# taz.de -- Journalist über Oktoberfestattentat: „Wir wissen fast gar nichts… | |
> Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat von 1980 stehen kurz vor der | |
> Einstellung. Für Journalist Ulrich Chaussy wäre das ein weiterer Skandal. | |
Bild: Westdeutsche Geheimdienstakten sollten gesichtet werden, sagt Ulrich Chau… | |
taz: Herr Chaussy, der Abend des 26. September 1980 ist eines dieser Daten, | |
wo viele noch genau sagen können, wo sie waren. Wo waren Sie? | |
Ulrich Chaussy: Auf dem Dach eines Rucksackhotels in Athen. Dass auf dem | |
Oktoberfest eine Bombe hochgegangen ist, habe ich am nächsten Tag von | |
anderen Gästen des Hotels erfahren. Ich selbst habe erst viel später | |
begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen. | |
Wie kam das? | |
Das war am Ende der ersten Ermittlungen, also im November 1982. Da habe ich | |
für den Bayerischen Rundfunk den Opferanwalt Werner Dietrich interviewt. | |
Bei dem Gespräch bin ich zum ersten Mal auf die Widersprüche aufmerksam | |
geworden, die es zu dem Ermittlungsergebnis gab. | |
Ihnen wurde ein Teil der Ermittlungsakten zugespielt. | |
Das stimmt. Anhand dieser Akten und meiner eigenen Nachrecherchen bei den | |
Zeugen konnte ich überprüfen, was die damals eigentlich untersucht haben – | |
und was offenkundig nicht interessierte, nicht weiterverfolgt und unter den | |
Teppich gekehrt wurde. | |
Im Abschlussbericht der ersten Ermittlungen hieß es, der 21-jährige Gundolf | |
Köhler habe die Tat allein begangen. Sie haben das früh bezweifelt. | |
Nicht nur ich. Der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann selbst äußerte | |
zu Beginn, er gehe nicht von einer Einzeltat aus. Aber bald wurde die | |
Einzeltätertheorie von der Soko Theresienwiese des bayerischen | |
Landeskriminalamts durch dessen „Schlussvermerk“ im Mai 1981 installiert. | |
Seit der Veröffentlichung des Schlussberichts des Generalbundesanwalts im | |
November 1982 glaubte außer den Ermittlern kein Mensch, der die Berichte | |
gelesen hatte, mehr daran, dass Gundolf Köhler – der Geologiestudent aus | |
Donaueschingen – sich diese Tat alleine ausgedacht, sie alleine | |
vorbereitet und ausgeführt hat. [1][Es gibt etliche Zeugenaussagen], die | |
darauf hinweisen, dass es Konflikte zwischen Köhler und den Leuten gegeben | |
hat, mit denen er zuletzt gemeinsam gesehen wurde. Der Hauptzeuge Frank | |
Lauterjung hat 20 Minuten lang ein Gespräch Köhlers mit zwei Männern | |
beobachtet. Ein anderer Zeuge hat kurz vor der Explosion gesehen, wie | |
Köhler mit den Insassen eines am Straßenrand haltenden Autos gestritten | |
hat. | |
Was bezweckten der oder die Täter? | |
Das wissen wir nicht. Wenn wir ehrlich sind: Wir wissen fast gar nichts | |
über diesen Anschlag. Der zweite der beiden Zeugen hat zum Beispiel | |
gesehen, wie Köhler diese Bombe ganz vorsichtig in einen Mülleimer legte. | |
Eine andere Zeugin erinnert sich daran, wie eine weitere Person an diesem | |
Mülleimer noch mit Köhler an der hellen Tüte zerrte, in der die Bombe war. | |
Diese Person hat sie dann noch im Schein der Stichflamme weglaufen sehen. | |
Es ist also völlig unklar, ob diese Bombe wirklich an diesem Ort in dieser | |
Form hat explodieren sollen. Ein paar hundert Meter weiter wäre Gelegenheit | |
gewesen für einen konventionellen terroristischen Anschlag: Im Käfer-Zelt | |
