# taz.de -- Soziologe über den Anschlag von Hanau: „Das ist kein Zufall“ | |
> Die Kontinuität rechten Terrors werde oft verdrängt, sagt Wissenschaftler | |
> Sebastian Wehrhahn. Die Hypothese des Einzeltäters sei politisch falsch. | |
Bild: Gedenken in Hanau: Die mangelnde Wahrnehmung von Opfern rechten Terrors w… | |
taz: Mittwochnacht wurde in Hanau der zweitgrößte rechts-terroristische | |
Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik verübt. Welche Kontinuität | |
hat rechter Terror in Deutschland? | |
Sebastian Wehrhahn: Rechter Terror hat hier eine lange Geschichte. Bereits | |
in den 50er Jahren fand man Waffen, Sprengstoff und Feindeslisten bei | |
Rechtsextremen. 1968 wurde Rudi Dutschke Opfer eines Attentates, 1980 | |
ermordeten die „Deutschen Aktionsgruppen“ Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ A… | |
[1][Kurz danach gab es das Oktoberfestattentat]. Soweit nur ein kleiner | |
Auszug. | |
Diese Kontinuität rechten Terrors wird oft verdrängt. Das hat viel mit der | |
Auswahl der Opfer und mit dem Selbstbild unserer Gesellschaft und der | |
Frage, wer eigentlich dazu gehört, zu tun. Rechter Terror wird oft nicht | |
als Bedrohung gegen die gesamte Gesellschaft und gemeinsame Werte | |
wahrgenommen, ganz anders als andere Formen des Terrorismus. Diese | |
Leerstelle in der Wahrnehmung wiederholt die Ausgrenzung der Opfer. | |
Wo passt da der mutmaßliche Täter von Hanau rein? | |
Über den mutmaßlichen Täter und seine [2][Hintergründe] ist im Augenblick | |
noch nicht viel bekannt. Aus dem Bekennerbrief ist allerdings klar | |
ersichtlich, dass er ein klassisch rassistisches Weltbild vertrat, das | |
keineswegs nur für die Extreme Rechte wichtig ist, sondern viele | |
Überschneidungen und Berührungspunkte mit einem gesellschaftlich weit | |
verbreiteten Rassismus hat. | |
Ein weiterer Punkt, der diesen Anschlag auszeichnet und typisch für rechten | |
Terror ist: die Auswahl der Opfer. Shisha-Bars werden seit einiger Zeit als | |
vermeintliche Horte krimineller Machenschaften migrantischer Clans | |
aufgebaut. Wenn an solchen Orten Menschen erschossen werden, ist das kein | |
Zufall. | |
Lässt sich rechter Terror überhaupt noch nur mit Blick auf Deutschland | |
erklären? | |
Ja und Nein. Natürlich müssen wir über die Resonanzräume rechter Chats und | |
Foren sprechen ebenso wie darüber, dass die Täter sich oft aufeinander | |
beziehen. Der Attentäter von Halle nahm beispielsweise direkten Bezug auf | |
den rassistischen Anschlag von Christchurch. Und wenn wir über | |
organisierten rechten Terror sprechen, dann ist natürlich das | |
internationale“Combat 18“-Netzwerk wichtig. | |
Dennoch bleibt es wichtig, die deutsche Dimension im Blick zu behalten und | |
den Kontext zu begreifen, in dem solche Anschläge stattfinden. Wenn Medien | |
beispielsweise die AfD hofieren, geben sie der rassistischen Hetze dieser | |
Partei Raum. | |
Zurzeit wird geprüft, ob der mutmaßliche Täter von Hanau psychisch krank | |
war. Also doch nur ein verwirrter Mann? | |
Verwirrung und Rassismus schließen sich nicht aus. Es drängt sich die Frage | |
auf, warum bei rechten Anschlägen die geistige Verfassung des Täters gegen | |
den ideologischen Hintergrund aufgerechnet wird. Und unabhängig davon, wie | |
verwirrt der Täter war, bleibt doch die Frage, warum wählte er genau diese | |
Opfer und genau diese Tatorte aus. Diese Frage lässt sich ohne das Phänomen | |
Rassismus nicht beantworten. | |
Am Montag wurde die jährliche Kriminalstatistik für das Land Hessen | |
veröffentlicht. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten stieg um 52%. Wo | |
sind Politik und Behörden gefordert? | |
Ich denke, Behörden müssen entschlossener gegen rechte Strukturen vorgehen | |
und in der Strafverfolgung dem Umstand Rechnung tragen, dass wir es fast | |
immer mit Netzwerken zu tun haben. Die Hypothese des Einzeltäters ist | |
politisch falsch und auch unter Ermittlungsgesichtspunkten kontraproduktiv. | |
Diese Perspektive blendet Hintergründe, Täter und Mitwisser aus. Sie | |
versagt davor, Strukturen dauerhaft unschädlich zu machen und entlässt | |
politisch Verantwortliche aus ihrer Verantwortung. | |
Im Hinblick auf die politische Bearbeitung scheint mir wichtig, dass die | |
Verharmlosung des rechten Terrors nicht zu trennen ist von der | |
extremismustheoretischen Gleichsetzung von links und rechts. | |
Die Polizei scheint machtlos, was kann die Zivilgesellschaft tun? | |
Wichtig ist der Schutz derer, die durch rechten Terror bedroht werden. Die | |
Zivilgesellschaft kann durch Solidarität dazu beitragen aber auch durch | |
politischen Druck auf Landes- und Bundesregierung. Und natürlich kann die | |
Zivilgesellschaft auch dort deutlich Position beziehen, wo dem rechten | |
Terror der Boden bereitet wird. Wir sollten lieber den Betroffenen zuhören, | |
statt den geistigen Brandstiftern immer wieder Podien zu bieten. | |
Was hilft, damit die Ziele rechten Terrors sich wieder sicher fühlen? | |
Diese Sicherheit ist eine Verpflichtung des Staates und der Gesellschaft | |
und aus dieser Pflicht dürfen Staat und Gesellschaft nicht entlassen | |
werden. Die Kontinuität rechten Terrors und der alltägliche Rassismus | |
zeigen, dass diese Sicherheit fragil ist und jederzeit genommen werden | |
kann. Die Berichte von Betroffenen machen sehr deutlich, dass rechter | |
Terror und rechte Normalität nicht getrennt voneinander zu verstehen und | |
eben auch nicht zu bekämpfen sind. Es braucht solidarische Bündnisse und | |
politischen Druck. | |
21 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Wagner | |
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