# taz.de -- Plädoyer im Lübcke-Prozess verschoben: Das Urteil verzögert sich | |
> Wegen eines rechtlichen Hinweises des Gerichts bat die Verteidigung um | |
> Aufschub – und bekam ihn. Die Plädoyers werden erst in einer Woche | |
> gehalten. | |
Bild: Der Angeklagte Stephan E. (rechts) mit seinem Anwalt Mustafa Kaplan | |
FRANKFURT/MAIN taz | Alle waren vorbereitet. Am Donnerstag sollte im | |
Prozess zur Ermordung von Walter Lübcke das Plädoyer des Hauptangeklagten | |
Stephan E. stattfinden, die vorletzte Etappe vor dem Urteil. Daraus aber | |
wurde nichts: Wegen eines rechtlichen Hinweises des Gerichts bat die | |
Verteidigung um Aufschub – und bekam ihn. Nun verschiebt sich auch das | |
Urteil, vom 26. auf den 28. Januar. | |
Bereits am Morgen hatten sich der Strafsenat des Oberlandesgerichts | |
Frankfurt/Main für eine Stunde zu einer Beratung zurückgezogen. Dann | |
erteilte Richter Thomas Sagebiel dem Angeklagten Stephan E. den rechtlichen | |
Hinweis, dass bei einem Urteil gegen ihn auch eine Sicherungsverwahrung | |
unter Vorbehalt ausgesprochen werden könnte. Das bedeutet, dass die | |
Sicherungsverwahrung, die an eine lebenslange Haft anschließen würde, auch | |
erst in der Haftzeit verhängt werden könnte. | |
Der Hinweis war eigentlich eine Formalie. Eine lebenslange Haft für den | |
[1][Mord an Walter Lübcke am 1. Juni 2019] stand für Stephan E. ohnehin im | |
Raum: Am Tatort fand sich seine DNA. Auch gestand er die Tat und begründete | |
sie mit Hass auf Lübcke, weil dieser auf einer Bürgerversammlung Gegner | |
einer Geflüchtetenunterkunft kritisiert hatte. Auch die Bundesanwaltschaft | |
hatte zuletzt [2][eine lebenslange Haft samt Sicherungsverwahrung] für E. | |
wegen des Mordes gefordert. | |
## Verurteilung auch für Messerangriff? | |
Der Hinweis des Gerichts könnte aber auch bedeuten, dass Stephan E. neben | |
dem Mord an Walter Lübcke noch für eine weitere Tat verurteilt wird: einen | |
Messerangriff auf den irakischen Geflüchteten Ahmed I. im Januar 2016. Auch | |
diese Tat ist im Prozess angeklagt. Anders als den Lübcke-Mord bestreitet | |
Stephan E. aber diese Tat und die Beweislage ist nicht ganz eindeutig. Eine | |
Verurteilung von E. dafür galt bisher als ungewiss. | |
Eine Sicherungsverwahrung wird aber in der Regel erst verhängt, wenn der | |
Betroffene mehrere, schwere Straftaten begangen hat und die Verübung | |
weiterer zu befürchten ist. Mit dem Messerangriff und dem Mord an Lübcke | |
wäre dies gegeben. Auch die Bundesanwaltschaft will, dass Stephan E. für | |
den Angriff auf Ahmed I. verurteilt wird. | |
Dass das Gericht aber nur eine „vorbehaltliche“ Sicherungsverwahrung | |
ankündigt, könnte indes auch bedeuten, dass Stephan E. am Ende gerade nicht | |
für den Messerangriff verurteilt wird. Sagebiel hatte bereits zuletzt | |
mitgeteilt, dass sein Senat diesen Anklagepunkt „kritisch“ sieht. | |
Mustafa Kaplan, der Verteidiger von Stephan E., erbat sich nach dem | |
rechtlichen Hinweis eine längere Beratungszeit, um sein Plädoyer eventuell | |
umzuarbeiten. Er kritisierte, dass der Hinweis erst „wenige Minuten“ vor | |
seinem Schlussvortrag erging. Und das Gericht gewährte Kaplan eine | |
großzügige Bedenkzeit: Das Plädoyer wurde abgesagt und um eine ganze Woche | |
auf den 21. Januar verschoben, der Prozesstag danach beendet. | |
Damit verschiebt sich auch das Restprogramm im Prozess. Der Mitangeklagte | |
Markus H. soll nun am 26. Januar plädieren. Zwei Tage später soll das | |
Urteil fallen. Einige Prozessteilnehmer kritisierten die Verschiebung: Es | |
hätte gereicht, der Verteidigung von Stephan E. eine längere Beratungszeit | |
am Donnerstag zu gewähren – und am Nachmittag das Plädoyer zu beginnen. Ein | |
Sprecher der Familie Lübcke nannte die Verzögerung eine Belastung für die | |
Angehörigen. | |
## Mutmaßlicher Mittäter könnte glimpflich davonkommen | |
Auch für den Mitangeklagten Markus H., ebenfalls ein Neonazi, war der Tag | |
ein Fingerzeig. Die Bundesanwaltschaft hatte für ihn eine Haftstrafe von | |
neun Jahren und acht Monaten gefordert, weil er psychische Beihilfe zum | |
Mord geleistet habe: Mit gemeinsamen Schießtrainings und Besuchen auf | |
rechten Demos habe er Stephan E. in seinem Mordplan bestärkt. Der Anwalt | |
der Familie Lübcke hatte in seinem Plädoyer gefordert, Markus H. gar als | |
[3][Mittäter für den Mord] zu verurteilen: Eine Reihe an Indizien spreche | |
dafür, dass er – wie von Stephan E. zuletzt behauptet hat – mit am Tatort | |
war. | |
Eine Verurteilung als Mittäter müsste das Gericht aber ebenfalls mit einem | |
rechtlichen Hinweis ankündigen, da dies von der Anklage abweicht. Diesen | |
Hinweis forderte der Lübcke-Anwalt Holger Matt auch ein. Hier aber blieb | |
der Senat am Donnerstag stumm. Damit scheinen die RichterInnen Markus H. | |
derzeit nicht als Mittäter zu sehen. | |
Der 44-Jährige könnte am Ende glimpflich davonkommen: Das Gericht hatte | |
Markus H. bereits im Oktober 2020 aus der U-Haft entlassen und verkündet, | |
dass gegen ihn – wegen der widersprüchlichen Aussagen von Stephan E. – | |
nicht mal mehr ein dringender Tatverdacht für eine Mordbeihilfe bestehe. | |
14 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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