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# taz.de -- Rechter Terror gegen Juden: „Wir haben begriffen, das sind Schüs…
> Die Hamburger Kunststudentin Talya Feldman war dabei, als ein bewaffneter
> Täter die Synagoge in Halle angriff.
Bild: Talya Feldmann in der Hamburger Kunsthochschule vor ihrer Zeichnung der H…
Talya Feldman lädt in ein Atelier in der Hamburger Hochschule für bildende
Künste. Dort hat sie die Tür in der Hofmauer der Synagoge von Halle an die
Wand gezeichnet. Die Tür, durch die der Attentäter von H alle auch mit
Gewalt nicht hindurch kam. Die Tür, die ihr womöglich das Leben gerettet
hat. Die Zeichnung war Feldmans Beitrag für die Jahresausstellung der
Hochschule, ein Studienprojekt – und doch viel mehr.
taz: Frau Feldman, erinnern Sie sich an Ihre Gedanken beim Zeichnen dieser
Tür?
Talya Feldman: Die ganzen [1][Bilder vom 9. Oktober] kamen zurück, das war
sehr intensiv. Ein befreundeter Künstler sagt immer: Zeichnen ist die
Verlängerung des Denkens. Das habe ich dabei zum ersten Mal richtig
begriffen. Ich habe sechzig Stunden lang gezeichnet – innerhalb von nur
vier Tagen. Sieben Bleistifte habe ich komplett aufgebraucht. Aber die
Arbeit hat mir geholfen, das Erlebnis weiter zu verarbeiten.
Am 9. Oktober haben Sie in der Synagoge von Halle Jom Kippur gefeiert, den
höchsten jüdischen Feiertag. Wie haben Sie bemerkt, dass ein Angreifer
versucht, in das Gebäude zu gelangen?
Wir haben gerade in der Tora gelesen, da hörten wir die [2][erste
Explosion]. Ich dachte bei dem Schlag erst, jemand wäre umgekippt,
vielleicht wegen Schwindel. An Jom Kippur fasten viele 25 Stunden lang, man
verbringt quasi den ganzen Tag in der Synagoge. Aber dann hat es direkt
darauf noch ein paar Mal laut geknallt und wir haben begriffen: Das sind
Schüsse.
Ihnen war sofort klar, dass Sie das Ziel sind?
In jüdischen Gemeinden ist niemand überrascht, wenn so etwas passiert. Du
gehst immer ein [3][Risiko] ein, wenn du zur Synagoge gehst, wenn du eine
Kippa aufsetzt. Man hofft, dass es nie passiert, aber jeder weiß: es kann
passieren und es wird wieder passieren. Antisemitische Gewalt ist Teil der
Wirklichkeit. So schlimm es ist: Die Gemeinden sind vorbereitet.
Kann man das wirklich sein?
In unserem Fall hat es zum Glück gereicht. Die Türen waren abgeschlossen,
es gab Überwachungskameras. Ein Freiwilliger der Gemeinde kümmert sich bei
Gottesdiensten nur um die Sicherheit.
Wie hat der reagiert, als es losging?
Die Synagoge steht mitten in einem alten jüdischen Friedhof, drumherum ist
eine Mauer und in ihr eben die Tür, die ich nun gezeichnet habe. Er ist
sofort nach draußen gerannt, um sich zu vergewissern, dass die auch
wirklich verriegelt ist. Er hat, ohne lange darüber nachzudenken, für uns
sein Leben riskiert. Der Gemeindevorsteher und der Kantor sind
währenddessen zu den Überwachungsbildschirmen gestürzt. Sie haben sie
abgeschirmt, damit wir keine Details sehen mussten. Jemand hat die Polizei
gerufen. Und der Vorsteher hat der Gemeinde gesagt, was als Nächstes zu tun
ist.
Nämlich?
Er bat uns, weg von den Fenstern zu kommen. Wir haben die Türen
verbarrikadiert mit allem, was wir zu fassen bekamen: Tische, Stühle. Dann
wurden wir in den hinteren Teil der Synagoge geführt. Dort gibt es einen
Raum, wo sich der Rabbi vorbereiten kann.
Hatten Sie Angst?
Wir waren alle im Überlebensmodus. Alle haben sich sehr geordnet bewegt,
ruhig und logisch. Ich bin der Gemeinde dankbar, dass sie so besonnen war.
Das hatte eine beruhigende Wirkung auf mich.
In diesem Nebenraum mussten Sie im Ungewissen warten.
Wir wussten nicht, was draußen passiert. Es hat fast eine Viertelstunde
gedauert, bis die Polizei kam. Und als sie kamen, blieben sie erst mal vor
der Mauer. Irgendwann kamen sie in den Hof. Wir haben durch die
Buntglasfenster gesehen, wie sie den Friedhof durchkämmen. Sie haben uns
aufgefordert, drinnen zu bleiben, sie wollten erst den Typen schnappen.
Wie lange mussten Sie in der Synagoge bleiben?
Einige Stunden. Wir durften inzwischen in den Hauptraum zurück. Und da wir
nun mal da waren, haben wir einfach mit dem Gottesdienst weitergemacht. Es
war schließlich [4][Jom Kippur]. Jemand hat gesagt: Wir lassen nicht von so
einem bestimmen, wann wir beten und wann nicht.
Und als Sie wieder heraus durften?
Wir wurden direkt in ein Krankenhaus gebracht. Es gab psychologische
Betreuung. Irgendwann waren wir in der Cafeteria des Krankenhauses. Die
Leute dort boten uns Tee an, aber einige fasteten immer noch, das mussten
wir erklären. Als dann Jom Kippur irgendwann zu Ende ging, haben wir in
dieser Cafeteria gemeinsam das Abschlussgebet gesprochen. Dann kam ein Arzt
mit einem Kasten Bier herein. Ich konnte wirklich eins gebrauchen.
