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# taz.de -- Die Band Josef K: Gegen Angst und Entfremdung
> Die schottische Band Josef K benannte sich nach dem Protagonisten aus
> Kafkas „Der Process“. Wie kafkaesk ist ihre Musik?
Bild: Die Band Josef K
Josef K., um die 30, ist nicht nur Prokurist einer großen Bank. Der
Protagonist aus Kafkas Roman „Der Process“ stiftete einer schottischen Band
auch seinen halb-anonymisierten Namen. Und Josef K, das Quartett aus
Edinburgh, tat alles, was in seiner eher begrenzten Macht stand, um diesem
Namensgeber musikalisch zu entsprechen, der „eines Morgens“ aufgrund einer
Verleumdung verhaftet wurde, „ohne dass er etwas Böses getan hätte“.
Das teilt uns Kafka gleich im ersten Satz seines gleichnishaften Romans
mit, sodass man mit roten Ohren weiterlesen muss, bis zum bitteren Ende.
Gegründet 1979, aufgelöst 1982, hat Josef K, die Band um den Sänger und
Bassisten Paul Haig und den Gitarristen Malcolm Ross, ein einziges Album
hinterlassen, „The Only Fun in Town“, und nicht mal eine Handvoll Singles.
Die Musiker waren zur Zeit des Bandbestehens jünger als Josef K, um die 20.
Sie sind durch England getourt, haben in Brüssel gespielt, aber nie in
Deutschland.
Von Anfang an sei eine Auflösung nach ihrem Album geplant gewesen, heißt
es. Die Songs von Josef K haben es alle in sich. Addiert man die
existierenden Lieder von Josef K, kommt man auf roundabout 25. Die meisten
kann ich auswendig singen. Ob fidel oder unglücklich, im Liegen oder im
Stehen, egal wie und wann ich sie gehört habe, nie hat mich die Musik
jemals im Stich gelassen.
## Schuld und Scham
„Chance Meeting“ zum Beispiel, die A-Seite der beschwipst klingenden
zweiten Single; leicht schepprige Gitarrenhooks – wie bei ihren Helden
Velvet Underground sind die Gitarren tiefer gestimmt – und ein
propellernder funky – Hallo Chic! – Bass treiben die Melodie vor sich her.
Paul Haig singt dazu ein bisschen manieriert, aber nicht zu viel, Schuld
und Scham, wie bei Kafka, sie klingen in seinem Gesangsstil an.
So merkt man auch, es wird grundsätzlich bei „Chance Meeting“, und im
Grundsätzlichen liegt Vergeblichkeit. „The red sky behind you / The feeling
you’ve been here before“. Mit doom und gloom berichtet der Text vom
Zufallstreffen mit einer Person, an der dem Vortragenden etwas liegt. Er
stellt fest, dass er trotz Zuneigung nicht zu ihr durchdringen kann, zu
viel Ballast aus der Vergangenheit. Ob sie sich mögen, bleibt nebulös, der
Songtext endet ergebnislos, aber „Chance Meeting“ hat im Finale durch eine
mehrspurige Trompete induzierte Feierlichkeit.
Aller Punknegation und dem damit verbundenen absoluten Empathieverbot zum
Trotz hat mich das feierliche Moment schon als Jugendlichen abgeholt und
wohlbehalten durch die Zeit transportiert. In dem einzigen mir bekannten
Interview mit Paul Haig gibt er an, viel Kafka, Camus und Hamsun gelesen zu
haben, „die Entfremdung, die aus dieser Literatur spricht, hat mir damals
etwas gesagt. Ich bin dadurch auf etwas gestoßen, was schon in mir drin
war.“
## Keine Hoffnung für Kafka
Von Max Brod wird kolportiert, dass er Kafka zu Lebzeiten gefragt hat, ob
es denn Hoffnung gäbe. „Unendlich viel“, habe Kafka geantwortet, „nur ni…
für uns.“ Und Josef-K-Songs atmen das „nur nicht für uns“ einerseits und
ziehen andererseits musikalisch solche Bahnen, bis die Bestimmtheit der
Songs gegen die ominöse, aus den Texten lugende Angst und Entfremdung
obsiegt.
Der Songtext von „Chance Meeting“ ist auf eine Postkarte gekritzelt, die
der Single beiliegt. Vorne drauf sind Hundewelpen oder Kojoten abgebildet.
Die Postkarte ist an [1][eine Adresse in Glasgow] gerichtet, wo sich einst
das Label Postcard Records von Josef K befand. [2][Das Außencover zieren
altmodische Illustrationen von Young Lads in Schottenröcken], eine Art
Faux-Laura-Ashley-Ästhetik. Auch das einzige Album von Josef K hat auf dem
Cover diese Überzeitlichkeit, außen in verschiedenen Brauntönen die
Illustration einer Stadtsilhouette, wie imperiale Kinderzimmertapeten in
den 1930ern.
Innen diverse Bandfotos, die Musiker in Anzügen und Schlipsen, in
Film-noir-Anmutung. Sonnenbrillen und Zigaretten bilden die Nervosität der
Musik ab, die Songs klingen nach Kosakenkaffee und nikotinhaltiger Luft.
Der britische Musikkritiker Paul Morley bezeugt, wie er mit den Songs von
Josef K ansatzlos von den 1970ern in die 80er reisen konnte, denn sie
landeten [3][„weit jenseits von England“] und klangen „mehr nach Detroit
und New York in den 1960ern als nach dem London ihrer Zeit“.
Überzeitliche metaphysische Existenzangst und In-die-Welt-geworfen-Sein
sprechen noch immer aus der Musik von Josef K und haben sie über die
Jahrzehnte nur wachsen lassen. Bei Kafka hingegen verstummt Musik, „weil
sie ein Ausdruck … des Entrinnens“ ist, wie Walter Benjamin einst dargelegt
hat.
2 Jun 2024
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## AUTOREN
Julian Weber
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