| # taz.de -- Klimakonferenz in Aserbaidschan: „Ein Versuch, Krieg reinzuwasche… | |
| > Der nächste Weltklimagipfel findet in Aserbaidschan statt – trotz fataler | |
| > Menschenrechtslage, Aggressionen gegen Armenien und der Gunst Russlands. | |
| Bild: Kann nicht zum Weltklimagipfel in Aserbaidschan: Aktivist Arschak Makitsc… | |
| Bonn taz | Genau neun Jahre ist es jetzt her, dass Emin Husejnow ins | |
| Schweizer Exil fliehen musste. „Staatenlos“ steht auf dem blauen Pass, den | |
| der Journalist und Menschenrechtsaktivist aus seiner Jackentasche zieht. | |
| Dabei hat Husejnow sehr wohl eine Heimat: [1][Aserbaidschan], das | |
| Gastgeberland der nächsten Weltklimakonferenz COP29, die im November in der | |
| Hauptstadt Baku stattfindet. Er gehört zu den schärfsten Kritikern des | |
| autoritären Regimes von Präsident Ilham Alijew – und kann deshalb nicht | |
| dorthin zurück. | |
| Im Vorfeld des Klimagipfels hat Aserbaidschan im vergangenen Jahr | |
| mindestens 25 unabhängige Journalist*innen und Aktivist*innen | |
| festgenommen, berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. | |
| Fast alle von ihnen sind noch immer in Haft. Darunter ist der behinderte | |
| Aktivist Famil Khalilow, dem Drogenhandel vorgeworfen wird – obwohl seine | |
| beiden Hände gelähmt sind. | |
| Husejnow hält sein Foto beim Vorbereitungstreffen für den Klimagipfel hoch, | |
| das kürzlich in Bonn stattgefunden hat, am Standort des Klimasekretariats | |
| der Vereinten Nationen. Für ihn ist klar: In Aserbaidschan kann es keine | |
| ambitionierten Klima-Gespräche geben. | |
| ## Finanzverhandlungen bei korruptem Gastgeber | |
| Dabei sind die Herausforderungen für die COP29 groß: Die fast 200 Staaten | |
| sollen sich dort auf einen neuen finanziellen Rahmen einigen, um | |
| Klimahilfen in Billionenhöhe für den globalen Süden einzusammeln, der | |
| massiv unter der Klimakrise leidet. Doch die Chancen stehen schlecht – | |
| nicht nur, weil das Treffen in Bonn weitgehend ergebnislos verlief. | |
| „Präsident Alijew will seine politische Existenz auf ewig sichern. Dazu | |
| braucht er vermehrt ausländische Abnehmer für die Öl- und Gasindustrie“, | |
| warnt Husejnow. „Klimawandel oder Umweltschutz sind ihm völlig egal.“ Es | |
| sei „ohnehin ein Hohn“, gerechte Klimafinanzierung ausgerechnet in einem | |
| Land zu diskutieren, das zu den korruptesten der Welt gehört. Im Ranking | |
| von Transparency International liegt Aserbaidschan auf Platz 154 von 180 | |
| Staaten. | |
| Eine Äußerung Alijews auf dem Petersberger Klimadialog, der im April in | |
| Berlin stattfand, scheint Husejnows Zweifel zu bestätigen: Dort sprach der | |
| Autokrat im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz von einem „Geschenk | |
| Gottes“, dass Aserbaidschan Öl und Gas habe. „Wir sollten daran gemessen | |
| werden, wie wir es für unsere Entwicklung einsetzen“, sagte er. | |
| Der russische Aktivist Arschak Makitschjan, der ursprünglich aus Armenien | |
| kommt, kritisiert Europa für die strategische Gas-Partnerschaft mit | |
| Aserbaidschan. Die gebe es trotz der Erfahrungen mit Russland, das die | |
| Abhängigkeit von fossiler Energie jahrzehntelang zur Erpressung genutzt | |
| habe. „Es ist Wahnsinn: Wir machen denselben Fehler, [2][russisches Gas | |
| jetzt über Umwege nach Europa einzukaufen]“, schüttelt er den Kopf. | |
| Denn Aserbaidschan könne seine Lieferverpflichtungen allein kaum erfüllen | |
| und beziehe immer mehr Gas aus Russland, was dann nach Europa | |
| weitertransportiert werde. „Ich weiß, wie übel das ist. Ich bin Experte für | |
| Diktaturen.“ | |
| ## „Ohne Menschenrechte, Demokratie und Teilhabe“ | |
| Makitschjan wurde in Armenien geboren, zog mit seiner Familie schon im | |
| Kleinkindalter nach Russland. Der Musiker erlangte Bekanntheit als einziger | |
| „Fridays for Future“-Klimaaktivist Russlands – bis Putin 2022 die Ukraine | |
| angriff. Heute lebt er in Berlin. „Ohne Menschenrechte, Demokratie und | |
