# taz.de -- Plädoyer im Lübcke-Prozess: Der rätselhafte Markus H. | |
> Stachelte er den Attentäter an oder war gar Mittäter? Im Lübcke-Prozess | |
> bestreiten die Anwälte des Mitangeklagten die Vorwürfe und fordern | |
> Freispruch. | |
Bild: Verteidiger Björn Clemens (l.) und sein Mandant, der Mitangeklagte Marku… | |
FRANKFURT/MAIN taz | Seine Rolle ist das große Rätsel im Prozess zur | |
[1][Tötung von Walter Lübcke]: Markus H. ist der Beihilfe zum Mord | |
angeklagt. Der Rechtsextremist soll seinen einstigen Freund, den | |
Hauptangeklagten Stephan E., in dessen Mordplan am Kasseler | |
Regierungspräsidenten bestärkt haben. Die Opferfamilie sieht H. gar als | |
Mittäter, der bei der Tat mit auf der Terrasse stand. | |
Und Markus H.? Der schweigt zu den Vorwürfen in dem Prozess, der seit Juni | |
2020 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main über die Tötung von Walter | |
Lübcke verhandelt und kurz vor dem Urteil steht. Dafür aber machen am | |
Dienstag H.s Verteidiger Björn Clemens und Nicole Schneiders, zwei | |
Szeneanwälte, in ihrem Plädoyer klar, was sie von den Vorwürfen halten: | |
nichts. | |
„Er sitzt hier zu Unrecht“, sagt Clemens. „Er hat nichts zu bereuen, er w… | |
schlichtweg nicht beteiligt.“ Schneiders spricht von einem Exempel, dass an | |
Markus H. statuiert werden soll. Die Forderung der Anwälte: Freispruch und | |
Haftentschädigung. | |
Tatsächlich hatte das Gericht Markus H. bereits im Oktober [2][aus der | |
U-Haft entlassen] und erklärt, ein dringender Tatverdacht liege nicht mehr | |
vor. Die Anklage fordert dagegen neun Jahre und acht Monate Haft für den | |
44-jährigen Waffennarr. Die Hinterbliebenen von Walter Lübcke wollen als | |
Nebenkläger [3][gar lebenslange Haft]. | |
## AnwältInnen mit einschlägiger Vergangenheit | |
Markus H. habe den Hass auf Lübcke losgetreten, als er ein Video mit einem | |
Ausschnitt der Bürgerversammlung von 2015 hochlud, auf welcher der | |
CDU-Politiker rechte Störer zurechtwies. Er habe Stephan E. mit | |
Schießübungen und Teilnahmen an AfD-Demos aufgestachelt. Und er habe | |
auffällig schnell nach dem Mord alle Chats mit Stephan E. gelöscht. | |
Clemens und Schneiders – er einst bei den Republikanern aktiv, sie bei der | |
NPD – wischen die Vorwürfe weg. Die Teilnahme an AfD-Demos heiße noch keine | |
Radikalisierung. Was bei den Schießtrainigs geschah, sei ungeklärt. Chats | |
zu löschen heiße gar nichts, wenn man die Inhalte nicht kenne. Auch sei | |
Stephan E. seit jeher Rechtsextremist, habe selbst Arbeitskollegen agitiert | |
– eine Radikalisierung von außen sei gar nicht nötig gewesen. | |
Zudem, so betonen die Anwälte, gebe es bis heute keinen handfesten | |
Nachweis, dass Markus H. etwas von E.s Mordplan gewusst habe. Schon gar | |
nicht, dass er auf Lübckes Terrasse stand. Vielmehr sei das Handy von | |
Markus H. in der Tatnacht in einer Funkzelle fernab von Lübckes Wohnhaus | |
eingeloggt gewesen. | |
Tatsächlich gibt es von Markus H., anders als von Stephan E., keine | |
DNA-Spur am Tatort. Aber sein früherer Kumpel beteuerte an mehreren | |
Prozesstagen, H. sei dabei gewesen. Und auch der Anwalt der Lübckes listete | |
30 Indizien auf, die für H.s Mittäterschaft sprächen. | |
## Musterbeispiel „legaler Lebensführung“? | |
Clemens spricht von einem „herzlichen Einvernehmen“ zwischen Opfern und | |
Täter, beide versuchten Markus H. in die Tat reinzuziehen. Dabei sei es | |
doch sehr bemerkenswert, dass die Familie die Verteidiger von Stephan E. im | |
September 2020 sogar auf ihr Anwesen ließ, um den Tatort zu inspizieren. | |
Schneiders legt noch unverhohlener nahe, dass die Lübckes an einem | |
„Stockholm-Syndrom“ litten. | |
Die Aussagen von Stephan E. tun die Verteidiger ab. Dieser sei ein | |
notorischer Lügner, schiebe die Schuld stets auf andere. Markus H. lebe | |
dagegen straffrei, besitze seine Waffen legal. Der ebenfalls erhobene | |
Vorwurf eines Waffenverstoß sei daher haltlos, auch hier müsse es | |
Freispruch geben. „Er ist ein Musterbeispiel einer ganz legalen | |