Jetzt verarbeiten Sie das Erlebte künstlerisch. Was bedeutet Ihnen die Tür,
die sie gezeichnet haben?
Wir haben ein kompliziertes Verhältnis. Einerseits hat sie mir das Leben
gerettet. Andererseits tauchte sie in der ersten offiziellen Erklärung nach
der Tat als einziges jüdisches Opfer auf: Sachschaden. Ich habe mich
entschieden, die Tür von außen zu zeichnen. Wir schauen aus der Sicht des
Schützen, stehen quasi dort, wo er stand. Dort wo die Frau erschossen
wurde, [5][Jana]. Einfach nur, weil sie gerade vorbeikam.
Der Attentäter brachte an dem Tag zwei Menschen um. Wie ist ihr Verhältnis
zu den Getöteten?
Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an sie und ihre Familien denke. Sie
haben die Kugeln abbekommen, die für uns gedacht waren. Mit Ihnen bin ich
für immer verbunden.
Halten Sie Kontakt zu den anderen Menschen, die in der Synagoge waren?
Einige habe ich für ein weiteres Kunstprojekt wiedergetroffen. Ich habe
Aufnahmen gemacht, wie sie die Lieder summen, die wir an Jom Kippur singen.
Daraus habe ich eine Soundinstallation gemacht, Lautsprecher im Raum
verteilt, die zu unterschiedlichen Zeiten anfangen, diese Aufnahmen
abzuspielen. Mal allein, mal gleichzeitig.
Das Werk ist in Ihrer Heimatstadt Denver ausgestellt. Wie reagieren die
Menschen dort?
Mich hat gerührt, zu sehen, dass sich manche einfach vor einen der
Lautsprecher stellen und warten, bis er anfängt, zu ihnen zu singen. Das
hat mich an die jüdische Art erinnert, mit Trauer umzugehen. Wenn jemand
stirbt, geht man stumm zu den Hinterbliebenen. Man wartet, bis sie mit
einem sprechen und sagen, was sie brauchen.
Sie waren ganz frisch in Deutschland, als der Anschlag passierte, in der
ersten Semesterwoche. Wie denken Sie seitdem als junge jüdische
Amerikanerin über dieses Land?
Ich mache Deutschland keine Vorwürfe. Antisemitismus ist ein globales
Problem. Zu Hause in Colorado darf man Schusswaffen verdeckt tragen. Ich
kenne einige, die dort am Sabbat bewaffnet in die Synagoge gehen. Mir ist
klar geworden: Wenn dieser Anschlag so in den USA passiert wäre, wäre der
Schütze durch die Tür gekommen. Weil er echte Waffen gehabt hätte, keine
selbst gebauten.
Fühlen Sie sich seitdem unsicherer?
Direkt danach habe ich mich überall und ständig bedroht gefühlt. Manchmal
tue ich das jetzt noch. Das wäre aber überall so, ob in Denver, New York
oder Hamburg. Die jüdische Gemeinde hier kam direkt auf mich zu. Ich weiß
gar nicht, woher die wussten, wer ich bin. Eine Frau hat mir angeboten,
mich am Sabbat regelmäßig abzuholen und in die Synagoge zu begleiten.
Vielleicht muss ich froh sein, dass man mir meinen Glauben nicht ansieht.
Ich kann mich verstecken. People of Colour, Frauen mit [6][Hidjab] oder
Männer mit Kippa können das nicht.
Gehen Sie hier in die Synagoge?
Ich versuche jedes Wochenende hinzugehen, wenn ich Zeit habe. Ohne die
[7][Hamburger Gemeinde] würde ich nicht so heilen, wie ich es bisher
konnte. Hier ist auch rund um die Uhr Polizeischutz vor Ort. Dazu gibt es
ein Sicherheitsteam der Gemeinde. Wer in die Synagoge will, muss sich
ausweisen und Sicherheitsfragen beantworten.
Erleben Sie hier Antisemitismus?
Mein ganzes Leben schon höre ich antisemitische Bemerkungen. Auch in
Hamburg. In meiner Arbeit gehe ich offensiv mit meiner jüdischen Identität
um, das fordert Menschen heraus.
Was wollen Sie mit Ihrer Kunst erreichen?
Herausfordern, Aufmerksamkeit schaffen, heilen – auch mich selbst. Eine
Freundin, die beim Summen dabei war, erzählte mir, dass sie noch einmal
nach Halle musste, irgendwas erledigen. Es fiel ihr so schwer, dass sie
fast nicht gefahren wäre, dann hat sie sich die Aufnahmen angehört und kam
irgendwie durch den Tag. Allein dafür hat sich das Projekt schon gelohnt.
Es war einfach nur für uns.
Gleich übermalen Sie Ihre Zeichnung, weil die Wand anderweitig gebraucht
wird. Wie geht es Ihnen damit?
Auch das ist ein Statement an mich selbst: Es geht weiter. Aber unter den
Farbschichten bleibt etwas.
11 Mar 2020
## LINKS
[1] http://xn--Mrderischer%20Judenhass-hec
[2] /Schuesse-und-Tote-in-Halle/!5628784/
[3] /Sicherheit-von-juedischen-Gemeinden/!5632588/
[4] /Anschlag-in-Halle/!5628783&s=kippur/
[5] https://www.dw.com/de/anschlag-in-halle-wer-waren-die-opfer/a-50871525
[6] /Ausstellung-Muslim-Fashion/!5583568/
[7] https://www.jghh.org/de/
## AUTOREN
Thilo Adam
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