# taz.de -- Haftstrafen gegen rechte Terrorgruppe: Der Hass von Chemnitz | |
> Ein Gericht in Dresden hat acht Nazis zu Haftstrafen verurteilt. Als | |
> „Revolution Chemnitz“ griffen sie Menschen an und planten einen | |
> Terroranschlag. | |
Bild: Die Idylle trügt: In Chemnitz planten die acht verurteilten Nazis einen … | |
DRESDEN taz | Zum Ende machen sie sich ganz klein. „Ich bitte um | |
Nachsicht“, bettelt Maximilian V., ein 29-jähriger vielfach vorbestrafter | |
Neonazi, bei dem Ermittler eine Adolf-Hitler-Gedenkmedaille fanden. Er | |
durchlebe in der JVA eine „schwere Situation“. Kaum Kontakt zu Familie und | |
Freunden, überwachte Telefonate, mit der Corona-Pandemie werde alles noch | |
schlimmer. Dabei arbeite er jeden Tag an seinem „Businessplan“ in der | |
„Fitnessbranche“, habe auch mal an ein Kinderhospiz gespendet. „Ich bitte | |
um eine Chance in der Freiheit“, appelliert V. am Dienstag an die Richter | |
des Oberlandesgerichts Dresden. | |
Auch Tom W., ein früherer Kameradschaftsführer, Zuhause mit deckenhohem | |
Hakenkreuz im Partyzimmer, beteuert: Nie habe er Leute töten oder schwer | |
verletzten wollen. Und Christian K., angeklagter Rädelsführer und ebenfalls | |
einschlägig vorbestraft, bittet zumindest für die Mitangeklagten um | |
„Gnade“: Sie sollten Bewährungsstrafen erhalten, damit sie in den | |
Corona-Zeiten bei „ihren Liebsten“ sein könnten. | |
Vor gut anderthalb Jahren klangen die Männer noch ganz anders. Einen | |
„Bürgerkrieg“ wollten die insgesamt acht Angeklagten anzetteln, eine | |
„Systemwende“ mit „effektiven Schlägen“ gegen „Linksparasiten“. Da… | |
Spätsommer 2018, als sie mit tausenden anderen Rechten in Chemnitz auf der | |
Straße standen, nachdem dort ein 35-Jähriger von zwei Geflüchteten | |
erstochen worden war. Es war ein Ausnahmezustand. Und die acht Neonazis | |
wollten noch mehr. | |
Davon jedenfalls ist das Dresdner Oberlandesgericht überzeugt. Am späten | |
Dienstagnachmittag verurteilt es die acht Männer wegen Rechtsterrorismus zu | |
Haftstrafen von zweieinviertel bis fünfeinhalb Jahren. Ja, es seien noch | |
keine Anschläge erfolgt, erklärt Richter Hans Schlüter-Staats. Aber die | |
„Möchtegern-Revolutionäre“ seien zur Gewalt bereit gewesen – und „Got… | |
Dank“ rechtzeitig gestoppt worden. „Auch geistig Verwirrte können | |
gefährlich sein“, bekräftigt Schlüter-Staats – und verweist auf den Mord… | |
Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. | |
## Ziel: NSU übertrumpfen | |
Auch die Bundesanwaltschaft hatte den Männern [1][Rechtsterrorismus] | |
vorgeworfen. Im September 2018 waren ihnen sächsische Polizisten auf die | |
Schliche gekommen, dann übernahm Karlsruhe. Nach den Aufmärschen in | |
Chemnitz hatten sich die Beschuldigten in Chats immer weiter in ihren Hass | |
auf „Kanacken“, den „Abschaum“, hineingesteigert: Man müsse „ein Sch… | |
weitergehen“. | |
Schließlich bildeten sie die Chatgruppe „Revolution Chemnitz“, sinnierten | |
über Anschläge auf Politiker und Linke, auf „Merkel-Zombies“, wollten nach | |
Waffen suchen. Anführer Christian K. schrieb, er sei bereit, es „bis zum | |
Ende durchzuziehen“. Der NSU werde dagegen nur „wie die | |
Kindergartenvorschulgruppe wirken“. | |
Am 3. Oktober sollte es angeblich losgehen – mit einem Anschlag in Berlin, | |
den die Gruppe Linken in die Schuhe schieben wollte. Schon zuvor gab es | |
einen „Probelauf“ in Chemnitz: Ein Teil der Männer griff eine Gruppe Iraner | |
auf der örtlichen Schlossteichinsel an, warf einem eine Bierflasche an den | |
Kopf. Dann wurden die Männer festgenommen. | |
Ein halbes Jahr [2][wurde nun vor dem Oberlandesgericht verhandelt]. Am | |
Dienstag sitzen die Beschuldigten nochmal im Hochsicherheitssaal, | |
abgeschirmt am Stadtrand. Die Verhandlung verfolgen sie regungslos, starren | |
in den Saal. Es sind Bauarbeiter, Securities, Arbeitslose, 22 bis 32 Jahre | |
alt, fast alle vorbestraft und einschlägig tätowiert – und seit Jahren in | |
der rechtsextremen Szene aktiv: als Hooligans oder bei der 2007 verbotenen | |
Kameradschaft „Sturm 34“. | |
## „Was Sie gemacht haben, war lächerlich“ | |
Ihre Verteidiger kritisieren am Dienstag zunächst, dass in Zeiten der | |
