| # taz.de -- Rechter Terror gegen Migranten: Ihr Rückzugsraum | |
| > Der Attentäter von Hanau suchte für seine Tat bewusst einen Ort | |
| > migrantischen Lebens aus. Warum werden Shishabars zum Ziel? | |
| Bild: Saif in der Leipziger Shisha Bar | |
| Leipzig taz | Selbstbewusst stolziert Saif zwischen den mit Samt | |
| gepolsterten Sitzecken hindurch, ein Handschlag hier, eine Umarmung da. | |
| Zwischendurch ein bisschen Labello auf die Lippen, dann wird schon die | |
| nächste Bestellung aufgenommen. Einmal schwarzer Tee und eine Shisha, | |
| Tabak: Kirschgeschmack. Saif lächelt die Gäste an, dreht sich um und läuft | |
| hüftschwingend hinter die Bar. | |
| Vor neun Jahren kam Saif aus dem Irak nach Deutschland. Seitdem arbeitet er | |
| in der Shishabar Wunderlampe auf der Leipziger Eisenbahnstraße. Es ist ein | |
| geräumiges, sorgfältig geschmücktes, gemütliches Lokal, in dem Bilder und | |
| Statuen an die griechische Mythologie erinnern und Cardi B im Remix aus den | |
| Boxen tönt. | |
| Saif ist weit mehr als nur Bedienung, viel eher einer, der dich willkommen | |
| fühlen lässt. Jeden Gast grüßt er mit Handschlag, die meisten kennt er | |
| persönlich. Die Arbeit in der Shishabar mache ihm Spaß, sagt Saif. „Hier | |
| sind alle so freundlich.“ | |
| Exakt 24 Stunden zuvor [1][hat ein rechter Attentäter in einer Shishabar | |
| und einem Kiosk in Hanau bei Frankfurt am Main neun Menschen erschossen], | |
| später auch sich selbst und seine Mutter. Ein Bekennerschreiben und ein | |
| Video zeigen: Der Täter handelte aus rassistischen Motiven. Im Video | |
| spricht er von „Ausländerkriminalität“, von Migranten, die „nicht | |
| leistungsfähig“ seien. Davon, dass ihm „nichts anderes übrig geblieben“ | |
| sei, als so zu handeln. | |
| Bundesratspräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte nach dem Anschlag in Hanau, | |
| es sei ein Angriff auf „uns alle“. Tatsächlich jedoch war es ein gezielter | |
| rassistischer Angriff auf Menschen, die als „fremd“ markiert werden. Neun | |
| der Opfer hatten eine Migrationsbiografie, fünf die türkische | |
| Staatsbürgerschaft. | |
| ## „Wie in Halle“ | |
| Wirklich etwas mitbekommen hat Saif von dem Anschlag nicht. Erst als ihn | |
| die Medien für ein Interview anriefen, habe er von der Tat gehört. „Wie in | |
| Halle“, sagt Saif. Im Oktober hatte ein Rechtsterrorist dort [2][bei einem | |
| Anschlag auf eine Synagoge und einen Dönerimbiss zwei Menschen erschossen]. | |
| „Und das ist gerade mal 34 Kilometer entfernt.“ | |
| Dass der Täter von Hanau die Shishabar als Angriffsziel wählte, war kein | |
| Zufall. Schon seit geraumer Zeit werden die Bars von Rechten zu Symbolorten | |
| für vermeintliche Kriminalität und Gesetzesverstöße stilisiert. | |
| Die AfD macht Politik mit den Bars, behauptet pauschal, Shishabars seien | |
| Orte der „Vergiftungen“ und „Vergewaltigungen“. Im September 2019 stell… | |
| die hessische AfD eine parlamentarische Anfrage zu Shishabars. Thema: | |
| Steuerschaden durch „unversteuerten Wasserpfeifentabak“. | |
| Nur einen Tag vor dem Terroranschlag von Hanau forderte Frank Pillibeit von | |
| der AfD-Fraktion Celle, der Betrieb von Shishabars müsse „gesetzlich | |
| geregelt“ werden. Der offizielle Grund: erhöhte Kohlenmonoxidwerte. Das | |
| eigentliche Argument: angebliche „kriminelle Machenschaften“ und | |
| „rechtsfreie Räume.“ | |
| ## Razzien mit großem Geschütz | |
| „Durch den Diskurs findet eine Kriminalisierung statt“, sagt Rechtsanwalt | |
| Erkan Zünbül, dessen Büro nur wenige Minuten von der Shishabar Wunderlampe | |
