücke, die die AfD
lässt: Bei denen kommt kein Mensch rüber. Diese Partei setzt ja selbst bei
Bürgermeisterkandidaturen ausschließlich auf Bundesthemen. Das ist nicht
mein Stil. Es geht hier um die Region, deshalb treffen Sie mich bei
Feuerwehrfesten oder bei allen möglichen Gelegenheiten – und da politisiere
ich nicht. Ich möchte den Menschen klarmachen: Wenn sie mich wählen, bin
ich auch für das kleinste Problem vor Ort ansprechbar.
Hilft Ihnen im Wahlkampf auch Ihr Hardliner-Image?
Welches Hardliner-Image? (lacht) Nein. Das nehmen die Leute vor Ort so
nicht wahr.
Sie traten 2015 für strenge Grenzkontrollen ein, stellten sich gegen
Merkel, fordern auch heute migrationspolitisch Härte. CDU-Generalsekretär
[1][Carsten Linnemann hat gerade gesagt, die drei großen Probleme seien:
Migration, Migration, Migration.] Dem schließen Sie sich dann wohl an?
Mit Blick auf die kommenden Wahlentscheidungen hat er mit Sicherheit recht.
Wenn man hier die Leute nach ihren Sorgen fragt, taucht das Thema an erster
Stelle auf, mit Abstand.
Ist es sinnvoll, derart auf ein Thema zu setzen, das vor allem die AfD
bespielt?
Es ist schwierig, aber ich tue es trotzdem. Und wer sorgfältig zuhört, wird
hier einen deutlichen Unterschied zwischen CDU und AfD bemerken. Wir sind
als CDU – mit einer Ausnahme, die uns schwer nachhängt, 2015 – immer für
eine kontrollierte Migration eingetreten. Auch zuletzt haben wir hier
Vorschläge gemacht, die von der Ampel anfangs vehement bekämpft wurden:
Grenzkontrollen, [2][Bezahlkarte], Abschiebung von Intensivtätern. Heute
macht die Ampel all dies. Hätte sie das gleich umgesetzt, hätte das der AfD
nicht so in die Karten gespielt.
Es gibt gute Gründe, diese Maßnahmen kritisch zu sehen. [3][Dauerhafte
Grenzkontrollen] wären ein Verstoß gegen das EU-Recht. Das wollen Sie?
Ich möchte für die EU eine Rosskur und zwar eine maximal harte. Das
Ergebnis der Grenzkontrollen bei der Europameisterschaft – mit tausenden
registrierten unerlaubten Einreisen und hunderten vollstreckten
Haftbefehlen – war zwar einerseits ein Supererfolg, aber auch ein
Offenbarungseid für das Schengensystem. Es zeigt: Kaum einer unserer
Partner in der EU tut noch das, was vereinbart ist.
Sie würden die Freizügigkeit aufgeben, eine der Kernerrungenschaften der EU
– in einer Zeit, in der die EU ohnehin unter Druck steht?
Das wird ja nicht passieren. Wenn Deutschland eine sehr konsequente Antwort
gibt.
Und die wäre?
Der Rest Europas lebt wunderbar damit, dass Deutschland so attraktiv ist,
das gilt es zu beenden. Deshalb müssen wir die Grenzkontrollen noch
konsequenter als jetzt fahren, also mit Anwendung der Drittstaatenregelung
nach §18.2 Asylgesetz…
… also die Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze?
Genau.
Laut EuGH verstößt das gegen Europarecht.
Niemand hält sich mehr an das Dublin-Abkommen, das ja besagt: Ihr müsst
erst den Status der Person prüfen und wenn diese aus Italien kommt, dann
soll sie nach Italien zurückgeführt werden. Nur dieser zweite Schritt
passiert ja nicht. Inzwischen haben wir sogar Gerichte, die meinen, man
dürfe nach Belgien keine Dublin-Überstellungen mehr machen. So geht das
doch nicht! Wenn ein komplettes System zum Erliegen gekommen ist, kannst du
dich auch zum Idioten machen, wenn du daran festhältst. Ich habe inzwischen
zwei juristische Experten, die sagen, dass ich damit nicht Unrecht habe.
