# taz.de -- Grünen-Politikerin über Terror in Hanau: „Rechtsterrorismus aus… | |
> Der Anschlag in Hanau war kein Einzelfall. Die Grünen-Innenpolitikerin | |
> Irene Mihalic warnt davor, den Täter als „psychisch krank“ zu | |
> verharmlosen. | |
Bild: Blumen und Kerzen in der Nähe der Shisha-Bar in Hanau | |
taz: Frau Mihalic, nach dem [1][mutmaßlich rassistischen Anschlag in Hanau] | |
ermittelt der Generalbundesanwalt wegen Terrorverdachts. Wie bewerten Sie | |
das Ausmaß der Ereignisse? | |
Irene Mihalic: Es ist natürlich schrecklich, was in Hanau passiert ist. | |
Daher ist es folgerichtig, dass der Generalbundesanwalt jetzt die | |
Ermittlungen übernimmt. Wir müssen davon ausgehen, dass das Ganze einen | |
rechtsterroristischen Hintergrund hat. Deshalb ist es wichtig, dass die | |
Hintergründe dieser Tat haargenau aufgeklärt werden. Wir müssen wissen: Was | |
hatte der Täter konkret für Motive? Welches Umfeld hatte er? Es darf jetzt | |
nicht passieren, dass die Tat mal wieder vorschnell als die Tat eines | |
Einzeltäters abgetan wird. | |
Derzeit deutet vieles auf einen rechtsextremen Hintergrund hin. Reiht sich | |
der Anschlag in die verschiedenen Fälle rechtsextremen Terrors der letzten | |
Monate ein? | |
Wir erleben in letzter Zeit eine Welle rechtsterroristischer Taten. Wir | |
hatten die Festnahmen einer rechtsterroristischen Zelle letzte Woche, den | |
Mord an Walter Lübcke, den Anschlag in Halle – und nun diese schreckliche | |
Tat in Hanau. Überall gab es einen politisch motivierten beziehungsweise | |
einen rassistischen oder antisemitischen Hintergrund. | |
Wird in Deutschland genug gegen rechtsextremen Terror unternommen? | |
Wir sind auf diese Ereignisse nicht gut vorbereitet. Rechtsterrorismus | |
wurde in Deutschland von den Sicherheitsbehörden viel zu lange | |
ausgeblendet, es wurde nicht genug hingeschaut. Selbst der NSU-Terror hat | |
nicht dazu geführt, dass es signifikante Änderungen in der Arbeitsweise | |
gegeben hat. Wir beklagen schon seit geraumer Zeit eine wirkliche | |
Analyseschwäche, was das Thema Rechtsextremismus angeht. Viele Dinge werden | |
einfach isoliert betrachtet, ohne einen größeren Zusammenhang zu sehen. | |
Aber solche Taten passieren nicht ohne Kontext. Deshalb ist es wichtig, | |
Zusammenhänge zu erkennen, Strukturen herauszuarbeiten und sich genau | |
anzuschauen, wer da mit wem etwas zu tun hat. | |
Was muss sich im Umgang mit Rechtsterrorismus konkret ändern, damit | |
Anschläge wie dieser in Zukunft möglichst verhindert werden können? | |
Wichtig ist natürlich, dass allseits genau hingeschaut wird. Vor allem auch | |
auf Seiten des Verfassungsschutzes ist das nicht geschehen. Unter dem | |
aktuellen Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang ändert sich das | |
gerade: Es werden andere Arbeitsweisen an den Tag gelegt und es gibt ein | |
größeres Problembewusstsein. Es muss natürlich auch eine Menge | |
aufgearbeitet werden, was in den letzten Jahren nicht stattgefunden hat. | |
Wir müssen zudem mehr Wissenschaftlichkeit in die Arbeit der | |
Verfassungsschutzbehörden hineinbringen. Was die Bekämpfung des | |
islamistischen Terrorismus angeht, sind die Behörden gut aufgestellt. Aber | |
dass wir zum Beispiel nur 60 Gefährder im rechtsextremistischen Spektrum | |
haben, das glaubt ja kein Mensch. In dem Zusammenhang ist es wichtig zu | |
sagen, dass die Opferperspektive nicht vergessen gerät. | |
Wenn wir über die Motive und Hintergründe solcher Taten sprechen, dann | |
landen wir fast immer beim Thema Rassismus. Deswegen müssen wir darüber | |
nachdenken, wie wir die Opfer rassistischer Gewalt besser präventiv | |
schützen können. Es ist wichtig, zivilgesellschaftliche Initiativen | |
nachhaltig zu unterstützen, damit sich Menschen nicht auf so eine Art und | |
Weise radikalisieren, dass sie rassistische Straftaten begehen, und damit | |
potenzielle Opfer solcher Straftaten besser geschützt werden können. | |
Welche Auswirkungen wird der Anschlag auf Menschen mit | |
Migrationshintergrund und migrantische Gemeinschaften haben? | |
Wenn nicht schon die letzten Taten dazu geführt haben, gehe ich davon aus, | |
dass es eine große Verunsicherung gibt, wie es sie nach Christchurch auch | |
in Deutschland innerhalb der muslimischen Gemeinde gab. Viele Menschen | |
haben sich schon gar nicht mehr getraut, in eine Moschee zu gehen, aus | |
Angst, dass dort Ähnliches passiert. Letzte Woche gab es die Festnahme von | |
zwölf Personen, die solche Dinge geplant haben und mutmaßlich in mehreren | |
Bundesländern Anschläge in Moscheen begehen wollten. Nun die Tat von Hanau | |
in einer Shisha-Bar, bei der die Opfer Menschen mit Migrationshintergrund | |
sind. Das, was man über das Bekennerschreiben hört, lässt vermuten, dass es | |