| entfernt liegt. Denn die Läden geraten auch vermehrt in den Fokus der | |
| Behörden und werden zum Ziel von Razzien. Die Polizei fährt oftmals mit | |
| großem Geschütz auf: Bewaffnete, vermummte Einheiten, manchmal werden ganze | |
| Straßenteile abgeriegelt. | |
| So zum Beispiel im März 2019, als die Polizei das Shishacafé X-Lounge in | |
| der Dortmunder Nordstadt durchsucht. Aoutef Mimouni, die schwangere Frau | |
| des Besitzers, verfolgt die Razzia über die Überwachungskamera live auf | |
| ihrem Handy. Sie beobachtet, wie ein Polizist die Kasse öffnet, geht zum | |
| Laden und stellt ihn zur Rede. | |
| Ein Streit bricht aus. Später sagt Mimouni, ein Beamter habe sie gewürgt | |
| und geschlagen, die Schwangere minutenlang mit den Bauch auf den Boden | |
| gedrückt. Ein Arzt stellt eine Prellung im Kiefergelenk und Jochbein fest. | |
| In einem Handyvideo ist zu hören, wie ein Mann sagt: „Drehst du jetzt noch | |
| einmal durch, hau ich dir was in die Schnauze.“ | |
| Mimouni wird wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte angezeigt. | |
| Die Polizei sagt später, man habe einen „Einsatz zur Bekämpfung der | |
| Clankriminalität“ durchgeführt. | |
| Ebenfalls im März 2019 durchsuchen insgesamt 357 Polizeibeamte in | |
| Berlin-Neukölln verschiedene Läden, darunter Shishabars. Im Nachhinein sagt | |
| die Polizei: „Ein konkreter Hinweis zu Aktivitäten oder Beweismaterial mit | |
| direkter Verbindung zur organisierten Kriminalität lag nicht vor.“ | |
| ## Eine Art Rasterfahndung | |
| Jorinde Schulz von der Initiative „Kein Generalverdacht“ aus Neukölln sagt, | |
| es handele sich bei den Razzien um eine Art Rasterfahndungsprinzip. | |
| „Mangels konkreter Hinweise geht man wahllos in alle Lokale und hofft, | |
| irgendwo etwas zu finden“, sagt Schulz. Dabei werde „bewusst in Kauf | |
| genommen, dass man eine bestimmte Bevölkerungsgruppe pauschal | |
| kriminalisiert“. | |
| Das massive Polizeiaufgebot ist meist erst durch die sogenannte Amtshilfe | |
| möglich. Dann, wenn eine Gefahrenprognose besteht, können weitere | |
| Einsatzkräfte zur Verstärkung hinzugezogen werden. Rechtsanwalt Zünbül | |
| sagt, diese Gefahrenprognose sei aber oft falsch. | |
| Natürlich gäbe es immer mal Verstöße gegen das Waffengesetz oder | |
| Steuergesetze, „aber das ist ja keine Besonderheit, die Shishabars speziell | |
| betrifft, sondern alle gastronomischen Bereiche“. Nur würden sogenannte | |
| deutsche Kneipen eben nicht gezielt durchsucht werden, sagt Zünbül. Die | |
| Razzien bei Shishabars seien „von der Präsenz her eher militaristisch als | |
| gewerberechtlich“. | |
| Saif sagt, diese Razzien gebe es in der Shishabar Wunderlampe jedes Jahr. | |
| Zuletzt im März 2019. Dann kämen „richtig viele Polizeibeamte“, | |
| durchsuchten den Laden, von früh bis spät. Den Tabak für die Wasserpfeifen | |
| nehmen sie mit – denn dass er bereits geöffnet ist, weil er portionsweise | |
| zu den Gästen an den Tisch gebracht wird, verstößt gegen das Gesetz. Saif | |
| schüttelt den Kopf. „Sinnlos“ sei das, die Razzien seien | |
| „Rufschädigung“. | |
| ## Kein Platz in Deutschland | |
| [3][Auf Twitter schreibt die Nutzerin Nadire Y. Biskin]: „#Hanau Monologe. | |
| Ich zu meinem Bruder: ‚Mehmet, geh nicht in die Moschee.‘ ‚Mehmet, geh | |
| nicht in die Shishabar.‘ Wo soll dieser Junge freitags hin? In eure Clubs | |
| darf er nicht rein. In eure Bibliotheken darf er höchstens als Security. | |
| (...) Sagen wir es direkt: Es gibt keinen Platz in Deutschland für Leute | |
| wie meinen Bruder, meine Mutter und mich.“ | |