| Teilhabe können wir nicht für Klimagerechtigkeit kämpfen“, sagt er. In Bonn | |
| macht er auf einen verdrängten Konflikt Bakus aufmerksam. „Für mich ist die | |
| COP der Versuch, Aserbaidschans Krieg gegen die Armenier reinzuwaschen.“ | |
| Eine militärische [3][Offensive Aserbaidschans in der überwiegend von | |
| ethnischen Armenier*innen bewohnten Region Bergkarabach im September | |
| 2023] endete mit der Vertreibung von mehr als hunderttausend Menschen. | |
| Armenier*innen dürfen nicht mehr nach Aserbaidschan einreisen, auch | |
| nicht zum Klimagipfel. | |
| Warum findet die COP unter diesen Vorzeichen in Baku statt? Einerseits | |
| bestehen Friedensverhandlungen mit Armenien, ein Top-Berater Alijews sprach | |
| vor einigen Wochen sogar von einer „COP des Friedens“, den die Konferenz | |
| bedeuten könne. | |
| Eine andere Antwort: Aserbaidschan wurde als Kandidat nicht abgelehnt. | |
| Hintergrund ist, dass die Klimakonferenz jedes Jahr in einer anderen Region | |
| der Welt tagt, um den Einfluss der Gastgeberländer annähernd gleich zu | |
| verteilen. Dieses Jahr ist ein Land des ehemaligen Sowjetimperiums an der | |
| Reihe. [4][EU-Staaten als Gastgeber kamen für Russland nicht infrage], | |
| Russland und Belarus dagegen nicht für die Europäer. Also fiel die | |
| Entscheidung auf den Staat im Kaukasus. | |
| Nach Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist Aserbaidschan | |
| bereits das dritte Land in Folge mit bedenklicher Menschenrechtslage. Die | |
| Vereinten Nationen garantieren auf ihrem Konferenzgelände eine gewisse | |
| Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Außerhalb des UN-Geländes gilt das | |
| nicht. | |
| ## „Brücke zwischen Ost und West“ | |
| Die Klimaaktivistin Maria Reyes befürchtet, dass aufgrund der | |
| Einschränkungen auch wenig junge Menschen an der COP teilnehmen werden. Bei | |
| einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Husejnow im Rahmen der Bonner | |
| Konferenz fordert sie die UN-Staaten auf, nicht zum „Komplizen des Regimes“ | |
| zu werden und Zugang zu gewähren. | |
| Per Telefon klinkt sich Leyla Hasanova in den Termin ein. Sie ist die | |
| „Youth Climate Champion“ der COP29 – vertritt also mit staatlicher | |
| Erlaubnis Aserbaidschans die Jugend in den Klimaverhandlungen. Hasanova | |
| liest ein offensichtlich vorbereitetes Statement vor, das die Kritik am | |
| Ausschluss junger Menschen entkräften soll. | |
| „In Aserbaidschan fängt Klimaschutz schon in der Schule an“, ist sie | |
| überzeugt. Auf der COP29 würden alle Stimmen Gehör finden, stellt sie in | |
| Aussicht. Überhaupt hält sie nichts von den Vorwürfen, kein guter Gastgeber | |
| zu sein: Aserbaidschan sei „Brücke zwischen Ost und West“ und habe | |
| Erfahrung in der Organisation multinationaler Events. | |
| Aktivist Husejnow kontert: „Nichts, was sie sagt, hat mit unserer blutigen | |
| Realität zu tun.“ Hasanova sei keine Vertreterin der unabhängigen | |
| Zivilgesellschaft Aserbaidschans. „Sie ist Alumna der Uni, die der | |
| Präsidentensohn besucht hat – und die ein naher Verwandter Alijews leitet.“ | |
| In Wahrheit steckten kritische Stimmen im Gefängnis oder stünden unter | |
| Einreiseverbot. | |
| Die COP29 sei zwar im Prinzip eine Möglichkeit, das Regime für die | |
| Menschenrechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen. Doch dazu bräuchte es | |
| viel: „Unterstützung der Zivilgesellschaft im In- und Ausland, die | |
| Befreiung aller mehr als 300 politischen Gefangenen“, zählt Husejnow auf. | |
| „Und Alijew muss allen kritischen Stimmen gleichen Zugang zum Klimagipfel | |
| gewähren.“ Dass irgendwas davon eintritt, glaubt er nicht. Er fühlt sich | |
| verraten von westlichen Staaten. Weder er noch Arschak Makitschjan werden | |
| in Baku vertreten sein. | |
| 23 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Maximilian Arnhold | |
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