| # taz.de -- Ulrich Chaussy über Oktoberfestattentat: „Wer hat da vertuscht u… | |
| > Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat sind beendet. Dem Journalisten | |
| > Ulrich Chaussy reicht das nicht. Er fordert einen Untersuchungsausschuss. | |
| Bild: Ein Sarg wird am 26.09.1980 in München vom verwüsteten Tatort beim Okto… | |
| taz: Herr Chaussy, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem | |
| Oktoberfestattentat von 1980, haben viele Ungereimtheiten bei den | |
| Ermittlungen aufgedeckt. Jetzt hat der Generalbundesanwalt [1][die erneuten | |
| Ermittlungen zu dem Fall eingestellt]. Hat sie das überrascht? | |
| Ulrich Chaussy: Nein, nur mit dem Zeitpunkt hatte ich nicht gerechnet. Es | |
| war ja seit langem um diese Sonderkommission Theresienwiese sehr still | |
| geworden. Ich wusste nicht, ob da fleißig gearbeitet wurde, oder ob die | |
| Ermittlungen nur so vor sich hin dümpelten. | |
| Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? | |
| Zumindest zeigt es mir, dass es nicht umsonst war, jahrzehntelang darauf | |
| hingewiesen zu haben, dass es völlig absurd war, wie dieses Attentat | |
| eingeordnet wurde: als ein Ereignis, das mit Politik und Rechtsextremismus | |
| überhaupt nichts zu tun haben soll. Der Täter Gundolf Köhler wurde als | |
| junger Mann beschrieben, der einfach nur frustriert war, Liebeskummer und | |
| keine Zukunftsperspektive hatte – und deshalb die Bombe hochgehen ließ. Die | |
| neuen Ermittler haben sich nicht mit diesem Psychogramm eines Verzweifelten | |
| abspeisen lassen und sind ganz klar zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser | |
| Anschlag rechtsextremistisch motiviert war. | |
| Wobei der damalige Generalbundesanwalt Harald Range ja schon 2014, als er | |
| die Ermittlungen wieder aufnehmen ließ, vom „schwersten | |
| rechtsextremistische Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik | |
| Deutschland“ sprach. | |
| Das hat er mal eben salopp vorweggenommen und das vorliegende Ergebnis der | |
| alten Ermittler einfach negiert. Aber an etwas anderes hatte ja zu dem | |
| Zeitpunkt sowieso schon längst kein Mensch mehr geglaubt. | |
| Die ersten Ermittlungen unmittelbar nach dem Attentat sind ziemlich | |
| desaströs gelaufen. [2][Einer der größten Kritikpunkte war, dass sich die | |
| damalige Soko sofort auf die Einzeltäterthese eingeschossen hat.] Aber auch | |
| jetzt kamen die Ermittler zu dem Schluss, es gebe „keine ausreichenden | |
| Anhaltspunkte für Mittäter oder Anstifter“. | |
| Natürlich ist das frustrierend. Aber auch logisch: Man kann die heutigen | |
| Ermittler nicht dafür tadeln, dass die Kollegen damals nicht mal das | |
| Allernötigste unternommen haben. Das ist einfach nicht mehr reparabel. Klar | |
| schmerzt es, dass die entscheidenden Fragen noch immer offen sind: Wer | |
| waren Köhlers Stichwortgeber? Wer waren seine Kontakte? Dass man diese | |
| Fragen bei den ersten Ermittlungen abgewürgt hat, rächt sich jetzt. | |
| Sie haben schon vor Jahren beschrieben, wie ein Hauptzeuge am Tag des | |
| Anschlags ein rund 20 Minuten dauerndes Gespräch Köhlers mit zwei Männern | |
| beobachtet hat. Ein anderer hat kurz vor der Explosion gesehen, wie Köhler | |
| mit den Insassen eines am Straßenrand haltenden Autos gestritten hat. Sind | |
| das keine „ausreichenden Anhaltspunkte“? | |
| Doch, nach meiner Auffassung natürlich schon. Es gibt bei den Schlüssen, zu | |
| denen die neuen Ermittler kommen, schon einige Punkte, die ich so nicht | |
| stehen lassen will. Zum Beispiel auch die Sache mit der Hand. | |
| Sie meinen die fast unversehrte abgetrennte Hand, die ein Polizist ein paar | |
