# taz.de -- Grundsatzdebatte zu Land und Bezirken: Entgegenlaufende Vorstellung… | |
> Der Streit um das Schneller-Bauen-Gesetz ist an sich schon bedeutsam. Er | |
> bedroht aber auch das wichtigere Großprojekt Verwaltungsreform. | |
Bild: In Sachen Verwaltungsform schien neuerdings die Sonne. Der Streit um das … | |
Die Kritik der Grünen am Schneller-Bauen-Gesetz von Mitte der Woche ist an | |
sich schon heftig. Dahinter deutet sich aber eine noch viel | |
grundsätzlicherer Streit zwischen der schwarz-roten Regierung und der | |
Opposition an. | |
Das Gesetz werde seinem Namen nicht gerecht, „mit ihm wird keine Wohnung | |
schneller gebaut“, [1][äußerte sich Fraktionschef Werner Graf via Mail], | |
kaum dass Bausenator Christian Gaebler (SPD) den Entwurf dafür in einer | |
Pressekonferenz vorzustellen begonnen hatte. Für Graf führt das, was | |
Gaeblers Senatsverwaltung da konzipiert hat, trotz aller vom Senator | |
angeführten Beteiligungen von Verbänden und Interessengruppen zu | |
Betonwüsten und Kiezen, „die kaum bewohnbar sind.“ | |
Das ist an sich schon die denkbar größte Kluft. Zumal die Grünen von sich | |
behaupten, durchaus bauen und der Wohnungsnot begegnen zu wollen. Graf | |
verwies in einem vertiefenden Pressegespräch am folgenden Tag darauf, dass | |
grün-geführte Bezirke anderen bei Baugenehmigungen nicht nachstünden. Er | |
pocht aber darauf, dass das SPD-Mantra „bauen, bauen, bauen“ nicht über | |
allem stehen dürfe. | |
In Grafs Lesart sind die vorgesehenen Lockerungen beim Arten- und | |
Naturschutz – auch wenn die weiterhin bundesgesetzlichen Vorgaben | |
entsprechen müssen – nicht bloß eine Möglichkeit, im Einzelfall auf Kosten | |
einiger Bäume schneller hunderte Wohnungen zu bauen. Vielmehr werde das nun | |
zur Regel. Aus Grünen-Sicht rückt der Gesetzentwurf Pflanzen-Grün weit | |
hinter Beton-Grau. | |
## Die entscheidende Frage der Landespolitik | |
Das aufzulösen, wird schon schwer genug, wenn es überhaupt gelingt. Am | |
Rande wurde aber auch klar, dass der Streit über das Schneller-Bauen-Gesetz | |
ein [2][noch bedeutsameres Projekt der schwarz-roten Koalition] bedrohen | |
könnte, das bislang auch die Grünen mitgetragen haben: die | |
Verwaltungsreform. | |
Das Thema klingt bei schlichterer Betrachtung nach bürokratischer | |
Nebensächlerei. Tatsächlich aber, und das sehen von Wirtschaftsverbänden | |
bis zur Opposition im Wesentlichen alle so, steht dahinter die | |
entscheidende Frage der Landespolitik: Ist Berlin in der Lage, seine | |
Verwaltung und seine Entscheidungsabläufe so zu reformieren, dass sich | |
damit die Gegenwart, aber noch mehr die Zukunft der Stadt gestalten lassen? | |
Dass dabei am Ende schnellere Termine im Bürgeramt stehen könnten, ist der | |
vielleicht populärste, aber trotzdem bloß ein nachgeordneter Effekt. Im | |
Kern geht es darum, Abläufe in einer Fast-4-Millionen-Stadt, die zugleich | |
Bundesland ist, angesichts eines immer schnellen getakteten Alltags | |
aufrechterhalten und sicherstellen zu können. | |
Seit Jahrzehnten ist unstrittig, dass die Verwaltung einer Reform bedarf. | |
Ebenso lang ist der Satz zu hören, Berlin habe hier „kein Erkenntnis-, | |
sondern ein Umsetzungsproblem“. Viele Gutachten liegen dazu vor. Zuletzt, | |
in der Zeit des vor-vorigen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller | |
(SPD), beschäftigte sich eine hochkarätig besetzte Kommission damit. | |
Doch [3][auf dieses Gutachten von 2018] ist wenig gefolgt. Das liegt | |
weniger an Details. Im Mittelpunkt steht die Machtfrage, die zwischen der | |
Landesebene – den Senatsverwaltungen – und der Bezirksebene neu | |
auszuhandeln ist. Misstrauen auf beiden Seiten über alle Parteigrenzen | |
hinweg erschwerte lange jeden Fortschritt. | |
## Verwaltungsreform könnte in weite Ferne rücken | |
Dass das plötzlich anders aussah, gehörte zu den Pluspunkten, als Ende | |
April ein Jahr schwarz-roter Koalition zu bilanzieren war. Regierungschef | |
Kai Wegner (CDU) hatte es offenbar geschafft, bei allen Beteiligten das | |
Gefühl zu wecken, zumindest gehört und nicht über den Tisch gezogen zu | |
werden. In diese Richtung äußerten sich nach ersten Treffen führende | |
Vertreter von Grünen und Linkspartei eindeutig, auch auf die Gefahr hin, | |
