# taz.de -- Rechter Terror in Hessen: Lübcke und „NSU 2.0“–Drohbriefe | |
> Vor dem rassistischen Anschlag in Hanau hat es in Hessen andere Vorfälle | |
> gegeben: der Lübcke-Mord und eine Drohbriefserie sind nur ein Teil | |
> dessen. | |
Bild: Erst nach einem halben Jahr stufte die Polizei das Lübcke-Attentat als p… | |
BERLIN taz | Einen Tag, bevor [1][der Attentäter von Hanau zehn Menschen | |
und sich selbst das Leben nahm], war sich Hessens Innenminister Peter Beuth | |
(CDU) noch sicher: „Hessen ist ein sicheres Land.“ Beuth steht am | |
Rednerpult im Hessischen Landtag in Wiesbaden und verkündet die neuesten | |
Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik. 2019 sei die | |
„Kriminalitätsbelastung“ so niedrig wie zuletzt 1978, die Aufklärungsquote | |
die höchste, die in Hessen jemals gemessen wurde. Beuth ist voll des Lobes | |
für die Arbeit der Sicherheitsbehörden – auch für ihre Arbeit gegen rechts. | |
Seit dem [2][Mord an Walter Lübcke] im Juni 2019 habe Hessen eine „bis dato | |
einmalige“ landesweite Einheit mit rund 140 Ermittlern geschaffen, um den | |
„Druck“ auf die rechte Szene zu erhöhen. Seit Juli seien mehr als 1.100 | |
Kontrollmaßnahmen durchgeführt worden. „Wir werden den Druck auch 2020 hoch | |
halten“, verspricht der Innenminister. | |
Es ist wenig verwunderlich, dass Beuth dies betont. Der Mord an dem | |
Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke war das erste tödliche Attentat eines | |
Rechtsextremen auf einen Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik. | |
Dennoch dauerte es ein halbes Jahr, bis die hessische Polizei das | |
Lübcke-Attentat als politisch motivierte Tat einstuft. Und das, obwohl der | |
mutmaßliche Täter, der Rechtsextreme Stephan E., zunächst – [3][vor dem | |
Widerruf] – ein eindeutiges Geständnis ablegt und die | |
Generalbundesanwaltschaft früh den Fall an sich gezogen hatte. Warum die | |
hessische Polizei so lange mit der Einstufung wartete, ist unklar. Auch, | |
warum Beuths Behörde lange verschwieg, dass der Name Stepahn E. elfmal in | |
einer NSU-Akte auftaucht und offenbar dennoch vom Radar des | |
Verfassungsschutzes verschwand. | |
## Wächtersbach, Drohbriefe an NSU-Opferanwältin | |
Fakt ist: Die Herausforderung im Kampf gegen Rechtsextremismus ist nicht | |
geringer geworden. So hat kurz nach dem Anschlag auf Lübcke ein Mann [4][im | |
südhessischen Wächtersbach auf einen Eritreer geschossen]. Die Zahl | |
rechtsmotivierter Delikte in Hessen ist im Jahr 2019 auf insgesamt 917 | |
gestiegen, das sind 52 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl | |
antisemitischer Delikte in Hessen stieg um 56 Prozent an. Die Opposition | |
sieht darin die Quittung dafür, dass die hessische Polizei die | |
rechtsextreme Szene jahrelang nicht sonderlich eng überwachte. | |
Im Gegenteil: Im August 2018 erhielt die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda | |
Başay-Yıldız den ersten von insgesamt vier [5][Drohbriefen], unterzeichnet | |
mit „NSU 2.0“. Wie sich herausstellte, hatten der oder die Absender:in wohl | |
Zugriff auf Polizeicomputer. Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurde eine | |
mutmaßliche rechtsextreme Chatgruppe in der Frankfurter Polizei aufgedeckt. | |
Die fünf Beamt:innen sind zwar vom Dienst suspendiert worden – bis heute | |
ist der Zusammenhang zu den „NSU 2.0“-Drohbriefen nicht geklärt. Und wie im | |
Falle Stephan E. bemängelt die Opposition im Hessischen Landtag, nur | |
unzureichend über den Fall informiert zu werden. | |
## Polizei und rechtes Gedankengut | |
Tatsächlich stellt sich in Hessen – aber nicht nur – die Frage, wie sehr | |
die Polizei selbst anfällig ist für rechtsextremes Gedankengut. In einer | |
aktuellen Befragung von mehr als 4.000 Angehörigen der hessischen Polizei | |
äußerte fast jede und jeder Dritte Sorgen vor einer „Islamisierung“ | |
Deutschlands. | |
Zum aktuellen Fall in Hanau hat sich die hessische Regierung nun aber | |
schnell positioniert: Innenminister Beuth bestätigte am Donnerstagmorgen im | |
Landtag den Verdacht eines rechtsradikalen Hintergrunds. Zuvor hatte der | |
Landtag eine kurze Gedenkminute abgehalten. Der Sitzungstag wurde komplett | |
abgesagt. Am Landtagsgebäude wurde die Trauerbeflaggung gehisst. | |
20 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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