# taz.de -- Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke: „Eine Erledigungsmentali… | |
> 19. Dezember 1980: In Erlangen werden zwei Menschen erschossen. Der | |
> Journalist Ulrich Chaussy recherchiert zu der antisemitischen Tat, die | |
> bis heute unaufgeklärt ist. | |
Bild: Am Morgen des 20.12.1980 werden die Leichen von Shlomo Levin und Frida Po… | |
taz: Herr Chaussy, vor 40 Jahren wurden in Erlangen Shlomo Lewin und Frida | |
Poeschke ermordet. Sie lässt dieses Verbrechen bis heute nicht los. Warum? | |
Ulrich Chaussy: Vor allem, weil ich auf Zusammenhänge mit einer anderen | |
rechtsterroristischen Tat gestoßen bin, mit der ich mich schon sehr viel | |
länger beschäftige: dem Oktoberfestattentat. Ich selbst habe mich erst ab | |
2010 auf Bitten der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in | |
Erlangen näher mit dem Doppelmord befasst. Und da hat es mich schon sehr | |
erstaunt, dass die Ermittler es unterlassen haben, diesen Kontext näher zu | |
erforschen. | |
Sie sprechen von den Spuren, [1][die in beiden Fällen zu der rechtsextremen | |
und damals se]hr aktiven Wehrsportgruppe Hoffmann führten. | |
Genau. Der mutmaßliche Täter von Erlangen, Uwe Behrendt, war Mitglied der | |
Wehrsportgruppe – genauso wie Gundolf Köhler, der Mann, der nur drei Monate | |
zuvor die Bombe am Oktoberfest gezündet hat. | |
Was genau ist an diesem 19. Dezember 1980 passiert? | |
Es war ein Samstag. Kurz nach 19 Uhr klingelte eine Person in der | |
Ebrardstraße 20 in Erlangen, wo Shlomo Lewin und Frida Poeschke wohnten. | |
Lewin öffnete und wurde sofort mit drei Schüssen niedergestreckt und, als | |
er schon am Boden lag, mit einem vierten getötet. Als seine Lebensgefährtin | |
Frida Poeschke, von den Schüssen alarmiert, dazu kam, wurde auch sie | |
offenkundig als eine mögliche Zeugin mit vier Schüssen getötet. Der Täter | |
muss sofort wieder verschwunden sein, denn nur wenige Minuten danach hat | |
eine Verwandte Poeschkes die beiden gefunden. | |
Führten die Spuren dann sofort zu dem 28 Jahre alten Neonazi Uwe Behrendt? | |
Eine Spur gab es von Anfang an, doch leider wurde sie zunächst nicht | |
sonderlich beachtet. Am Tatort fand die Polizei neben Resten eines wohl | |
selbstgebauten Schalldämpfers eine Damen-Sonnenbrille, die weder Poeschke | |
noch Lewin gehörte. Aber die Polizei konzentrierte sich erstmal auf | |
Recherchen im Umfeld von Shlomo Lewin. Der hatte 1979 im Streit die | |
Israelitische Kultusgemeinde zu Nürnberg verlassen, deren Vorsitzender er | |
bis dahin gewesen war. Deshalb war es natürlich auch völlig in Ordnung, | |
dort Ermittlungen anzustellen. Was aber nicht in Ordnung war, ist, dass man | |
nicht gleichzeitig die Chance ergriffen hat, die einem das am Tatort | |
gefundene Asservat geboten hat. | |
Die Brille. | |
Man hat lediglich ein Bild von ihr veröffentlicht mit einem Aufruf an die | |
Bevölkerung: Wer kennt diese Brille? Dabei stand auf der Brille der | |
Hersteller: die Heroldsberger Firma Schubert. Hätte die Polizei ins | |
Adressbuch geschaut, hätte sie gesehen, dass sich die Brillenmanufaktur | |
Schubert direkt neben dem langjährigen Quartier von Karl-Heinz Hoffmann und | |
seiner Wehrsportgruppe befand. Und die Brille gehörte, wie sich später | |
herausstellte, Hoffmanns Freundin Franziska Birkmann. Als man der Spur dann | |
mit großer Verspätung im März doch folgte, war es schon zu spät, um | |
Behrendt noch festzunehmen. Inzwischen war er mit Hoffmanns Hilfe in den | |
Libanon entkommen, wo Hoffmann seine mittlerweile in Deutschland verbotene | |