Der EuGH hat im vergangenen Jahr anders geurteilt. Hinzu kommt: Wenn erst
Deutschland zurückweist, dann Polen – dann kommt es zu Kettenabschiebungen,
die an der EU-Außengrenze enden und das Grundrecht auf Asylrecht aushöhlen.
Wollen Sie das?
Das meine ich mit Rosskur. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir aufhören
mitzuspielen und das Problem sich wieder über ganz Europa erstreckt, erst
dann sind unsere Partner bereit, das Problem zu lösen. Politisch ist Europa
ja keine Vereinigung von Menschen, die sagen, wir wollen überhaupt keine
Asylbewerber.
Ihr Vorschlag würde zu Geflüchteten-Lagern in EU-Grenzstaaten wie
Griechenland führen oder gleich zu Abschiebungen in die Türkei und von dort
weiter. Leib und Leben der Menschen wäre nicht mehr sicher.
Ich habe in der Union die flexible Obergrenze mitentwickelt. Der Kanzler
könnte das umsetzen. Er könnte mit den Ministerpräsidenten jedes Jahr
festlegen, wie viele Menschen wir aufnehmen. Das wäre eine weltweit immer
noch beachtenswerte humanitäre Haltung.
Aber das Grundrecht auf Asyl wäre dahin. Sie treten für eine
Kontingentlösung ein, wollen eine Obergrenze von 200.000 Asylsuchenden. Was
machen Sie mit dem 200.001?
Ehrlich, das ist ein so simplifizierendes Argument, das sprengt mir fast
das Kleinhirn. Wir hatten 2016/17 in der Union darüber einen Konflikt, der
bis an die Existenz der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU ging. Danach
haben wir uns geeinigt und seit 2017 mit der Obergrenze 200.000 gearbeitet.
Mit Grenzkontrollen in Bayern, mit Kontingent-Vereinbarungen mit Italien,
Malta, Griechenland und mit dem Türkei-Abkommen haben wir sie eingehalten.
Das Türkei-Abkommen funktioniert schon lange nicht mehr und damals gab es
auch keinen russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Aber die Ukrainer
werden doch gar nicht mitgezählt, weil sie keine Asylbewerber sind.
Als Innenminister haben Sie Rechtsextremen wie Linksextremen den Kampf
angesagt. Zuletzt gab es vor allem Razzien und Festnahmen in der linken
Szene, [4][Aktivist*in Maja T. wurde von der JVA Dresden nach Ungarn
ausgeliefert]. Ist das die richtige Priorität in Sachsen?
Vielleicht wird das anders wahrgenommen, aber wir machen die meisten
Nadelstiche weiterhin gegen die rechtsextreme Szene. Der Rechtsextremismus
ist eine enorme Herausforderung, schon quantitativ – und weil man aufpassen
muss, dass dieser keine Anschlussfähigkeit an die Mitte der Gesellschaft
erreicht. Der Linksextremismus ist ein völlig anderes Phänomen, das ganz
anders bekämpft werden muss. Aber wenn dort Extremisten schwerste
Gewalttaten begehen oder in einem aktuellen Indymedia-Beitrag Terror gegen
Polizisten oder Richter ankündigen, dann sage ich, mir reicht’s. Dann will
ich das begradigen. Was mir wirklich Sorge bereitet, wie auf der linken
Seite die Kreise verschwimmen: die Protagonisten der progressiv-urbanen
Stadtgesellschaft, die Aktivisten der linken Szene und dann die
extremistischen Gewalttäter. Wer ist Täter, wer gibt Deckung, wenn in
Leipzig ein Autohaus brennt? Wer hat Frau Klette in Berlin Deckung gegeben?