auch da einen antimuslimischen Hintergrund gegeben hat. Insofern kann ich | |
mir vorstellen, dass Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere | |
Muslime in hohem Maß verunsichert und alarmiert sind. | |
Besagtes Bekennerschreiben und Video, die dem mutmaßlichen Täter zugeordnet | |
werden, deuten auf ein krudes Weltbild und Wahnvorstellungen hin. Gibt es | |
einen Zusammenhang zwischen Wahnsinn und rechtsextremem Terror? | |
Ich bin keine Psychologin, aber wenn man sich terroristische Straftaten | |
unabhängig von dem konkreten Motiv, aus dem sie begangen werden, ansieht, | |
dann gibt es da vielleicht eine gewisse Nähe. Ich will aber keine Diagnose | |
stellen. Jetzt schlägt die Stunde der Ermittler, die herausfinden, welches | |
Motiv dem zugrunde liegt. Ich warne davor, zu sagen, das war ein psychisch | |
Kranker und deswegen gebe es keinen politisch motivierten Hintergrund. Aber | |
ich sehe auch nicht, dass das aktuell abseits von AfD-Kreisen passiert. Der | |
Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen, und deswegen gehe ich | |
davon aus, dass ein [2][rechtsterroristisches Motiv] angenommen wird und | |
dass nicht – wie wir es in anderen Fällen erlebt haben – die Tat auf eine | |
psychische Erkrankung geschoben wird. | |
Erst der [3][Mord an Walter Lübcke], jetzt der Anschlag in Hanau – hat | |
Hessen ein Rechtsextremismus-Problem? | |
Ich würde sagen, Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Wir | |
erleben die Welle rechtsterroristischer Gewalt überall. In Hanau haben wir | |
ein besonders schweres Ereignis. Wir hatten aber auch den antisemitischen | |
Anschlag in Halle. Deswegen müssen wir uns die Zusammenhänge | |
deutschlandweit anschauen, aber auch internationale Bezüge herausarbeiten. | |
Wir müssen auf der europäischen Ebene schauen, wie sich Rassisten und | |
Rechtsextremisten vernetzen und wie sie sich aufeinander beziehen. Es ist | |
kein Zufall, dass auch der Attentäter von Christchurch sich auf Breivik | |
bezieht und der Identitären Bewegung in Österreich Geld gespendet hat. Also | |
hängt da alles mit allem zusammen. | |
20 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Mutmasslich-rassistischer-Anschlag/!5665203 | |
[2] /Merkel-zu-Anschlag-in-Hanau/!5665261 | |
[3] /Toedlicher-Schuss-auf-Walter-Luebcke/!5600568 | |
## AUTOREN | |
Georg Sturm | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Hessen | |
Anschlag | |
Rechter Terror | |
Rechtsextremismus | |
Integration | |
Rechtsterrorismus | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Hessen | |
Medien | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Hessen | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Integrationsgipfel im Kanzleramt: Gegen rechts als „Chefinnensache“ | |
Der Kampf gegen rechts dominiert auch den Integrationsgipfel. | |
Migrantenverbände wollen Antirassismus im Grundgesetz verankern. | |
Neue Organisationen: „Kein Mitgefühl, sondern Schutz“ | |
Einen Tag nach Hanau treffen sich über hundert postmigrantische | |
Initiativen. Sie bestehen auf ihren Rechten und wollen Schutz vor Nazis. | |
Soziologe über den Anschlag von Hanau: „Das ist kein Zufall“ | |
Die Kontinuität rechten Terrors werde oft verdrängt, sagt Wissenschaftler | |
Sebastian Wehrhahn. Die Hypothese des Einzeltäters sei politisch falsch. | |
Rechtsextremistischer Terror in Hanau: Riss im Selbstbild | |
Deutschland war nie so freundlich und liberal, wie es gerne glaubt. Im | |
Angesicht des Rechts-Terrors aber wird klar: Alle Bekundungen sind zu | |
wenig. | |
Rechter Terror in Hessen: Lübcke und „NSU 2.0“–Drohbriefe | |
Vor dem rassistischen Anschlag in Hanau hat es in Hessen andere Vorfälle | |
gegeben: der Lübcke-Mord und eine Drohbriefserie sind nur ein Teil dessen. | |
Berichterstattung zum Anschlag in Hanau: Ein langer Lernprozess | |
Bei Berichten zu rechter Gewalt haben Journalist:innen schon vieles falsch | |
gemacht. Einige haben dazugelernt, andere bedienen gefährliche Klischees. | |
Terroranschlag in Hanau: Trauer, Wut und #gegenhalten | |
Migrantenverbände äußern scharfe Kritik nach dem Terroranschlag von Hanau. | |
Für den Abend sind in Berlin zwei Mahnwachen angekündigt. | |
Merkel zu Anschlag in Hanau: „Rassismus ist ein Gift“ | |
Die Bundeskanzlerin sieht „rechtsextremistische“ und „rassistische“ Mot… | |
hinter dem Anschlag in Hanau. | |
Mutmaßlich rassistischer Anschlag: Elf Tote nach Schüssen in Hanau | |
In Hanau sterben nach Schüssen zehn Menschen. Der Tatverdächtige wird tot | |
aufgefunden, er hinterlässt ein rechtsextremes Bekennerschreiben. | |
Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Fanal | |
Jetzt ermittelt Karlsruhe im Fall Lübcke. Der Verdächtige war bereits als | |
rechter Gewalttäter bekannt – und hatte der AfD Geld gespendet. |