Wehrsportgruppe in einem Lager in der Nähe von Beirut fortführte. In den | |
ersten Tagen nach der Tat hätte die Polizei Behrendt noch im Schloss | |
Ermreuth angetroffen, wo Hoffmann mittlerweile lebte – gemeinsam mit | |
Birkmann und Behrendt, der so etwas wie sein Adjutant war. | |
Wie sicher ist überhaupt die Täterschaft Behrendts? Woher wissen wir das | |
alles? | |
Das ist im Grunde genommen das wirklich Schockierende: Alles Wissen über | |
den Tatablauf stammt ausschließlich von Hoffmann. Es gab ja keinerlei | |
Zeugen. Und die verwendete Waffe soll von Behrendt unmittelbar nach der Tat | |
beseitigt worden sein. Hoffmann behauptet, Behrendt habe ihm den Doppelmord | |
gestanden, als er am Abend in das Schloss zurückkam. | |
Haben Sie Zweifel, dass Behrendt tatsächlich der Mann war, der abgedrückt | |
hat? | |
Nach Aussagen von Mitgliedern der Wehrsportgruppe, die auch im Libanon | |
waren, hat Behrendt selbst dort sehr starke Anspielungen gemacht. Dass er | |
zumindest an dieser Tat beteiligt war, ist wahrscheinlich. Es gibt aber | |
offene Fragen. Beispielsweise: Wie ist Behrendt von Schloss Ermreuth zum 14 | |
Kilometer entfernten Tatort gekommen und wieder zurück? Hoffmann und | |
Birkmann haben ein Alibi. | |
Gibt es denn plausible Gründe, warum man es in der Wehrsportgruppe Hoffmann | |
speziell auf Shlomo Lewin abgesehen haben könnte? | |
Lewin hatte sich profiliert als ein Mahner und Warner vor der Entwicklung | |
neonazistischer Umtriebe. Und gerade im Nürnberger Raum war ja zu der Zeit | |
die Wehrsportgruppe Hoffmann sehr stark. Die rückten an den Wochenenden zu | |
Übungen aus. Das waren junge Leute unter Waffen, die militärisch trainiert | |
worden sind. Und die Gruppe wuchs beständig. Lewin hat sich damit nicht so | |
recht abgefunden. Als 1977 die politischen Freunde Hoffmanns in Nürnberg | |
einen „Auschwitz-Kongress“ planten mit Rednern aus der Szene der | |
Holocaust-Leugner, darunter Thies Christophersen, dem Autor des Buches „Die | |
Auschwitz-Lüge“, hat sich Lewin als Hauptredner einer antifaschistischen | |
Aktionsgemeinschaft auf dem Nürnberger Hauptmarkt sehr deutlich gegen diese | |
Geschichtsrevisionisten ausgesprochen. Es lag also nahe, dass Lewin von | |
Hoffmann und seinen Leuten als Feind betrachtet wurde. | |
Dennoch folgte dem Mord erstmal ein Rufmord. In der Presse wurde Shlomo | |
Lewin als zwielichtiger Typ hingestellt und als Mossad-Agent und | |
Hochstapler verdächtigt. Das erinnert etwas an die Morde des NSU, die man | |
anfangs [2][mit dem Unwort „Dönermorde“ als innertürkische Angelegenheit | |
abtun wollte]. | |
Allerdings. Ich bin unglaublich erschrocken, als ich mir zu Beginn der | |
Recherche die Berichterstattung über den Mordanschlag angeschaut habe. Zu | |
einem Zeitpunkt, als die beiden Opfer noch nicht einmal unter der Erde | |
waren, ging es nicht um die Suche nach den Tätern, sondern es wurde die | |
Integrität des Mordopfers in Zweifel gezogen. Das ist in der Tat eine | |
Parallele zu dem, was später die Familien der NSU-Mordopfer erfahren | |
mussten. Die Täter-Opfer-Umkehr scheint bei der Verfolgung rechter | |
Gewalttaten eine gewisse Tradition zu haben. | |
Laut Franz Josef Strauß waren Hoffmann und seine Gruppe ja „harmlose | |
Spinner“, der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum dagegen hat die | |
Gruppe im Januar 1980 verboten. Welche Rolle kommt Hoffmann tatsächlich zu? | |
Hoffmann war ideologisch sehr stark in die rechte Szene eingebunden und | |
wollte einen militärischen Arm aufzubauen, der ihm als Führer zu Gehorsam | |
