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# taz.de -- Film über Franz Kafka: Kafka unterm Brennglas
> Agnieszka Holland sucht in ihrem Film „Franz K.“ nach einem neuen Blick
> auf den Schriftsteller. Dabei gerät sie selbst in die Mühlen seines
> Mythos.
Bild: Kalkulierter Bruch: Franz Kafka (Idan Weiss) und Graffiti in „Franz K.�…
Wer sich heute an Franz Kafka wagt, steht vor einem Paradox: Alles scheint
über ihn gesagt – und doch versucht man immer noch, das Unsagbare zu
bebildern. Da bleibt nur noch die Möglichkeit, sich seinem Tun, Denken und
Sein aus einem radikal von der gängigen Lesart abweichenden Blickwinkel zu
nähern.
Doch im Falle von Franz Kafka scheint selbst das eine Schwierigkeit zu
sein. [1][Das Brennglas wurde bereits aus so vielen Winkeln auf diese
Biografie gerichtet], dass sich kaum noch eine Neigung finden lassen
dürfte, aus der sie sich neu entflammen lässt, anstatt sie nur weiter zu
versengen. Selbiges gilt für das reiche, aber schmale Werk des
Schriftstellers aus Prag.
Das Verhältnis zwischen dem, was der Fachmann für das Fragmentarische
selbst geschrieben hat, und dem, was über ihn verfasst wurde, liege bei
eins zu zehn Millionen, heißt es in „Franz K.“, dem neuen Film von
Agnieszka Holland. Aus dem Mann, der an seinen Freund die letzte Bitte
richtete, alles Ungedruckte „restlos und ungelesen zu verbrennen“, wurde
nicht nur einer der meistgelesenen, sondern auch einer der
meistinterpretierten Autoren der Moderne.
Dass [2][Agnieszka Holland („Green Border“)] eigentlich mit dieser
regelrechten Deutungsindustrie brechen möchte, lässt sich schon am Titel
erkennen. Zum bewussten Verzicht auf den zum suggestiven Schlagwort
geratenen Nachnamen gesellen sich im biografischen Drama mehrere Szenen,
die direkten Bezug auf die unschönen Seiten des Status des Schriftstellers
als „objet du désir“ nehmen.
## Schale Polemik
Was vermutlich als sarkastische Spitze intendiert ist, gerät allerdings
allzu oft zur schalen Polemik: Einmal etwa erscheint, nachdem der junge
Franz (Daniel Dongres) von seinem Vater (Peter Kurth) trotz mangelnder
Schwimmerfahrung in den See gestoßen wurde, plötzlich eine chinesische
Touristengruppe am selben Badesteg von Černošice – selbstverständlich mit
Selfie-Sticks ausgestattet.
An anderer Stelle steht neben der Kafka-Büste in Prag auf einmal ein
Fastfood-Restaurant namens „Kafka-Burger“, vor dem – natürlich – ein
US-amerikanischer Tourguide erklärt, der Schriftsteller habe hier ein
halbes Jahr lang Essen geordert, als er an seinem Roman „Amerika“ schrieb.
Der plump vorgebrachte Vorwurf, Kafka werde ausgerechnet für touristische
Zwecke vereinnahmt, verfehlt außerdem sein Ziel: Zwar wird die tschechische
Hauptstadt von Besuchern aus aller Welt überlaufen, doch gerade in das sehr
charmante, aber erstaunlich kleine und abseits der Altstadt gelegene
Kafka-Museum verirren sich die wenigsten von ihnen.
Vielmehr zur Trivialisierung seines Werkes wie seiner Person trägt eine
Popkultur bei, die den Schriftsteller leichtfüßig zum leeren Symbol für den
schrägen Außenseiter und ein vages Lebensgefühl der Entfremdung macht.
Ironischerweise bildet „Franz K.“ da selbst keine Ausnahme: Abseits
vereinzelter Meta-Einschübe begnügt sich der Plot mit einer erstaunlich
routinierten Reproduktion seines Mythos.
## Verstaubtes Kostümstück
Vom tyrannischen Vater, der das nächtliche „Geschreibsel“ seines Sohnes
verhöhnt, über den bleiernen Büroalltag in der Versicherung und die
endlosen Briefwechsel mit Felice Bauer (Carol Schuler) bis hin zur kurzen
glücklichen Episode mit der Übersetzerin Milena Jesenská (Jenovéfa Boková),
seiner Tuberkuloseerkrankung und dem frühen Tod: Drehbuchautor Marek
Epstein reiht all die bekannten Stationen so brav aneinander, dass „Franz
K.“ streckenweise kaum mehr Spannung entfaltet als ein Lehrfilm für den
Schulunterricht.
Die beige-braune Kulisse lässt das Ganze zusätzlich wie ein verstaubtes
Kostümstück erscheinen. Vereinzelte Brüche – etwa wenn Kafka
tiergesichtigen Saunagästen gegenübersitzt oder erschrocken seine von einer
feinen Membran überzogenen Hände betrachtet – fügen sich kaum in den
Erzählfluss und wirken wie forcierte Einsprengsel, die pflichtschuldig das
Klischee des sonderbaren Schriftstellers untermauern sollen.
Der fragwürdigste Einfall in „Franz K.“ ist jedoch der Bruch mit der
vierten Wand: Der Vater, die Verlobte und andere Wegbegleiter wenden sich
unvermittelt direkt an die Kamera und liefern ihre ganz persönliche Sicht
auf Kafka. Das wirkt nicht nur wie aus einer Mockumentary entlehnt – und
damit unfreiwillig komisch –, sondern wiederholt weiter altbekannte
Zuschreibungen, anstatt neue Perspektiven zu öffnen.
Damit ist die drängendste Frage, die „Franz K.“ aufwirft, zugleich die
bitterste: Wie konnte ein derart uninspirierter und ungelenker Film
ausgerechnet unter der Regie von Agnieszka Holland entstehen? Seit
Jahrzehnten zählt die polnische Filmemacherin ganz zu Recht zu den
markantesten Stimmen des europäischen Autorenkinos, befeuert von
politischer Schärfe und einem feinen Gespür für historische Härten.
In Filmen wie „Red Secrets“ oder [3][„Charlatan“ hat Agnieszka Holland]
zuletzt eindrucksvoll Persönlichkeiten porträtiert, die zuerst in die
Mühlen der Geschichte und dann in Vergessenheit geraten sind. Man möchte
also hoffen, dass sie ihren Blick künftig wieder dorthin wendet, wo ihr
Werk stets am stärksten war: zu diesen oft unbesungenen, mit Osteuropa
verwobenen Figuren, die ein Mehr an Aufmerksamkeit aber weit besser
gebrauchen können als ein längst zerredeter Kafka.
22 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Franz Kafka
Film
Prag
Entfremdung
Literatur
Spielfilm
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