für solches Wegner-Lob Kritik von ihren eigenen Leuten zu bekommen. | |
Für die Grünen war dabei stets wichtig, den Weg der Verwaltungsreform | |
zusammen mit den zwölf Bezirken zu gehen und nicht über sie hinweg zu | |
entscheiden. Vor diesem Hintergrund zeigten sie sich auch für eine | |
Verfassungsänderung offen, mit der Wegner eine Reform dauerhaft und nicht | |
bloß als schnell wieder zu änderndes Gesetz festschreiben will. Eine | |
Zwei-Drittel-Mehrheit bräuchte es dafür. Auf die käme Schwarz-Rot aber nur, | |
wenn im Abgeordnetenhaus entweder die Fraktion der Grünen oder die der | |
Linkspartei zustimmt. | |
Das aber, so hörte es sich in dieser Woche bei Werner Graf an, könnte in | |
weite Ferne rücken. Denn das Schneller-Bauen-Gesetz mit veränderten | |
Zuständigkeiten und beschleunigten Abläufen lässt sich als eine | |
Verwaltungsreform im Kleinen betrachten. Bausenator Gaebler stellte es am | |
Dienstag auch als eine Art Pilotprojekt dafür dar, aus dem sich auch | |
Hinweise für die große Reform ableiten lassen könnten. | |
Genau davor aber gruselt es Fraktionschef Graf. Für ihn steht der | |
Gesetzentwurf den Zielen des Großprojekts Verwaltungsreform „diametral | |
entgegen“, läuft also in die ganz andere Richtung. Für Graf geht es bei der | |
Verwaltungsreform darum, Zuständigkeiten genau festzuschreiben. So soll es | |
kein Hickhack und Hin-und-her-Geschiebe bei unangenehmen oder | |
Kompetenzgerangel bei attraktiven Themen und Projekten geben. | |
## Die Gefahr des Aneinander-Vorbeiredens | |
Der Entwurf des Schneller-Bauen-Gesetzes aber – so zumindest Grafs | |
Interpretation – sieht vor, dass die Landesebene Dinge von den Bezirken an | |
sich ziehen können, wann immer sie es für nötig hält. Dass das eine | |
personelle Parallelstruktur erfordert, für die weder die Leute noch die | |
Finanzen da sind, ist da fast noch nachrangig. | |
Dass Graf sich in dieser Weise äußerte, überraschte. Zu begeistert schien | |
auch er in den vorangegangenen Monaten davon, dass sich in Sachen | |
Verwaltungsreform endlich etwas bewegte. Er wie seine Co-Fraktionschefin | |
Bettina Jarasch und auch die Spitze der Linksfraktion [4][lobten Wegners | |
Ansatz], in den Treffen dazu seinen Gesprächspartnern auf Augenhöhe zu | |
begegnen. Die gemeinsamen anschließenden Stellungnahmen legten nicht nahe, | |
dass es völlig unterschiedliche Auffassungen gibt. | |
Wieso es vor diesem Hintergrund beim Schneller-Bauen-Gesetz nun zu solchem | |
Frust bei den Grünen kommt, jenseits aller inhaltlichen Kritik, ist nur auf | |
zweierlei Weise erklärbar. Entweder ist der vorliegende Gesetzentwurf aus | |
Gaeblers Verwaltung komplett an Regierungschef Wegner vorbei entstanden. | |
Das aber ist nicht sonderlich plausibel. Genauso wenig liegt nahe, dass die | |
Grünen den Gesetzentwurf völlig falsch lesen – Gaebler hatte am Dienstag | |
Grafs Kritik daran mit der Annahme gekontert, dann habe der Grünen den Text | |
wohl gar nicht gelesen. | |
Was bleibt, ist die Möglichkeit, dass Wegner und all jene, die wie Graf mit | |
ihm bei den bisherigen Spitzentreffen zur Verwaltungsreform über Stunden | |
zusammensaßen, schlicht aneinander vorbeigeredet haben. Das aber wäre in | |
Sachen politischer und zwischenmenschlicher Kommunikation gerade in Zeiten, | |
in den genaues Zuhören statt gegenseitigem Zutexten das A und O sind, ein | |
zutiefst bedauerlicher Befund. | |
Dann wäre es immer noch besser, Graf hätte sich schlicht verlesen oder | |
wäre, wie Gaebler am Dienstag vermutete, „Opfer seiner eigenen Vorurteile“ | |
geworden. Klären könnte sich das ziemlich schnell. Denn der Senator hat dem | |
Grünen-Fraktionschef auf dessen Kritik hin gleich ein Treffen angeboten – | |
und Graf kündigte tags darauf vor Journalisten an, diese Einladung | |
anzunehmen. | |
7 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://gruene-fraktion.berlin/pressemitteilungen/schneller-bauen-gesetz-wi… | |
[2] https://www.berlin.de/rbmskzl/politik/senat/koalitionsvertrag/ | |
[3] /Kommentar-zum-Verwaltungsumbau/!5514662 | |
[4] /Parteiuebergreifendes-Spitzentreffen/!5992684 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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