Auf der anderen Seite stehen eine starke rechtsextreme AfD, provozierende
Freie Sachsen, rechte Gewalt im Wahlkampf: Muss da nicht mehr getan werden?
Da wird doch viel getan, der Rechtsextremismus beschäftigt uns eindeutig am
stärksten. Unser Expertennetzwerk bei der Landesdirektion ist noch komplett
auf dieses Thema fokussiert. Und Sachsen hat als eins von drei Ländern die
AfD als rechtsextremistisch eingestuft – jetzt auch gerichtlich bestätigt.
13 andere Bundesländer haben das noch nicht getan.
Einige fordern auch ein [5][Verbot der AfD] und der Freien Sachsen. Wie
stehen Sie dazu?
Ich äußere mich nicht zu Einstufungen oder Verboten von Parteien. Das sind
rechtliche Entscheidungen, keine politischen. Da halten wir uns hier auch
wirklich streng dran.
Wie sieht es mit dem [6][Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins] aus?
Halten Sie das für richtig? Was antworten Sie Kritikern, die hier einen
Schlag gegen die Meinungsfreiheit sehen?
Das ist eine rein rechtliche Entscheidung. Auch die werde ich als
Innenminister nicht kommentieren. Das mögen andere politisieren.
Sie sprachen von einer drohenden Anschlussfähigkeit der Rechtsextremen. Ist
die nicht längst gegeben, mit jüngsten Wahlergebnissen für die AfD in
Sachsen von bis zu 36 Prozent?
Da würde ich erstmal die Landtagswahlen abwarten. Bei der Europawahl konnte
die AfD noch abstrakt schwadronieren, aber jetzt wird’s konkret. Immer wenn
es vor Ort darauf ankommt, wenn es um Bürgermeister oder Landräte geht,
dann entscheiden die Wähler überraschend anders. Und ich hoffe darauf auch
bei der Landtagswahl.
Aber Umfragen wie der Sachsenmonitor zeigen: Demokratiefeindliche
Einstellungen sind weit verbreitet.
Das wird allgemein so gewertet. Aber wenn die Hälfte der Befragten sagt,
ich wünsche mir eine Einheitspartei mit klarer Führung, dann heißt das doch
nicht, sie wollen die alte SED zurück – totaler Quatsch. Dann heißt das,
dass in Zeiten vieler Krisen eine Sehnsucht nach Orientierung besteht. Das
kann ich nachvollziehen.
Sie sehen keine Gefährdung der Demokratie?
Nein.
Bei der Landtagswahl könnte die CDU auf das [7][Bündnis von Sahra
Wagenknecht] angewiesen sein, um eine Regierung ohne AfD zu bilden. Würde
das mit Ihnen klar gehen?
Wenn die CDU vorher über Koalitionen spekuliert, treiben wir ohne Not die
Werte der kleineren Mitbewerber hoch. Wir brauchen stabile Verhältnisse,
dafür braucht es erst einmal einen kraftvollen Regierungsauftrag für eine
Partei, das ist der Auftrag für die CDU.
In der CDU werden immer wieder auch Forderungen nach einer Zusammenarbeit
mit der AfD bekannt. Halten Sie das für ausgeschlossen?
Das wird nicht passieren. Allein schon deshalb, weil wir – die CDU – von
der AfD als das Feindbild schlechthin dargestellt werden. Ihr Ziel ist es,
uns zu vernichten. Ich habe in der CDU-Sachsen noch niemanden getroffen,
der derart suizidale Anwandlungen hat.
Auf lokaler Ebene klingt das bisweilen anders. Was würden Sie tun, wenn es
kippt?
Ich persönlich?
Ja, Sie. Was würde das für Sie bedeuten als Christdemokrat?
Dann gäbe es für mich keine politische Zukunft in der CDU. Aber wissen Sie,
was mich wirklich ärgert? Die intellektuelle Schlichtheit unserer
politischen Mitbewerber, die uns mit dem einen Wort Brandmauer erklären
wollen, wie wir den Umgang mit der AfD zu handhaben hätten. Das ist eine
Unverschämtheit.