Corona-Pandemie überhaupt noch verhandelt werde. „Unverantwortlich“ sei | |
dies, man werde „ganz konkreten Gesundheitsrisiken“ ausgesetzt. Das Gericht | |
hielt es indes für ausreichend, Abstandsregeln im Saal zu verhängen, | |
zwischen ZuhörerInnen müssen je drei Sitze freibleiben. | |
In ihren letzten Plädoyers beteuern die Anwälte dann noch einmal die | |
Unschuld der Angeklagten, fordern Freisprüche oder milde Strafen. Es habe | |
keine Terrorgruppe gegeben, sondern nur „dummes Gequatsche“ in Chats, über | |
wenige Tage, ohne konkrete Anschlagspläne, so der Tenor. Ein Anwalt nennt | |
die Pläne „offensichtlichen Unfug, Wunschdenken, eine Fata Morgana“. „Das | |
hatte mit der Realität überhaupt gar nichts zu tun.“ | |
Verteidiger André Schuster spricht die Beschuldigten direkt an. „Nehmen Sie | |
es mir nicht übel“, sagt er. „Was Sie gemacht haben, war lächerlich. | |
Schlechter geht’s gar nicht.“ Hätten sie tatsächlich etwas in Berlin | |
angezettelt, „wäre das böse für Sie ausgegangen“. Der NSU hätte „Sie … | |
mal in der embryonalen Einstiegsstufe aufgenommen“. Die Angesprochenen | |
starren Schuster verdutzt an. | |
Als dieser noch sarkastisch ausmalt, wer eine Revolution wolle, hätte | |
zumindest einmal richtig zulangen oder zuerst mal die Chemnitzer Hooligans | |
fragen sollen, die eine der bestorganisierten Gruppen seien, reicht es | |
Opferanwältin Kristin Pietrzyk, die einen verletzten Iraner vertritt. Aus | |
Protest verlässt sie den Saal. „Sowas muss ich mir nicht anhören“, schimp… | |
sie später. | |
## „Es sollte Tote geben“ | |
Die Bundesanwaltschaft hatte bis zum Schluss auf der Schuld der Angeklagten | |
beharrt und bis zu fünfeinhalb Jahre Haft für die Männer gefordert. Dem | |
schließt sich Richter Schlüter-Staats in seiner zweistündigen | |
Urteilsbegründung an. Den Verurteilten sei es durchaus ernst gewesen, sie | |
hätten konkret nach Schusswaffen gesucht und sich konspirativ verhalten. | |
„Es ging nicht um Hirngespinste, sondern um ganz konkret zur Umsetzung | |
gedachte Vorstellungen.“ Das Ziel letztlich: „Es sollte Tote geben.“ | |
Schon länger hätten die Verurteilten von einem Systemsturz geträumt, | |
erklärt der Richter. Die damaligen Aufzüge in Chemnitz seien für sie die | |
„willkommene Initialzündung“ gewesen. Schlüter-Staats kritisiert die | |
Verteidiger, welche die Aufzüge relativiert hätten. „Absurd“ sei das. | |
In Chemnitz seien Extremisten aufmarschiert und auch die Beschuldigten | |
angerückt, um sich nach eigener Auskunft „rumzuprügeln“. Schlüter-Staats | |
warf den Verurteilten eine „Freude an der Gewaltbereitschaft“ und | |
verfassungsfeindliche Gesinnung vor. Aber, so der Richter: „Wer für Adolf | |
Hitler schwärmt, hat das Recht verwirkt, das Wort Deutschland auch nur im | |
Munde zu führen.“ | |
Die Verurteilten verfolgen die Ausführungen konsterniert. Für drei aber | |
gibt es doch vorerst Freude: Ihre Haftbefehle werden unter Auflagen außer | |
Vollzug gesetzt, weil ihre Reststrafe nicht mehr so lang ist und damit eine | |
Fluchtgefahr unwahrscheinlich. | |
Damit reiht sich „Revolution Chemnitz“ in die jüngste Rechtsterrorwelle im | |
Land ein. Gerade erst wurde eine weitere Gruppe Rechtsextremisten | |
festgenommen, die ebenfalls Anschläge auf Politiker und Migranten geplant | |
haben soll: die „[3][Gruppe S].“. In Hanau wurden bereits im Februar zehn | |
Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Zuvor tötete ein | |
Rechtsextremist in Halle bei einem Attentat zwei Menschen und versuchte | |
[4][in eine Synagoge] zu gelangen, ein anderer Mann erschoss in Kassel | |
Walter Lübcke. Davor wiederum waren noch zwei Gruppen als Rechtsterroristen | |
verurteilt worden: die „Oldschool Society“ und die „Gruppe Freital“. | |
Christian K., der Anführer von „Revolution Chemnitz“, hatte bereits früh | |
eine Verurteilung mit einkalkuliert. In einem Chat hatte er seine | |
Mitstreiter über die Folgen seiner Pläne gewarnt: „Ihr könnt euch ja | |
vorstellen, dass wir hier über mehr als ein Kurzzeiturlaub sprechen, wenn | |
da mal was offengelegt wird.“ So ist es gekommen. | |
24 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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