| Stunden nach der Detonation in der Nähe des Tatortes gefunden hat. | |
| Genau. Die wurde bei den ersten Ermittlungen als Hand Köhlers bezeichnet. | |
| Und dem haben sich die neuen Ermittler nun angeschlossen. Dabei hat ein | |
| Sprengstoffexperte des Bundeskriminalamtes, den ich dazu befragt habe, | |
| eindeutig dargelegt, dass das naturwissenschaftlich schlicht unmöglich ist. | |
| Die Wucht der Explosion muss Köhlers Hände komplett pulverisiert haben. | |
| Dass die Hand zu jemandem anderen gehört haben muss, belegte ja im übrigen | |
| auch die damalige serologische Analyse. Das verlangt danach, solide | |
| untersucht zu werden. | |
| Vermuten Sie, dass es sich um die Hand eines Mittäters gehandelt haben | |
| könnte? | |
| Ich habe da keine Theorie, ich will nur, dass alle Anstrengungen | |
| unternommen werden, das rauszufinden. Ich bin mir nicht sicher, ob die neue | |
| Soko das gemacht hat. Irritierend fand ich auch, wie deren Ermittler sich | |
| anfangs gegenüber Zeugen benommen haben, die ich der Bundesanwaltschaft | |
| benannt hatte. Gerade bei dem ehemaligen Polizisten, der die Hand gefunden | |
| hatte, gab es ein Auftreten, das eine tiefe Voreingenommenheit der | |
| vernehmenden Ermittlungsbeamten hat erkennen lassen. Das hat mich schon zum | |
| Stirnrunzeln gebracht. | |
| Die jetzige Soko konnte auch nicht feststellen, dass der Erfolg von | |
| Ermittlungsmaßnahmen vereitelt wurde. | |
| Das ist schlicht und ergreifend falsch. Der Staatsschutzchef im bayerischen | |
| Innenministerium, Hans Langemann, hat einer Zeitschrift unmittelbar nach | |
| der Tat schon den Namen Köhlers verraten. Als dann die Ermittler in dessen | |
| Heimatort Donaueschingen kamen, waren dort bereits alle gewarnt, auch | |
| derjenige, dem die Ermittler das Psychogramm des verzweifelten, | |
| unpolitischen Einzeltäters abkauften und den sie quasi zum Kronzeugen | |
| erhoben. Sie alle hatten dadurch die Möglichkeit, Spuren zu verwischen, | |
| Aussagen abzusprechen und so fort. Genau das war die Folge dieses damaligen | |
| Ermittlungsverrats. | |
| Wäre es nicht an der Zeit, das Kapitel zu schließen und den Historikern zu | |
| überlassen? | |
| Für mich stellt sich immer noch die Frage: Wer hat da vertuscht und warum? | |
| Das ist eine Frage, von der ich mir wünschte, sie würde auch andere Leute | |
| nicht in Ruhe lassen. Nur im Fall des Ministerialbeamten Langemann lässt | |
| sich das bisher klar an einer Person festmachen. Es gab ja bei den | |
| damaligen Ermittlungen noch mehr Vorgänge, die nur mit Schlamperei oder | |
| Zufall nicht zu erklären sind. Dazu gehört auch das Verschwinden der | |
| DNA-haltigen Asservate. | |
| Wenn bestimmte Spuren so systematisch getilgt worden sind, muss das | |
| untersucht werden. Ich möchte darauf vertrauen können, dass nach einer | |
| terroristischen Tat alle Kräfte sich darum bemühen, diese aufzuklären. Und | |
| wenn es Hinweise darauf gibt, dass stattdessen vertuscht wird, muss man dem | |
| doch nachgehen. | |
| Aber wer sollte das jetzt tun? | |
| Jetzt ist die Stunde des Parlaments. Ich fände einen Untersuchungsausschuss | |
| nicht schlecht. | |
| Im bayerischen Landtag? Oder im Bundestag? | |
| Das kann gerne beides sein. Es war ein Verbrechen, das in Bayern stattfand, | |
| das aber auch bundesweite Bedeutung hatte, es ist nach wie vor der | |
| schwerste Terroranschlag in der bundesdeutschen Geschichte. | |
| Die offizielle Einordnung der Tat als rechtsextremer Terror erleichtert | |
| eine Entschädigung der Opfer. SPD und Grüne haben bereits einen | |
| entsprechenden Fonds gefordert, genau wie der Opferanwalt Werner Dietrich. | |