Aber die Diskussion um die Brandmauer wird auch in Ihrer Partei geführt.
Dort wurde als eine Art Empfehlung ein Papier verschickt, das ganz klar
sagt: keine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene.
Ja, keine Kooperation. Aber man kann eben auch nicht so tun, als gäbe es
die AfD im Gemeinderat nicht.
Warum regt Sie der Begriff Brandmauer so auf?
Weil er politisch gefährlich ist. Unser Job, in der Mitte nach rechts dafür
zu sorgen, dass wir demokratische Verhältnisse haben, ist schon schwer
genug. Das lastet am schwersten nicht auf einem Bundestagsabgeordneten oder
einem Landesminister, sondern auf einem Ortschafts- oder Gemeinderat. Ich
kann den Beitrag von links dazu gerade nicht sehen, wirklich gar keinen.
Und ich würde begrüßen, wenn sie wenigstens die Klappe halten würden. Mit
der Brandmauer wird von linker Seite permanent versucht, uns zu
unterstellen, es gäbe Neigungen in Richtung AfD. Ständig. Das vergiftet
unglaublich.
19 Jul 2024
## LINKS
[1] /CDU-Spitze-in-Klausur/!6021232
[2] /Bezahlkarte-fuer-Gefluechtete/!6020360
[3] /Debatte-um-Grenzkontrollen/!6020328
[4] /Auslieferung-von-Antifaschistin/!6018089
[5] /Debatte-um-AfD-Verbot/!6014550
[6] /Nach-Compact-Verbot/!6021152
[7] /Sahra-Wagenknecht/!6020869
## AUTOREN
Sabine am Orde
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
Sachsen
Wahlen in Ostdeutschland 2024
CDU
Wahlkampf
Social-Auswahl
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Asyl
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
Schwerpunkt Flucht
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Verkehrspolitik
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
## ARTIKEL ZUM THEMA
Petition gegen Freie Sachsen: Wählen oder verbieten?
Die rechtsextremen „Freien Sachsen“ hoffen bei der Landtagswahl auf einen
Erfolg, wohl vergebens. Eine Petition fordert nun, die Partei zu verbieten.
Leistungen für Asylbewerber: Kein Cash für die Unerwünschten
Bayern rühmt sich, die Bezahlkarte besonders restriktiv umzusetzen. Bald
könnten die Behörden Geflüchteten bundesweit das Leben so schwer machen.
Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker: „Die Mitte muss widersprechen“
Sachsens Vize-Ministerpräsident Günther fordert eine Reaktion der CDU nach
dem Rücktritt von Landrat Neubauer: „Das muss ein Weckruf sein.“
CDU-Wahlkampfauftakt im Osten: Müde Stimmung nicht auszumerzen
Die CDU in Sachsen und Thüringen startet in den Wahlkampf. Zu Gast:
Parteichef Merz, der sich als von Trump inspirierter Kanzler in spe gibt.
Trotz Gerichtsbeschluss ausgeflogen: Abschiebung um jeden Preis
Ein Gericht hat die Abschiebung von Mehdi Nimzilne verboten – doch Sachsens
Behörden ignorierten den Beschluss offenbar. Jetzt sitzt er in Casablanca
fest.
AfD bei den Landtagswahlen: Wer zur Wahl steht
Die taz hat die Hintergründe von mehr als 150 AfD-Kandidat*innen
recherchiert. Einige stellen wir hier vor.
Verkehrswende in Städten: Die Poller-Politik
In Leipzig sollen „Superblocks“ für weniger Autoverkehr und Platz für
Begegnungen sorgen. Doch manche Anwohner:innen fühlen sich davon
überfahren.
Rechter Terror gegen Migranten: Ihr Rückzugsraum
Der Attentäter von Hanau suchte für seine Tat bewusst einen Ort
migrantischen Lebens aus. Warum werden Shishabars zum Ziel?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.