verpflichtet war und früher oder später politisch hätte eingesetzt werden | |
können – so wie es die SA für die NSDAP war. Die Sympathien mit der | |
deutschen Wehrmacht der Nazi-Zeit waren offenkundig. Gleichzeitig war | |
Hoffmann jedoch sehr darauf bedacht, innerhalb der Grenzen der Legalität zu | |
bleiben, um den gezielten Aufbau der Gruppe nicht zu gefährden. Da hat sich | |
einer schon sehr genau darüber Gedanken gemacht hat, wie er früher oder | |
später auf den politischen Prozess Einfluss nehmen kann. Bemerkenswert und | |
besonders gefährlich war der Versuch, damit öffentlich Akzeptanz zu | |
erzielen, die Wehrsportgruppe quasi als eine hippe Vereinigung, eine hippe | |
Alternative auch für Jugendliche anzubieten. | |
Die Morde, bei denen sich ein Zusammenhang mit der Wehrsportgruppe | |
aufdrängt, aber auch zahlreiche andere rechtsextreme Anschläge vom Attentat | |
auf Rudi Dutschke bis zu dem Anschlag am Olympiaeinkaufszentrum in München | |
vor vier Jahren haben eines gemeinsam: [3][Sie wurden immer Einzeltätern | |
zugeschrieben.] | |
[4][Die Ideologie des Einzelkämpfers, des tapferen, treuen Recken] ist | |
natürlich etwas, was sehr gut in das rechte, faschistische Milieu passt. | |
Dieser Kult kann dem einzelnen auch mal den letzten Kick geben, zur Tat zu | |
schreiten. Den Einzeltäter als historische Figur des Rechtsterrorismus | |
haben aber diejenigen hervorgebracht, die diese Verbrechen aufzuklären | |
hatten. Die haben dazu geneigt, das ideologische, politische und | |
organisatorische Umfeld auszublenden, aus dem heraus diese Taten überhaupt | |
erst möglich wurden. | |
Waren die Ermittler zu faul? | |
Ich würde nicht von Faulheit sprechen, sondern von Erledigungsmentalität. | |
Man kriegt die Akte so geschlossen. Wenn ich an das Oktoberfestattentat | |
denke: da gab ein tot am Tatort vorgefundener Tatbeteiligter natürlich die | |
Gelegenheit, die Sache im kriminalistischen Sinne zu erledigen – indem man | |
alles, was diese Tat ausmacht, in diese eine Person hineinsteckt und den | |
Anschlag im Grunde auf einen erweiterten Selbstmord reduziert. Mit dem | |
lässt sich leichter umgehen als mit einem terroristischen Akt auf dem | |
Höhepunkt des Bundestagswahlkampfs – zumal den Ermittlern der | |
LKA-Sonderkommission „Theresienwiese“ unmittelbar nach der Tat von der | |
politischen Führung in der bayerischen Staatsregierung zu verstehen gegeben | |
wurde, man gehe davon aus, dass der Bombenleger als Einzeltäter gehandelt | |
habe. | |
Hoffmann wurde 1986 wegen Geldfälschung, Misshandlung seiner Leute und | |
diverser anderer Straftaten zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt, vom | |
Vorwurf der Mittäterschaft beim Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke | |
aber freigesprochen. Inzwischen ist er 83 Jahre alt und verbreitet weiter | |
seine kruden Thesen. Macht sich da bei Ihnen nach 40 Jahren Recherche Frust | |
breit? | |
Nein. Schließlich wurden ihm sehr deutlich seine Grenzen aufgezeigt. Und es | |
hat sich seither auch wirklich etwas getan. Nehmen wir den [5][Prozess | |
gegen den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke]: Da sieht man, dass das | |
Gericht sehr eingehend zu erforschen versucht, ob die Version des | |
Einzeltäters wirklich trägt. Da werden die Linien der Beeinflussung, der | |
Erzeugung des Hasses viel deutlicher untersucht. Sehr langsam scheint sich | |
das nun zu etablieren. | |
19 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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