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# taz.de -- Leistungen für Asylbewerber: Kein Cash für die Unerwünschten
> Bayern rühmt sich, die Bezahlkarte besonders restriktiv umzusetzen. Bald
> könnten die Behörden Geflüchteten bundesweit das Leben so schwer machen.
Bild: Sollen möglichst wenig Bargeld haben: Geflüchtete im bayrischen Zirndorf
Martina Unger hat zwei Sorten Tee gekocht und Gebäck aufgetischt, als Mbuyi
Tshibola und Makengo Luzolo den Hügel hoch zum Kloster Schlehdorf kommen.
Dort unten, gleich in der Mitte des Dorfes, ist ihre Flüchtlingsunterkunft,
ein alter, heruntergekommener Bauernhof. Tshibola und Luzolo, die
eigentlich anders heißen, sind Asylbewerber, sie kommen aus der
Demokratischen Republik Kongo und leben seit zwei Jahren in Schlehdorf.
Martina Unger nennen sie „unsere Mama“, auch wenn die das Kompliment nicht
ganz so gerne hört.
Die Sozialpädagogin hat viele Jahre in München hauptberuflich mit
Flüchtlingen gearbeitet. Inzwischen ist sie im Ruhestand, hat sich hier
[1][im Kloster eingemietet] und kümmert sich ehrenamtlich aber weiterhin um
Flüchtlinge. Im Sommer ist es oft der beschauliche Garten des Klosters, der
Unger als Besprechungszimmer dient. Hier, im Schatten eines Baumes, trifft
sie sich mit Flüchtlingen wie Tshibola und Luzolo, die in der Gemeinde
untergebracht sind. Unger berät sie dann beispielsweise beim Umgang mit
Behörden. Dieser Tage ist es vor allem ein Thema, das die Flüchtlinge
beschäftigt: die neue Bezahlkarte.
Nach einer dreimonatigen Pilotphase in den Landkreisen Traunstein,
Fürstenfeldbruck, Günzburg und der Stadt Straubing ist die Karte seit Juni
in allen 96 Landkreisen und kreisfreien Städten Bayerns flächendeckend
eingeführt. Alle Asylbewerber*innen sowie Geduldete in den ersten 36
Monaten in Deutschland bekommen ihre Geldleistungen seitdem nicht mehr bar
ausgezahlt oder auf ein Konto überwiesen, sondern auf eine spezielle Karte
gesendet. Die funktioniert wie eine reguläre Debitkarte einer Bank –
allerdings eine mit zahlreichen Einschränkungen. Transaktionen ins Ausland
etwa sind mit den Karten gar nicht möglich, Überweisungen im Inland müssen
die Behörden freigegeben. Im Internet und bei Glücksspielanbietern lässt
sich nicht zahlen. Auch geografische Einschränkungen sind möglich. Und für
Bargeldabhebungen gilt eine Grenze von 50 Euro im Monat.
„Schneller und härter“ als in den anderen Ländern werde die bayerische
Karte kommen, hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Februar
angekündigt. Zumindest bei der Geschwindkeit hat er recht. Rund 46.000
Karten waren Ende Juli in Bayern im Umlauf. Das Kartenmodell, das die
übrigen Bundesländer großenteils gemeinsam planen, steckt aktuell noch in
Vergabeverfahren, auch wenn in manchen Ländern erste Versuche bereits
laufen. Erst im Herbst ist mit der flächendeckenden Einführung zu rechnen.
Ob das bayerische Modell aber tatsächlich „härter“ ist als das, was die
anderen Länder vorhaben, ist fraglich. Im Verlauf des Frühjahrs haben sich
die Vorstellungen von Söder und den anderen Ministerpräsidenten angenähert,
sodass deren Pläne dem System in Bayern inzwischen zum Verwechseln ähnlich
sind. In bayerischen Gemeinden wie Schlehdorf lässt sich deshalb schon
jetzt besichtigen, was Asylbewerber*innen bald auch anderswo neue
Probleme machen dürfte.
