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# taz.de -- Neue Organisationen: „Kein Mitgefühl, sondern Schutz“
> Einen Tag nach Hanau treffen sich über hundert postmigrantische
> Initiativen. Sie bestehen auf ihren Rechten und wollen Schutz vor Nazis.
Bild: Menschen bei der Mahnwache am Tag nach den rassistischen Morden in Hanau
Berlin taz | „Wir sind empört, wir sind wütend, wir sind entsetzt und wir
sind traurig“ – mit diesen Worten eröffnet Meral El die Vorstellung des
„Manifests für eine plurale Gesellschaft“. Nur einen Tag nach dem
rechtsterroristischen Anschlag in Hanau treffen sich Menschen mit
Migrationsgeschichte aus ganz Deutschland in Berlin.
Anlass ist der fünfte Bundeskongress der neuen deutschen Organisationen
(ndo). Das Netzwerk besteht aus über 100 postmigrantischen Initiativen, die
sich für Vielfalt und gegen Rassismus engagieren.
Ihre Zusammenkunft findet rund eine Woche vor dem jährlichen
Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt statt. Das Treffen sei eine Art
„rassismuskritischer Gipfel zum Integrationsgipfel“, erklärt Meral El,
Geschäftsführerin der ndo.
Wegen des Anschlags von Hanau wurde das Programm umgestellt, um Raum zum
Austausch über die Geschehnisse zu schaffen. El macht in ihrer Rede
deutlich, dass [1][Rechtsterrorismus keineswegs ein neues Phänomen] sei:
„Rechten Terror gibt es nicht erst seit einem Jahr, sondern seit zwanzig
Jahren.“
Geringes Wir-Gefühl
Irritiert zeigen sich die Vorstandsmitglieder über die Reaktionen auf das
Attentat in Hanau. „Wir brauchen kein Mitgefühl, sondern Rechte“, fordert
Ferda Ataman, die ndo-Sprecherin und Mitgründerin der „Neuen deutschen
Medienmacher*innen“, einem Zusammenschluss von Medienschaffenden mit
unterschiedlichen kulturellen Wurzeln. Sie sieht eine Gefahr darin, dass
sich der Diskurs über Rechtsterrorismus nun um Sicherheit anstatt um
Rassismus drehe.
„Rechsterrorismus betrifft vor allem Menschen mit Rassismuserfahrungen“,
stellt Ataman klar. Den Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ lehne
sie in diesem Kontext bewusst ab, da nicht alle Migrationsgeschichten in
gleichem Maße zu Diskriminierung und Rassismus führten.
Als „wirklich bitter“ bezeichnet El die [2][Reaktionen], in denen Menschen
ihr „Mitgefühl mit den betroffenen Gemeinschaften“ ausdrückten. Dies sei
Zeichen eines äußerst geringen gesellschaftlichen Wir-Gefühls. Schließlich
würde dadurch das Trennende und nicht die Gemeinsamkeit betont.
Die Kategorisierung des Anschlags als „fremdenfeindlich“ zeuge ebenso von
diesem Denkmuster. „Die Menschen in Hanau sind keine fremden Menschen“,
betont ndo-Sprecher Karim El-Helaifi. Eine solche Fremdmarkierung in der
Sprache sei gefährlich, da sie eine bestimmte Art der Wahrnehmung in den
Köpfen der Menschen zementiere.
Es geht nicht um Nutzen, sondern um Rechte
Das Bündnis beklagt ein grundsätzliches Demokratieproblem in Deutschland:
Viele Politiker*innen stünden nicht eindeutig für eine plurale Gesellschaft
ein und sorgten damit für eine Diskursverschiebung nach rechts.
„Wenn Horst Seehofer bei seinem Amtsantritt sagt, der Islam gehöre nicht zu
Deutschland und damit den Muslimen die Zugehörigkeit abspricht, dann trägt
das zu einem Klima bei, in dem Attentate wie in Hanau und Halle möglich
sind“, so El-Helaifi. Die etablierten Parteien übergingen die Ängste und
Sorgen von Schwarzen Menschen und People of Color konsequent. Die Lösung:
„Migrant*innen, Schwarze Menschen und People of Color zuhören und ihre
Erfahrungen und Bedarfe einbeziehen“.
Vielfalt solle nicht als „ein Gewinn“ oder „eine Chance“ begriffen werd…
Denn: „Es geht nicht um Nutzen, es ist unser Recht hier zu sein“, stellt
Ataman klar. Gesellschaftliche Pluralität sei das Fundament unserer
Demokratie, an dem es nichts zu rütteln gebe. „Die Stärke einer Demokratie
misst sich am Umgang mit ihren Minderheiten.“
Um das Ziel einer pluralen Gesellschaft zu erreichen, hat das Bündnis eine
Reihe konkreter Forderungen formuliert.
## „Wir pochen auf unser Recht, Rechte zu haben“
So fordert das Bündnis etwa eine konsequente staatliche Strategie gegen
Rassismus. Dazu müsse der Einsatz gegen Rassismus und für Menschenrechte
explizit als Gemeinnützigkeitsgrund anerkannt werden. Es brauche mehr
Ressourcen für den [3][Schutz von Menschen vor Rechtsextremismus] und gegen
Hetze im Internet.
Laut ndo könne ein Partizipationsgesetzes sicherstellen, dass People of
Color und Schwarze Menschen proportional in Parteien, Behörden,
Wohlfahrtsverbänden und anderen gesellschaftlichen Bereichen vertreten sind
– wenn nötig auch mit Quoten. Außerdem fordert das Bündnis, all denen das
kommunale Wahlrecht zuzusprechen, die ihren Lebensmittelpunkt länger als
drei Jahre in Deutschland haben. Ab fünf Jahren müsse ein umfassendes
Wahlrecht auch auf Bundesebene gelten.
Gegen Diskriminierung helfen sollen nach dem Willen der ndo auch
unabhängige Beschwerdestellen an Schulen und Lehrpläne an den Schulen, die
explizit Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Diskriminierungen
beinhalten.
„Wir pochen auf unser Recht, Rechte zu haben“, fasst Sun-ju Choi vom
asiatisch-deutschen korientation e.V. zusammen. „Wir sind Teil der
deutschen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.“ Zwar sei es dem ndo sei es in
den letzten Jahren gelungen, mehr Sichtbarkeit für Schwarze Menschen und
People of Color zu schaffen, betont deren Vorstand. Damit dies allerdings
auch in der Mehrheitsgesellschaft ankomme, gebe es noch eine ganze Menge
Nachholbedarf.
21 Feb 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Georg Sturm
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