| Sie meint: Menschen mit Migrationsbiografie. Denn die Bars sind selbst | |
| organisierte Räume von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. | |
| „Shishabars sind Orte, an die sich vor allem Jugendliche zurückziehen, die | |
| in anderen Bereichen ausgegrenzt werden“, sagt Rechtsanwalt Zünbül. Weil | |
| sie durch rassistische Türpolitik nicht in Discos kämen – oder sich ganz | |
| einfach bei Wasserpfeife und Tee wohler fühlen als bei Bier und Dart. | |
| So wie Mustafa und Abdalladif. Die beiden sagen, sie hätten sich schon | |
| länger nicht gesehen und für heute in der Wunderlampe verabredet, „um mal | |
| wieder zu quatschen“. In einer silbernen Shisha mit dem Namen „Amy Deluxe“ | |
| raucht Mustafa „Grüner Apfel“. In regelmäßigen Abständen kommt eine | |
| Bedienung und tauscht die Kohle aus, damit die Pfeife richtig zieht. | |
| Mustafa ist Mitte zwanzig und vor dreieinhalb Jahren aus Syrien nach | |
| Leipzig gekommen. Er arbeitet als Bademeister „im besten Sportbad, und auch | |
| er kennt die Leute, die heute Abend hier sind, grüßt sie, macht Witze. | |
| Warum er hier sei? „Weil Saif ein toller Typ ist.“ Mustafa lacht. „Und we… | |
| es einfach Spaß macht.“ | |
| ## „Es sind auch nicht alle Christen Nazis“ | |
| Von dem Anschlag in Hanau hat er auf YouTube mitbekommen. „Wie damals in | |
| Neuseeland“, sagt er. Warum das passiert? „Weil Rechte Idioten sind.“ Ob … | |
| Angst hat? „Nein. Ich glaube aber, die haben Angst vor uns.“ Warum? „Ich | |
| glaube, weil sie denken, dass alle Muslime beim IS sind. Aber das stimmt | |
| nicht. Bei euch sind ja auch nicht alle Christen Nazis.“ | |
| Abdalladif pflichtet ihm bei. So, als müsse er mit Nachdruck vom Gegenteil | |
| überzeugen. „Wir sind ja ein gutes Beispiel. Wir sind auch Muslime.“ | |
| Während die [4][vor wenigen Tagen festgenommene rechtsextreme Gruppe um | |
| Werner S.] es auf Moscheen abgesehen und der Täter von Halle gezielt eine | |
| Synagoge und einen Dönerladen angegriffen hatten – so war bei dem Attentat | |
| in Hanau mit der Shishabar erneut [5][ein Ort migrantischen Lebens] zum | |
| Ziel geworden. | |
| Rechtsanwalt Zünbul sagt, der Diskurs sei mit Schuld daran, dass es dazu | |
| kommen konnte. „Es ist letztlich auch ein Ergebnis der rassistischen | |
| Politik im Bundes- und Landtag und der Äußerungen der AfD, mit denen Angst | |
| vor Dingen gemacht wird, die es nicht gibt.“ | |
| ## Alle zusammen, aber viele fehlen | |
| In Leipzig gedenken an diesem Abend auf einem Platz wenige hundert Meter | |
| entfernt von der Shishabar Wunderlampe etwa 800 Menschen der Opfern von | |
| Hanau. Es gibt eine Schweigeminute, Redebeiträge der kurdischen Gemeinde. | |
| Die Demonstrierenden rufen: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ Gekommen | |
| sind vor allem Migrant:innen und Linke. | |
| Mustafa, Abdalladif und Saif bekommen in der Wunderlampe von der Kundgebung | |
| nichts mit. Überhaupt ist die Stimmung hier fröhlich, ausgelassen, | |
| freundlich. „Total entspannt“, wie Saif sagt. Auch er sagt, er habe keine | |
| Angst. „Man kann sowieso nichts machen“, sagt er. „Außer hoffen, dass uns | |
| so etwas nicht passiert.“ | |
| 22 Feb 2020 | |
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| [1] /Mutmasslich-rassistischer-Anschlag/!5665203 | |
| [2] /Trauer-um-die-Opfer-von-Halle/!5631733 | |
| [3] https://twitter.com/tochtersatire/status/1230491498719961089 | |
| [4] /Rechtsextreme-Terrorzelle/!5661403 | |
| [5] /Rechter-Anschlag-in-Hanau/!5663003 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Ulrich | |
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