# taz.de -- Ermittlung zu Oktoberfestattentat eingestellt: Viele Fragen offen | |
> Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat 1980 sind erneut eingestellt, | |
> das Motiv nun aber als rechtsextrem festgestellt worden. Werden die Opfer | |
> entschädigt? | |
Bild: Bis heute vieles ungeklärt: Szene nach dem Oktoberfestattentat vom 26. S… | |
MÜNCHEN taz | Es hat alles nichts geholfen. Mehr als 1.000 ZeugInnen | |
befragten die ErmittlerInnen nochmal, prüften 770 Spuren, durchforsteten | |
gut 300.000 Aktenseiten. Nun hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen | |
zum Oktoberfestattentat von 1980 wieder eingestellt – ohne neue | |
Erkenntnisse zu möglichen MittäterInnen. Aber mit einer neuen Bewertung: | |
Die Tat war eindeutig rechtsextrem. | |
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nannte es am Mittwoch „sehr | |
enttäuschend und bedauerlich, dass die Hintergründe des | |
Oktoberfestattentats knapp 40 Jahre nach der grausamen Mordtat trotz | |
intensiver Ermittlungen nicht mehr vollständig aufgeklärt werden konnten“. | |
Schuld seien die „massiven Verfehlungen“ in den Ermittlungen unmittelbar | |
nach der Tat. Reiter lobte aber die nun erfolgte Einstufung der Tat. „Es | |
ist wichtig, dass die Tat nun endlich auch offiziell als das benannt wird, | |
was sie war: ein rechtsextremer Terrorakt.“ | |
Der bayrische SPD-Innenexperte Florian Ritter beklagte die „schlampige | |
Arbeit der Ermittler unmittelbar nach der Tat“, die „nie mehr aufgearbeitet | |
werden konnte. Der Attentäter Gundolf Köhler sei „offensichtlich kein | |
Einzeltäter“ gewesen. Auch die Münchner Opferberatungsstelle Before sprach | |
von weiterhin „vielen offenen Fragen“ – allen voran, die nach der Rolle | |
rechter Netzwerke. | |
Am 26. September 1980 hatte der rechtsextreme Student Gundolf Köhler um | |
22.20 Uhr eine Bombe in einem Abfallkorb am Haupteingang zum Münchner | |
Oktoberfest gezündet. 13 Menschen starben, darunter auch Köhler selbst, | |
mehr als 221 wurden teils schwer verletzt. Es war der bis heute schwerste | |
rechtsterroristische Anschlag in der Bundesrepublik. | |
## Frühe Zweifel an Einzeltätertheorie | |
[1][Früh gab es Zweifel, ob Köhler allein handelte], umso mehr da er in | |
Kontakt mit der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann stand. Die | |
Ermittlungen aber wurden bereits 1982 eingestellt – und die ErmittlerInnen | |
blieben bei der Einzeltätertheorie. | |
2014 jedoch [2][meldete sich eine Zeugin], die angab, am Tag nach dem | |
Attentat in einem Münchner Aussiedlerheim im Schrank eines Bewohners | |
Flugblätter gesehen zu haben, die Köhler als Attentäter benannten – was | |
damals noch nicht öffentlich bekannt war. Daraufhin ließ die | |
Bundesanwaltschaft das bayrische Landeskriminalamt die Ermittlungen im | |
Dezember 2014 wieder aufnehmen. Nun, gute fünf Jahre später, sind sie | |
weitgehend ergebnislos wieder eingestellt. | |
Dabei hatten sich die ErmittlerInnen durchaus um Aufklärung bemüht, wie | |
schon die Zahl der nochmals befragten ZeugInnen und der Umfang der | |
untersuchten Spuren aufzeigt. Alle Verfassungsschutzbehörden, der BND, die | |
Stasi-Unterlagenbehörde, das BKA und alle Landeskriminalämter wurden um | |
Aktenzulieferungen gebeten. Dazu wurden 888 Altspuren nochmals überprüft. | |
Anhand von 2.600 Fotos, die JournalistInnen und Rettungskräfte 1980 vom | |
Tatort gemacht hatten, wurde der Eingang des Oktoberfestes mittels eines | |
3D-Modells virtuell rekonstruiert. | |
Hinweise auf MittäterInnen aber brachte all das nicht. „Nach Ausschöpfung | |
aller erfolgversprechenden Ermittlungsansätze“ gebe es keine ausreichenden | |
Anhaltspunkte für MittäterInnen oder AnstifterInnen, erklärte die | |
Bundesanwaltschaft am Mittwoch. Zwar sei eine Beteiligung weiter nicht | |
auszuschließen, die Ermittlungen hätten konkrete Beteiligung jedoch nicht | |
erhärten können. | |
## Abgetrennte Hand gehörte wohl Köhler | |
Laut Bundesanwaltschaft haben sich Aussagen von ZeugInnen, die Begleiter | |
von Köhler am Tatort gesehen haben wollen, nicht bestätigt. Auch bei | |