war politische Prominenz, Sportprominenz, alles versammelt. | |
Lässt denn der Zündungsmechanismus vermuten, dass Köhler tatsächlich ein | |
Selbstmordattentäter war? Oder hatte er vielleicht doch geplant, sich noch | |
vor der Detonation in Sicherheit zu bringen? | |
Die genaue Zündungsmethode der Bombe ist unbekannt. Allerdings weiß man, | |
dass der Sprengsatz sehr kompliziert war. Ein damals hinzugezogener | |
Sprengstoffexperte des BKA hat mir 2014 gesagt, dass Köhler mit den | |
Kenntnissen, die man bei ihm annehmen konnte, diese Bombe nicht gebaut | |
haben konnte. | |
Köhler war Sympathisant der Wehrsportgruppe Hoffmann, an seiner rechten | |
Gesinnung zweifelte niemand. Trotzdem sahen die Ermittler sein Motiv im | |
privaten Bereich. | |
Er soll wegen einer Nachricht über eine Prüfung, bei der er durchgefallen | |
ist und die er hätte wiederholen können, nach München gefahren sein, um | |
sich in die Luft zu sprengen. Weil er noch dazu sexuell frustriert und | |
sozial isoliert gewesen sei und keine Zukunftsperspektive gehabt habe. | |
Wer sagt das? | |
Dieses Psychogramm der Ermittler basiert auf der Aussage eines einzigen | |
Belastungszeugen. Übrigens eines Zeugen, der die Behörden erst wochenlang | |
belogen und bestritten hat, dass er einer der engsten Freunde Köhlers war. | |
Erst als man darauf gekommen ist, dass das nicht stimmen kann, hat er dann | |
diese Geschichte ausgepackt, die die Ermittler eins zu eins übernommen | |
haben. Kontrafaktische Indizien wurden überhaupt nicht berücksichtigt – | |
etwa, dass sich dieser Köhler völlig anders verhalten hat, dass er ein paar | |
Wochen vorher eine Anzeige aufgegeben hat, um als Schlagzeuger in einer | |
Band zu spielen, tatsächlich Mitspieler gefunden und mit ihnen zweimal die | |
Woche geprobt hat oder dass er die Hälfte seines Ferienlohns in einen | |
Bausparvertrag gesteckt hat. Es ist so grotesk. | |
Warum wurde die Spur zur Wehrsportgruppe Hoffmann nicht weiterverfolgt? | |
Da hilft es, einen Blick auf den politischen Kontext zu werfen: Bis zur | |
Bundestagswahl waren es gerade noch neun Tage, Kanzlerkandidat der Union | |
war Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der nach dem Anschlag | |
sofort auf Bundesinnenminister Gerhart Baum einschlug und ihm vorwarf, | |
moralische Schuld auf sich geladen zu haben, weil er die Sicherheitsdienste | |
mit seinem Bürgerrechtsgerede so verunsichert habe, dass die sich nicht | |
mehr trauten, radikalen Gruppen den Puls zu fühlen. Wenn jetzt | |
herausgekommen wäre, dass ausgerechnet die WSG Hoffmann mit dem Anschlag zu | |
tun haben könnte, wäre das für die CSU der politische GAU gewesen. | |
Schließlich war es Baum, der die Gruppe am 30. Januar 1980 verboten hatte, | |
und es war Strauß, der sie jahrelang hat groß werden lassen und sich sogar | |
noch über die Verbotsaktion lustig gemacht hatte: Man solle einen Mann, | |
der sonntags auf dem Land im Kampfanzug spazieren geht, in Ruhe lassen. | |
Die Ermittlungsfehler [2][waren also nicht nur Schlamperei]? | |
Da gibt es genug, was unter Schlamperei nicht mehr zu rubrizieren ist. Da | |
wäre zum Beispiel die Geschichte mit der schnittartig abgetrennten, nicht | |
verkohlten Hand, die in der Nacht der Tat erst von einem Polizisten | |
entdeckt wurde, der außerhalb des eigentlichen Suchkreises den Verkehr | |
leitete. Der delegierte die Bergung der Hand an einen Kollegen, und sie | |