Lebensführung“, sagt Clemens über seinen Mandanten. Eine kühne Beschreibung | |
für einen, bei dem Ermittler reihenweise NS-Devotionalien und eine | |
Zyklon-B-Dose als Stifthalter fanden. | |
Aber die Verteidiger holen politisch noch weiter aus. Clemens stellt den | |
Mord an Lübcke in eine Reihe mit den RAF-Morden, tut das Lübcke-Video von | |
Markus H. als „Kontrolle der Macht“ ab. Medien wirft er eine | |
Vorverurteilung vor, imitiert gehässig eine Fernsehjournalistin. Und er | |
widerspricht, dass das Urteil im Fall Lübcke ein Signal gegen Rechtsterror | |
sein müsse: Der Staat tue bereits genug gegen rechts, mit „schier | |
unzähligen Maßnahmen“. | |
Schneiders wiederum verteidigt die Ideologie des Angeklagten. Minutenlang | |
doziert sie über einen angeblich drohenden „Volkstod“ und eine „Umvolkun… | |
– gängige rechtsextreme Narrative. Für die Anwältin sind dies keine | |
Wahnvorstellungen, wie es die Ankläger nennen, sondern reale Bedrohungen. | |
Und dagegen gebe es eine „Pflicht zur Identitätswahrung“. | |
## „Unanständiges Grinsen“ | |
Im Saal verfolgen die Witwe und Söhne von Walter Lübcke die Ausführungen | |
mit starren Blicken. Sie tun dies auch, als die beiden Angeklagten ganz am | |
Ende noch einmal das letzte Wort erteilt bekommen. Stephan E. wendet sich | |
direkt an die Familie. „Ich möchte Ihnen nochmal, sagen, dass es mir sehr | |
leid tut, was ich Ihnen angetan habe“, sagt er mit gedrückter Stimme. Er | |
bereue die Tat „zutiefst“. | |
Und E. belastet ein letztes Mal noch seinen früheren Kumpel. „Dass, was ich | |
Ihnen hier gesagt habe, ist die Wahrheit.“ Das teils politische Plädoyer | |
von Markus H. sei dagegen „genau das, wovon ich wegkommen wollte“. | |
Auch Markus H. ergreift nun das Wort. Allerdings nur, um es bei einer | |
Anmerkung zu belassen: „Nicht alles was gesagt wurde, hat zur Aufklärung | |
beigetragen.“ Ansonsten schließe er sich seinen Anwälten an. | |
„Schwierig und schmerzhaft“ sei der Prozesstag für sie gewesen, lassen die | |
Lübckes im Anschluss durch ihren Sprecher erklären. Zwar hätten auch | |
Angeklagte, die „diesen Staat verachten und bekämpfen“, das Recht auf eine | |
angemessene Verteidigung. Das Plädoyer von Markus H. aber sei „im Stil | |
unangemessen und in der Sache fehlerhaft“ gewesen. Noch dazu komme es von | |
einem Angeklagten, der im Prozess „nichts, aber auch gar nichts“ zur | |
Wahrheitsfindung beigetragen habe und stattdessen durch „unanständiges | |
Grinsen“ provozierte. | |
Ob Markus H. auch am Ende noch grinsen kann, wird sich am Donnerstag | |
zeigen: Dann soll das Urteil fallen. | |
26 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Mordfall-Walter-Luebcke/!t5600830 | |
[2] /Prozess-um-Mord-an-Walter-Luebcke/!5718089 | |
[3] /Pladoyers-im-Luebcke-Prozess/!5739054 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Gerichtsprozess | |
Rechtsextremismus | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Reaktionen auf das Lübcke-Urteil: Kritik am zweiten Urteil | |
PolitikerInnen loben die Verurteilung von Stephan E. zu lebenslanger Haft. | |
Viele finden aber, dass es damit nicht getan ist. | |
Urteil im Prozess zum Lübcke-Mord: Lebenslang für Hauptangeklagten | |
Stephan Ernst wurde für den Mord an Walter Lübcke zu einer lebenslangen | |
Haftstrafe verurteilt. Der Mitangeklagte Markus H. erhält nur eine | |
Bewährungsstrafe. | |
Plädoyer im Lübcke-Prozess: Es soll nur Totschlag sein | |
Im Lübcke-Prozess plädieren die Verteidiger auf Totschlag statt Mord – mit | |
kühner Begründung. Für Stephan E. fordern sie einen Strafrabatt. | |
Pladoyers im Lübcke-Prozess: „Wo ist der wehrhafte Staat?“ | |
Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke rechnet dessen Familie mit dem Staat | |
ab. Die Hinterbliebenen fordern die Höchststrafe für die beiden | |
Angeklagten. | |
Plädoyers im Prozess zum Lübcke-Mord: „Mahnung gegen Hass“ | |
In dem Prozess zum Mord an Walter Lübcke hält die Bundesanwaltschaft ihr | |
Plädoyer. Stephan E. sei alleiniger Mörder des CDU-Politikers. |