## Die Apotheke und der Bäcker nehmen die Karte nicht
Im Klostergarten fasst Tshibola, der mit seiner Frau und drei Söhnen in
Schlehdorf lebt, das so zusammen: „Wir haben Schwierigkeiten mit dieser
Karte.“ Und erzählt gleich ein Beispiel: Vor zwei Wochen habe sein
mittlerer Sohn plötzlich einen schlimmen Husten bekommen. In Schlehdorf
gibt es keine Apotheke. Also sei er mit dem Bus in das fünf Kilometer
entfernte Kochel gefahren und dort in die Apotheke gegangen, um Hustensaft
zu kaufen. Aber der Apotheker habe ihn sofort weitergeschickt: Die
Bezahlkarte funktioniere bei ihm nicht. „Mein Sohn hat dann die ganze Nacht
durchgehustet.“ Erst am nächsten Tag konnte der Kinderarzt in Murnau
helfen.
Oder die Sache mit den Muffins. Der Kindergarten, den Tshibolas älterer
Sohn besucht, hat gerade ein Sommerfest veranstaltet. Jeder sollte etwas
mitbringen. Tshibolas Frau hat beim Bäcker in Kochel Muffins für 45 Euro
bestellt. Er sollte das Gebäck dann abholen – und machte dieselbe
Erfahrung: „Bezahlkarte? Nehmen wir nicht.“ Tshibola hatte nur noch 20 Euro
Bargeld. Wäre nicht zufällig eine Nachbarin aus Schlehdorf vorbeigekommen
und hätte ihm das fehlende Geld geliehen, wäre die Familie bei dem Fest mit
leeren Händen dagestanden.
Die Bezahlkarte in Bayern basiert auf dem bekannten Mastercard-System. In
einem Infobrief zur Karte schreibt das bayerische Innenministerium dann
auch: „Mit der Bezahlkarte kann in allen Geschäften, in denen Mastercard
akzeptiert wird, bezahlt werden.“ Doch genau da liegt das Problem – wie
jede*r weiß, der oder die schon einmal versucht hat mit einer Kredit- oder
Debitkarte das Eis am Kiosk zu bezahlen. Das verweigern kleinere Geschäfte
oft, weil ihnen die Transaktionsgebühren zu hoch sind oder ihnen die Miete
für ein Bezahlterminal zu teuer ist.
Nachfrage beim bayerischen Innenministerium: Ist man sich dort bewusst,
dass die Einkaufsmöglichkeiten durch die Karte stark begrenzt werden, sie
teilweise in Läden gar nicht akzeptiert wird? „Heutzutage lässt sich fast
überall mit Karte zahlen“, antwortet eine Ministeriumssprecherin, „und die
Verbreitung wird weiter zunehmen.“ Und für den Einkauf in Geschäften, die
keine Karte akzeptierten, gebe es ja schließlich die 50 Euro Bargeld, die
ein Erwachsener maximal abheben kann.
50 Euro – das reicht für die Muffinbestellung fürs Sommerfest. Das reicht
auch für einen Hustensaft. Für beides wird es eng. Und wenn es aufgebraucht
ist, lassen sich Gebrauchtsachen auf dem Flohmarkt genauso wenig kaufen wie
eine Portion Pommes für die Kinder im Freibad. Das Bargeldlimit ist deshalb
eine der zentralen Stellschrauben für die Bezahlkarten. Je niedriger das
Limit, desto höher die Hürden, vor denen die Geflüchteten stehen.
## Obergrenze: 50 Euro
Während in Bayern schnell klar war, dass die Obergrenze bei nur 50 Euro
liegen sollte, gab es in anderen Landesregierungen Streit. Insbesondere die
Grünen, von denen viele die Karten am liebsten ganz verhindert hätten,
setzten sich dabei für eine möglichst hohe Obergrenze ein.
Am Ende mussten sie sich jedoch geschlagen geben: Die
Ministerpräsident*innen einigten sich im Juni auf ein Limit von 50
Euro wie in Bayern. Mit nur 10 bis 25 Euro Bargeld für jedes Kind dürften
die Regelungen am Ende sogar schärfer ausfallen als in Bayern, wo auch
Minderjährigen 50 Euro Bargeld zustehen. Nur Thüringen, Rheinland-Pfalz und
Bremen planen zumindest etwas mehr Spielraum ein.