wurde nachweislich noch in der Gerichtsmedizin untersucht, doch nach ein | |
paar Tagen war sie verschwunden. Im „Schlussvermerk“ des LKA wurde sie als | |
„Hand des Täters“ bezeichnet. Aber das LKA lieferte sie nicht in der | |
Auswahl der 501 wichtigsten Asservate an die Bundesanwaltschaft nach | |
Karlsruhe. Und auch im Archiv des gerichtsmedizinischen Instituts ist das | |
dazugehörige Gutachten verschwunden. Wer kann da noch an Schlamperei | |
glauben? | |
Was ist so interessant an dieser Hand? | |
Laut Gutachten konnte man die Hand keinem der bekannten Opfer des | |
Anschlages zuordnen. Ohnehin gab es außer Köhler niemanden mit abgerissenen | |
Händen, und zu Köhler passte die Hand serologisch nicht. Zudem hätte man | |
nach Auffassung der Sprengstoffexperten von Köhlers Händen, die den | |
Bombenkörper im Augenblick der Detonation umfassten, höchstens ein paar | |
verkohlte Knochenfragmente finden können. Wem also gehörte diese Hand? | |
Wie steht es um die anderen Asservate? Bei 501 Gegenständen könnte ja etwas | |
dabei sein, das mittels heutiger DNA-Analyse neue Erkenntnisse bringt. | |
Das ist ja das Nächste: Ich habe die Bundesanwaltschaft um die Untersuchung | |
dieser Asservate gebeten. Da kam die Antwort, dass diese zwischenzeitlich | |
vernichtet worden seien. | |
2014 hat der damalige Generalbundesanwalt Harald Range die Ermittlungen | |
wieder aufgenommen. | |
Das war wirklich eine große Überraschung. Da hat sicher auch das Auffliegen | |
des NSU im Jahr 2011 eine Rolle gespielt. | |
Inwiefern? | |
Es gab da schon eine Parallelität der Fälle. Das Oktoberfestattentat war | |
ja ein Beispiel dafür, wie die Behörden mit terroristischen | |
Gewaltverbrechen umgehen, die von rechts kommen könnten. In Karlsruhe hat | |
man mir dann auch bedeutet, dass die Wiederaufnahme auch damit zu tun hat, | |
dass die Justiz um Vertrauen ringt, das durch die NSU-Geschichte deutlich | |
erschüttert worden war. | |
Jetzt sollen die Ermittlungen ohne relevante neue Erkenntnisse kurz vor dem | |
Abschluss stehen. | |
Zumindest will die Sonderkommission des LKA den Eindruck erwecken, dass da | |
nichts mehr zu holen sei. Aber ich hoffe, dass der Generalbundesanwalt | |
darauf achtet, dass er sich nicht noch einmal wie in den Achtzigern von | |
einer Soko des bayerischen LKA manipulieren lässt. Es sind noch große Teile | |
des Ermittlungsauftrags überhaupt nicht abgearbeitet. Zum Beispiel sollen | |
jetzt erstmals auch westdeutsche Geheimdienstakten gesichtet werden. Die | |
Sache ist für mich offen. Sollte sie jetzt geschlossen werden, haben wir | |
einen neuen Skandal. | |
Erwarten Sie denn noch etwas? | |
Ich weiß zu wenig über den Stand der Ermittlungen. Aber ich bin | |
pessimistisch, dass die Soko in München die damals geführte Ermittlung | |
tatsächlich kritisch durchleuchten könnte. Mir hat der damalige Leiter der | |
Soko gesagt: „Wir sind nicht für Vergangenheitsbewältigung da.“ Dabei wä… | |
es aus meiner Sicht ein möglicher Schlüssel zur Aufklärung der Tat, wenn | |
man die Aktivitäten und Unterlassungen der ursprünglichen Ermittler mal | |
gründlich beleuchten würde: Wer hat da was und warum gemacht | |
beziehungsweise unterlassen? Ich bin sicher, das würde uns weiterhelfen. | |
Aber das scheint nicht gewollt zu sein. | |
16 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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