# taz.de -- Plädoyers im Prozess zum Lübcke-Mord: „Mahnung gegen Hass“ | |
> In dem Prozess zum Mord an Walter Lübcke hält die Bundesanwaltschaft ihr | |
> Plädoyer. Stephan E. sei alleiniger Mörder des CDU-Politikers. | |
Bild: Staatsanwalt Daniel Otto (l.) und Oberstaatsanwalt Dieter Killmer (r.) wa… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Von einem Mord „historischer Dimension“ spricht der | |
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Dieter Killmer. Und er ist überzeugt: Der | |
Angeklagte Stephan E. habe in der Nacht zum 2. Juni 2019 den Kasseler | |
Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Terrasse seines Hauses allein | |
und aus nächster Nähe erschossen, weil der sich zur Verantwortung | |
Deutschlands für den Schutz von Geflüchteten bekannt habe. | |
Die Worte fallen am Dienstag, im Plädoyer der Bundesanwaltschaft im Prozess | |
zum Mord an Lübcke vor dem Frankfurter Oberlandesgericht. Als Mordmotiv | |
benennt Killmer Hass und Rassismus. Mit Lübckes Ermordung sei zum ersten | |
Mal in einem demokratischen Deutschland seit dem Attentat auf den | |
Außenminister Walther Rathenau ein Politiker Opfer einer [1][rechtsextremen | |
Gewalttat] geworden. Die Tat sei eine „Mahnung gegen Hass statt Respekt, | |
gegen Geschrei statt Diskurs“. | |
Die Bundesanwaltschaft macht Stephan E. zudem für einen Anschlag auf den | |
irakischen Geflüchteten Ahmed I. verantwortlich. Hinterrücks habe E. bei | |
einer zufälligen Begegnung im Januar 2016 in der Nähe einer Asylunterkunft | |
mit einem Messer auf den jungen Mann eingestochen. Einen Mann, der hier | |
Schutz und eine Chance gesucht habe, so Killmer. | |
Der Oberstaatsanwalt fordert lebenslange Haft mit anschließender | |
Sicherungsverwahrung für Stephan E. Es liege eine besondere Schwere der | |
Schuld vor. Der Mitangeklagten Markus H., ein früherer Freund von E., soll | |
wegen Beihilfe zum Mord für neun Jahre und acht Monate ins Gefängnis. | |
Killmer beantragt auch, dessen Haftbefehl wieder in Kraft zu setzen. | |
## „Tief verwurzelter Rassismus“ | |
Dass Stephan E. der Mörder von Lübcke ist, daran gibt es für Killmer keinen | |
Zweifel. Er verweist auf die DNA-Spuren am Hemd des Tatopfers. Und auf die | |
Geständnisse, mit denen E. sich allerdings in vier unterschiedlichen | |
Versionen zur Tat eingelassen habe. Das erste davon, nach seiner Festnahme | |
im Juni 2019, nennt Killmer „mehrheitlich glaubhaft“. | |
Demnach war die Ermordung des Regierungspräsidenten lange geplant. | |
Schlüsselerlebnis für die Wut und den Hass auf Lübcke sei eine | |
Veranstaltung in Kassel-Lohfelden im Jahr 2015 gewesen, bei der der | |
CDU-Politiker für eine Flüchtlingsunterkunft eingetreten war. Stephan E. | |
und Markus H. waren dabei anwesend. Auf der Videosequenz, die H. damals in | |
einer verkürzten Version ins Internet stellte, ist E.s spontane Empörung zu | |
hören. | |
Für Killmer hat Stephan E. seinen Fremdenhass auf Lübcke projiziert. Mit | |
fortschreitender Radikalisierung habe er den Mordplan geschmiedet, den | |
Tatort ausgekundschaftet und schießen geübt. „Wegen eines aus dem | |
Zusammenhang gerissenen Halbsatzes musste Walter Lübcke sterben.“ | |
Aus denselben Motiven habe E. auch den jungen Iraker Ahmed I. mit einem auf | |
beiden Seiten der Spitze angeschärften Messer in den Rücken gestochen und | |
ihn so schwer verletzt, dass er noch heute in therapeutischer und | |
ärztlicher Behandlung sei. Doch was die Bundesanwaltschaft und der Anwalt | |
von Ahmed I. als Mordversuch einstufen, wird in diesem Prozess wohl nicht | |
zu einer Verurteilung führen. In mehreren Beschlüssen hat der Senat | |
erkennen lassen, dass er die DNA-Spuren an der möglichen, bei E. gefundenen | |