Bargeld ist auch deshalb für Asylbewerber*innen so wichtig, weil die
Gemeinschaftsunterkünfte, in denen viele von ihnen leben, oft abgeschieden
liegen. Schlehdorf etwa ist eine kleine Gemeinde im äußersten Süden der
Republik, gut 1.200 Menschen leben hier am Kochelsee. An Ruhe und Idylle
fehlt es hier nicht, an Infrastruktur schon eher. Hin und wieder kommt ein
Bus vorbei. Einkaufsmöglichkeiten findet man hier so gut wie keine. Es gibt
einen kleinen Dorfladen, der allerdings keine Kreditkarte und damit auch
die Bezahlkarte nicht akzeptiert. Der Hofladen des Klosterguts nimmt die
Karte zwar, das dortige Biosortiment ist jedoch für die Asylbewerberinnen
und Asylbewerber viel zu teuer.
So können die Flüchtlinge vor Ort de facto nicht mehr einkaufen, sondern
müssen in den Supermarkt nach Kochel. Das Problem, so erzählen Luzolo und
Tshibola: Der ist auch nicht gerade günstig und das Sortiment bei vielen
Produkten klein. Bisher sind sie daher oft in das zwölf Kilometer entfernte
Murnau gefahren, um etwa Windeln und Babybrei zu kaufen. Doch auch diese
Möglichkeit fällt nun erst mal aus. Denn die Gültigkeit der Bezahlkarte ist
aktuell auf den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen beschränkt, und Murnau
liegt schon im Nachbarkreis Garmisch-Partenkirchen. Ab und zu mal wie
früher bei afrikanischen Läden in München einzukaufen geht deshalb fürs
Erste auch nicht mehr.
Nun sind dies jedoch Einschränkungen, die selbst Söders „harte“ Bezahlkar…
gar nicht vorsieht, zumindest nicht für Flüchtlinge, die schon so lange in
Deutschland sind wie Luzolo und Tshibola. Denn die Gültigkeit der Karte auf
den jeweiligen Landkreis einschränken darf das Landratsamt nur im Fall
residenzpflichtiger Asylbewerber, die den Kreis ohnehin nicht verlassen
dürfen. Diese Residenzpflicht gilt in der Regel aber nur in den ersten drei
Monaten des Aufenthalts oder so lange, wie die Asylbewerber*innen in
Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen.
## Landratsamt ist zufrieden
Dezentral auf dem Land untergebrachte Flüchtlinge, wie jene 21 in
Schlehdorf, sind meist schon viel länger im Land und von dieser Vorgabe
deshalb nicht betroffen. Zudem sollte das Bargeldlimit für Familien mit
Kindern erhöht werden, unabhängig vom Alter sollten jedem und jeder 50
Euro bar zustehen. In Bad Tölz-Wolfratshausen werden derzeit aber nur
Erwachsene berücksichtigt.
Wieso ist das in Bad Tölz-Wolfratshausen so? Im Landratsamt versteht man
die Aufregung nicht. Im Prinzip gelte das ja schon, man habe nur im Sinne
einer zügigen Ausgabe der Karten darauf verzichtet, in jedem Fall zu
prüfen, ob Residenzpflicht bestehe und wie viele Kinder eine Familie habe.
Sobald die Betroffenen das nächste Mal in der Behörde vorsprächen, könnten
die Karten umgestellt werden.Man habe sich ohnehin dafür entschieden, dass
die Leistungsempfängerinnen und -empfänger mindestens einmal monatlich ins
Amt kommen müssen, um die Karte aufzuladen. So stelle man einen
kontinuierlichen Kontakt mit den Menschen sicher. Für Tshibola und Luzolo
bedeutet dies künftig regelmäßig zusätzliche Fahrten ins eine Stunde
entfernte Bad Tölz.
Insgesamt ist man im Landratsamt zufrieden. Die Einführung der Bezahlkarte
sei reibungslos verlaufen, heißt es. Nur einmal habe es Schwierigkeiten
gegeben, als eine Karte wegen einer falsch eingegebenen PIN eingezogen
wurde. Ähnlich beurteilt Innenstaatssekretär Sandro Kirchner (CSU) die
bayernweite Situation. Und eine Sprecherin des Landesinnenministeriums
teilt mit „Das bayerische Bezahlkartensystem funktioniert und erfüllt
seinen Zweck der Reduzierung des zur Verfügung stehenden Bargelds gut.“
Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sehen die Karte ganz anders.
Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, spricht von
einem „Diskriminierungsinstrument“, das massiv in das Privatleben der
Geflüchteten eingreife und ihnen „hohe Hürden“ in den Weg stelle. Ihr Ziel
sei es, Geflüchtete gezielt davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen.
Das sei aber „Quatsch“, so Judith. „Niemand, der vor Folter oder Krieg
fliehen muss, lässt sich davon abschrecken.“ Und Katharina Grote vom
bayrischen Flüchtlingsrat sagt: „Das ist nur rechtspopulistische
Symbolpolitik, die die Leute gängelt und diskriminiert.“
Tatsächlich geben sich die Fürsprecher*innen der Karten eine große
Mühe, den Eindruck zu zertreuen, sie wollten Flüchtlinge durch möglichst
schlechte Lebensbedingungen abschrecken. Sie argumentieren, dass viele nur
aus finanziellen Gründen nach Deutschland kommen – durch Bezahlkarten lasse
sich das verhindern. Denn Bargeld, so die Begründung, sei ein sogenannter
Pull-Faktor für irreguläre Migration.
## Widerlegte Pull-Faktoren-Theorie
Kritiker*innen dagegen halten die Theorie von Pull-Faktoren, die
Geflüchtete anziehen, für längst wissenschaftlich widerlegt. Niemand begebe
sich auf die oftmals lebensgefährliche Flucht, nur weil andernorts
staatliche Leistungen winken, die dort gerade reichen, um das
Existenzminimum zu decken. Sie berufen sich dabei nicht nur auf
Forscher*innen an Universitäten, sondern auch auf eine Studie des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von 2013. Auch der
Wissenschaftliche Dienst des Bundestags stellte 2020 fest, die These von
Pullfaktoren sei grob vereinfachend, „vielfach empirisch widerlegt“ und
nicht geeignet, „die wechselhafte Dynamik des Migrationsgeschehens zu
verstehen“.
Auf einer ähnlich wackeligen Basis steht die Behauptung der
Befürworter*innen, dass Asylbewerber*innen das Geld, das sie erhalten,
nicht wie vorgesehen nutzten. Statt es für sich selbst auszugeben,
schickten sie es ins Ausland, womöglich gar um Schulden bei den Schleppern
zu bezahlen, die sie hergebracht haben, oder um andere Menschen herzuholen.
Dagegen spricht, dass die Leistungen für Asylbewerber*innen so knapp
bemessen sind, dass kaum etwas übrig bleibt, wenn die Lebenshaltungskosten
bezahlt sind. 460 Euro monatlich bekommt eine alleinstehende
Asylbewerber*in für die ersten drei Jahre in Deutschland. Das ist noch
einmal deutlich weniger als das Bürgergeld, das derzeit bei monatlich 536
Euro für eine Einzelperson liegt.
Dazu kommt, dass es schlicht keine belastbaren Zahlen dazu gibt, wie viel
Geld von Asylbewerber*innen ins Ausland überwiesen wird. Auf Nachfrage
der taz beruft sich das bayerische Innenministerium auf eine Schätzung der
Weltbank, wonach 17 Milliarden Dollar ins Ausland „rücküberwiesen“ würde…
Welcher Anteil dieser Summe von Asylbewerbern stamme, wisse man zwar nicht,
es sei aber davon auszugehen, dass es sich um „Rücküberweisungen in nicht
unwesentlicher Höhe“ handele. Außerdem zitiert man einen Artikel des Focus,
der sich auf die Bundesbank bezieht und für 2022 Überweisungen von 407
Millionen Euro nach Syrien, 162 Millionen Euro nach Afghanistan und 120
Millionen Euro in den Irak anführt. Summen, die der Zeitschrift zufolge
„mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Sozialleistungen für Flüchtlinge“
stammten.