| Das unterstütze ich. Die beste Nachricht zum Ende dieser Ermittlungen ist | |
| ja, dass die Opfer nun wissen, warum sie hier Angehörige verloren, warum | |
| sie Verletzungen erlitten haben: weil im politischen Raum dieses | |
| extremistische Potenzial hat heranwachsen können. | |
| Die kollektive Verantwortung zu sehen und anzuerkennen heißt eben auch, | |
| dass man sich jetzt Dinge überlegen muss, um den Opfern zu helfen. Als die | |
| Opfer es am nötigsten hatten, waren sie alleine. In den Achtzigern hat sich | |
| keiner um sie gekümmert, sie mussten sehen, wie sie mit der Situation | |
| zurecht kamen. Eigentlich ist es ja schon zu spät. Aber was jetzt noch | |
| getan werden kann, das soll getan werden. | |
| Oberbürgermeister Dieter Reiter will, dass die Opfer aus Fonds des Bundes | |
| entschädigt werden. | |
| Ich hätte noch eine weitere Idee: Die Leute sollen ja – sobald es Corona | |
| zulässt – gern weiterhin auf die Wiesn gehen, feiern und die Flucht aus dem | |
| Alltag genießen. Aber wenn man ein bis zwei Cent auf die Mass und das Hendl | |
| drauflegt, die in den Opferfonds getan werden, dann hat man pro Jahr ganz | |
| schnell 150.000 Euro zusammen. | |
| Das wäre eine Form der Solidarität, die auch von den Opfern Kenntnis nimmt. | |
| Dieser Anschlag hätte damals jede und jeden treffen können. Es wird ja | |
| immer viel über die Bierpreiserhöhungen auf der Wiesn geredet und | |
| geschimpft. Aber wüssten Sie eine bessere Begründung für eine | |
| Bierpreiserhöhung? | |
| 9 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ermittlung-zu-Oktoberfestattentat-eingestellt/!5698570 | |
| [2] /Journalist-ueber-Oktoberfestattentat/!5607365 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Terrorismus | |
| Entschädigung | |
| Oktoberfest | |
| Wehrsportgruppe Hoffmann | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Oktoberfest | |
| Fernsehserie | |
| Antisemitismus | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Rechtsterrorismus | |
| Schwerpunkt Neonazis | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke: „Eine Erledigungsmentalität“ | |
| 19. Dezember 1980: In Erlangen werden zwei Menschen erschossen. Der | |
| Journalist Ulrich Chaussy recherchiert zu der antisemitischen Tat, die bis | |
| heute unaufgeklärt ist. | |
| Anschlag auf das Oktoberfest: Entschädigung 40 Jahre danach | |
| Jahrzehnte nach dem Oktoberfestattentat sollen die Opfer doch noch | |
| entschädigt werden: mit 1,2 Millionen Euro. Ein Opferanwalt hält das für zu | |
| wenig. | |
| ARD-Miniserie „Oktoberfest 1900“: Babylon München | |
| Die ARD hat eine Wiesn-Serie gedreht und die Wirte beschweren sich. Es geht | |
| um Bier, Blut und „Wahre Begebenheiten“. | |
| Nazimorde in Deutschland: Der fatale Mythos vom Einzeltäter | |
| Auch 40 Jahre nach den Oktoberfest-Morden nimmt die Justiz rechte Netzwerke | |
| nicht ernst. Ein Umdenken findet nur langsam statt. | |
| Ermittlung zu Oktoberfestattentat eingestellt: Viele Fragen offen | |
| Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat 1980 sind erneut eingestellt, das | |
| Motiv nun aber als rechtsextrem festgestellt worden. Werden die Opfer | |
| entschädigt? | |
| Soziologe über den Anschlag von Hanau: „Das ist kein Zufall“ | |
| Die Kontinuität rechten Terrors werde oft verdrängt, sagt Wissenschaftler | |
| Sebastian Wehrhahn. Die Hypothese des Einzeltäters sei politisch falsch. | |
| Rückblick auf Neonazi-Wehrsportgruppe: Ihr Anführer hieß Karl | |
| Vor 40 Jahren wurde die paramilitärische Neonazi-Vereinigung WSG Hoffmann | |
| verboten. Ihr Terror ist bis heute nicht abschließend aufgeklärt. |