Tatwaffe nicht für ausreichend beweiskräftig hält. | |
Auch der Mitangeklagte Markus H. wird möglicherweise nicht für all das | |
verurteilt, was ihm die Anklage ursprünglich vorwarf. Den Vorwurf der | |
[2][Mittäterschaft an Lübckes Ermordung] hat die Anklage jedenfalls fallen | |
gelassen. Nach zwei der vier von E. vorgetragenen Tatversionen war H. am | |
Tatort, zwischenzeitlich sollte er sogar den Todesschuss abgegeben haben. | |
Doch für H.s Anwesenheit am Tatort gibt es keinen Beweis. Zwischen Stephan | |
E. und ihm habe es aber ein stillschweigendes Einvernehmen gegeben, gegen | |
Lübcke vorzugehen, betont Killmer. Markus H. habe E. „Zuspruch und | |
Sicherheit“ gegeben und schließlich auch Zugang zu Waffen verschafft. | |
Deshalb sei er wegen Beihilfe zum Mord zu bestrafen. | |
Dass die beiden Angeklagten mit ihren Taten ihrem „tief verwurzelten | |
Rassismus und Fremdenhass“ folgten, daran lässt der Ankläger keinen | |
Zweifel. Beide Männer seien dem am Ende des Naziregimes von Heinrich | |
Himmler ausgerufenen „führerlosen Widerstand“ gefolgt – in der | |
Wahnvorstellung von einer Ausrottung der Deutschen und einer bevorstehenden | |
bewaffneten Auseinandersetzung. „Gehandelt haben sie weitgehend alleine“, | |
stellte Killmer fest. Es gebe aber ein Unterstützungsumfeld, „on- und | |
offline“. Der Bundesanwalt räumt nach seinem Schlussplädoyer ein: „Es | |
bleiben dunkle Flecken.“ | |
22 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Rechter-Terror/!t5007732 | |
[2] /Angeklagter-im-Luebcke-Prozess/!5730499 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Gerichtsverfahren | |
Anschlag | |
Antisemitismus | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
100 Jahre nach dem Mord an Rathenau: Für immer Außenseiter | |
Vor 100 Jahren wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau von | |
Rechtsextremen ermordet. Ein Spaziergang zu Erinnerungsorten in Berlin. | |
Prozess um den Mord an Walter Lübcke: Kampf um die Wahrheit | |
Seit Monaten kommt Irmgard Braun-Lübcke in den Saal 165. Sie hofft auf ein | |
hartes Urteil gegen die Mörder ihres Mannes – und könnte enttäuscht werden. | |
Plädoyer im Lübcke-Prozess: Der rätselhafte Markus H. | |
Stachelte er den Attentäter an oder war gar Mittäter? Im Lübcke-Prozess | |
bestreiten die Anwälte des Mitangeklagten die Vorwürfe und fordern | |
Freispruch. | |
Plädoyer im Lübcke-Prozess: Es soll nur Totschlag sein | |
Im Lübcke-Prozess plädieren die Verteidiger auf Totschlag statt Mord – mit | |
kühner Begründung. Für Stephan E. fordern sie einen Strafrabatt. | |
Plädoyer im Lübcke-Prozess verschoben: Das Urteil verzögert sich | |
Wegen eines rechtlichen Hinweises des Gerichts bat die Verteidigung um | |
Aufschub – und bekam ihn. Die Plädoyers werden erst in einer Woche | |
gehalten. | |
Pladoyers im Lübcke-Prozess: „Wo ist der wehrhafte Staat?“ | |
Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke rechnet dessen Familie mit dem Staat | |
ab. Die Hinterbliebenen fordern die Höchststrafe für die beiden | |
Angeklagten. | |
Urteil im Halle-Prozess: Täter weggesperrt, Umfeld unberührt | |
Der Attentäter von Halle muss lebenslang ins Gefängnis. Das Gericht hat | |
aber zu wenig Interesse am rechtsradikalen Nährboden der Taten gezeigt. | |
Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke: „Eine Erledigungsmentalität“ | |
19. Dezember 1980: In Erlangen werden zwei Menschen erschossen. Der | |
Journalist Ulrich Chaussy recherchiert zu der antisemitischen Tat, die bis | |
heute unaufgeklärt ist. | |
Angeklagter im Lübcke-Prozess: Eine Erinnerung, viele Fragen | |
War neben Stephan Ernst noch ein zweiter Täter am Mord von Walter Lübcke | |
beteiligt? Die Aussage von Lübckes Sohn deutet darauf hin. |