Makongo Luzolo und Mbuyi Tshibola im Klostergarten gelingt es nicht, die
Behauptung der gigantischen Geldströme in die Herkunftsländer mit ihrer
Lebensrealität gedanklich in Einklang zu bringen. Tshibola würde seinen
Eltern im Kongo eigentlich gern hin und wieder einen kleinen Betrag zur
Unterstützung überweisen. Doch mit den Sozialleistungen komme seine eigene
Familie in Deutschland selbst gerade so über die Runden.
Luzolo findet die Vorstellung besonders absurd, mit dem Geld könnten
weitere Schleuser bezahlt werden. Er habe damals sein Haus und seinen
kleinen Supermarkt verkauft, um die eigene Flucht zu finanzieren. 13.000
US-Dollar habe er einem Schleuser dafür bezahlt, dass der ihn und seine
Frau nach Belarus brachte. Dort musste das Paar jedoch feststellen, dass es
falschen Versprechungen aufgesessen war, und floh weiter nach Lettland, wo
es für ein Jahr und acht Monate inhaftiert wurde. Aus der Haft entlassen,
verkaufte Luzolo das Letzte, was sie hatten: sein Handy und den Schmuck
seiner Frau, um einen weiteren Schleuser dafür zu bezahlen, dass er sie
nach Deutschland brachte. Luzolo ist sich sicher: Mit den paar Euro, die er
vielleicht von seinen Sozialleistungen entbehren könne, könne doch niemand
die Flucht etwa eines Verwandten finanzieren. Und selbst wenn, fragt
Katharina Grote vom Flüchtlingsrat: Wer es nicht tolerieren könne, dass
sich ein Flüchtling mal 50 Euro vom Mund abspare, um seine im Elend lebende
Familie in der Heimat ein wenig zu unterstützen, der habe ohnehin jeglichen
moralischen Kompass verloren.
## Gerichte fordern Nachbesserungen
Auf den moralischen Kompass von Ministerpräsident Söder kann sie dabei
freilich nicht hoffen. Der bekräftigte kürzlich im Sender WeltTV: „Wenn man
Essen bekommt, wenn man Wohnung bekommt, wenn man Kleidung bekommt, wenn
man hygienische Artikel alles bekommt, dann ist es wichtig, dass man nicht
zusätzlich alles in großen Geldsummen hat, die man dann vielleicht sogar
woandershin überweisen kann.“
Es gibt noch ein weiteres Argument, das Befürworter*innen der Karte
gern anbringen: Die Karte entlaste die Behörden. Immerhin müssen die nicht
mehr die Auszahlung von Bargeld organisieren, sondern nur noch simple
Überweisungen vornehmen. Doch diesen behaupteten Vorteil ziehen jüngste
Gerichtsentscheidungen in Zweifel. Zwar stützen Richter*innen bisher
durchweg das Grundprinzip der Karte, doch in entscheidenden Detailfragen
fordern sie Nachbesserungen.
In Hamburg, wo es die Karte bisher nur für Geflüchtete in
Erstaufnahmeeinrichtungen gibt, sprach das Sozialgericht einem Paar und
ihrem Kind im Eilverfahren ein Anrecht auf deutlich mehr Bargeld zu als die
vorgesehenen 110 Euro. Eine starre Grenze ohne Berücksichtigung der
persönlichen und örtlichen Umstände sei rechtswidrig. Und das Nürnberger
Sozialgericht entschied im Eilverfahren letzte Woche, dass die Behörden
„zwingend Ermessen auszuüben“ haben, wenn es darum geht, wie zwei
Asylbewerber*innen ihr Geld erhalten. Konkret müssen die örtlichen
Besonderheiten und unterschiedlichen Lebenslagen der Klägerinnen
berücksichtigt werden, damit diesen keine „wesentlichen Nachteile“ drohen.
Sollten diese Entscheidungen im Hauptsacheverfahren bestätigt werden,
dürfte das über die Einzelfälle hinaus Konsequenzen haben. Denn dann müssen
künftig wohl die Bedürfnisse der Asylbewerber*in einzeln geprüft werden
– wodurch gewaltiger Verwaltungsaufwand droht. Und der könnte wiederum das
ganze Konzept Bezahlkarte infrage stellen, weil er die Behörden schlicht
überfordert.
6 Aug 2024
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## AUTOREN
Dominik Baur
Frederik Eikmanns
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