nachträglich identifizieren Personen habe sich kein Bezug zum Anschlag | |
ergeben. Eine am Tatort gefundene, bis heute nicht eindeutig zuordbare Hand | |
gehöre wohl zu Köhler, an dessen Leiche beide Hände fehlten. | |
Dies habe zwar „nicht mit letzter Gewissheit“ geklärt werden können, es | |
gebe aber auch keine Hinweise auf andere Personen mit abgetrennten Händen. | |
Auch die Aussage einer Frau [3][zu einem entsprechend behandelten Mann im | |
Klinikum Hannover habe sich nicht bestätigt]: Ein solcher Patient konnte | |
nicht gefunden werden. | |
Der Hinweis der Zeugin mit den Flugblättern im Spind im Münchner | |
Aussiedlerheim habe sich ebenfalls nicht bestätigt: In „entscheidenden | |
Punkten“, vor allem aber zeitlich, habe sich diese Aussage nicht erhärten | |
lassen, so die Bundesanwaltschaft. | |
Gleiches gelte für ZeugInnenaussagen, die Mitfahrer in Köhlers Auto gesehen | |
haben wollen, als dieser am Tattag von seinem Wohnort Donaueschingen nach | |
München führ. Dafür gebe es „keine Anhaltspunkte“. Zwei enge Freunde | |
Köhlers wiederum, denen der Student nachweislich von Überlegungen zu einem | |
Anschlag auf das Oktoberfest erzählte, um damit die bevorstehende | |
Bundestagswahl zu beeinflussen, hätten dies nicht ernst genommen, so die | |
Bundesanwaltschaft. | |
Auch eine [4][Beteiligung der Wehrsportgruppe Hoffmann an der Tat konnte | |
die Behörde nicht nachweise]n. Dass die Gruppe einen Tag nach der Tat mit | |
einem Fahrzeugkonvoi nach Österreich fuhr, sei ein Zufall gewesen. Auch die | |
Selbstbekenntnisse zweier Mitglieder, am Attentat beteiligt gewesen zu | |
sein, entsprächen nicht der Wahrheit: Beide Männer seien zur Tatzeit nicht | |
in München gewesen und hätten sich rein oberflächlich geäußert, einer | |
machte seine Aussage „erheblich“ betrunken. | |
Die Ermittler prüften auch eine mögliche Verwicklung sogenannter | |
Stay-Behind-Organisationen in das Attentat. Gemeint sind geheime | |
paramilitärische Einheiten westlicher Geheimdienste, die im Falle einer | |
sowjetischen Invasion hinter der Front einen Partisanenkrieg hätten führen | |
sollen. Auch hierbei habe sich nichts ergeben, so die Bundesanwaltschaft. | |
## Nach 40 Jahren klares Motiv: Rechtsextremismus | |
Neu indes ist die eindeutige Bewertung des Tatmotivs. „Gundolf Köhler | |
handelte aus einer rechtsextremistischen Motivation heraus“, hält die | |
Behörde nun fest. Dies folge aus seinen rechtsextremen Kontakten, seinen | |
Äußerungen vor der Tat, wie man die Bundestagswahl beeinflussen könne sowie | |
seinem „Wunsch nach einem dem nationalsozialistischen Vorbild folgenden | |
Führerstaat“. Persönliche Gründe, wie angeführte Depressionen oder | |
Liebeskummer, stellten diese „vorherrschende politische Motivation nicht in | |
Frage“. | |
Die Einschätzung hat Folgen: Denn nun können die Opfer auch Entschädigungen | |
für Betroffene extremistischer Gewalt vom Bundesamt für Justiz erhalten. | |
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums bestätigte Gespräche über eine | |
„Solidarleistung“ an die Opfer: „Wir sind der Auffassung, dass das Leid d… | |
Betroffenen des Oktoberfestattentats weitere Anerkennung durch den Staat | |
erfahren sollte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der | |
Generalbundesanwalt eine rechtsextremistische Motivation der Tat | |
festgestellt hat.“ | |
Laut Ministerium hatte die Stadt München den Opfern bereits 1981 und 1982 | |
eine Million DM gezahlt. 2018 habe die Stadt einen erneuten Opferfonds von | |
50.000 Euro zur Linderung der Folgen durch den Anschlag aufgelegt. Der | |
Fonds wurde 2019 um weitere 50.000 Euro aufgestockt. Münchens | |
Oberbürgermeister Reiter nannte am Mittwoch eine Entschädigung durch den | |
Bund „längst überfällig“. | |
SPD-Innenexperte Ritter fordert von der bayrischen Landesregierung | |
zusätzlich einen eigenen Opferfonds zum Oktoberfestattentat. Die bayerische | |
Regierung habe ein politisches Motiv des Attentats immer bestritten. Mit | |
dem Opferfonds könnte sie nun „ein Zeichen setzen“. | |
8 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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